„Die Hemmschwelle ist total gefallen“

Saarlouis · Wer im Grenzgebiet eine Straftat begeht, hat es einfach. Sobald er über die Grenze fährt, können ihn die deutschen Behörden nicht mehr ohne Weiteres verfolgen. Unter anderem nehmen Tankdiebstähle zu.

 Mit dem schnellen Griff zur Zapfpistole machen Benzindiebe an den Tankstellen im Kreis Saarlouis große Probleme. Foto: Becker&Bredel

Mit dem schnellen Griff zur Zapfpistole machen Benzindiebe an den Tankstellen im Kreis Saarlouis große Probleme. Foto: Becker&Bredel

Foto: Becker&Bredel

Norbert Schach, 56, ist seit 16 Jahren Tankstellenpächter in Saarlouis. Seine Tankstelle ist keine 50 Meter entfernt von der Autobahnauffahrt zur A 620, Fahrzeit nach Frankreich: zehn Minuten. Seit Jahren lockt diese gute Lage Benzindiebe an. Vornehmlich junge Männer zwischen 20 und 30 Jahren, kommen in Autos mit französischen Kennzeichen, tanken für 70, 80 Euro und verschwinden dann. "Stammkunden" nennt Schach sie, obwohl sie nicht zahlen. Trotz scharfer Farbbilder von sechs verschiedenen Kameras sind die Täter in den meisten Fällen nicht zu ermitteln: Die Kennzeichen sind oft gestohlen oder verfälscht.

"Das ist eine neue Generation von Wegfahrern", sagt Schach. Noch vor ein paar Jahren waren die Täter vermummt, mit schwarzen Kapuzen, am späten Abend oder in der Nacht gekommen, hatten mit laufendem Motor getankt und die Tankstelle mit Vollgas wieder verlassen. Heute sind sie kaum von ehrlichen Kunden zu unterscheiden. Schach fühlt sich machtlos: "Die tanken in aller Ruhe und grinsen dabei in die Kamera. Die Hemmschwelle ist total gefallen." Er ist ihnen hinterhergerannt, hat die Polizei alarmiert, Anzeige gegen Unbekannt erstattet. Ohne Erfolg. "Wir brauchen mehr Streifen", sagt Schach, "die Präsenz der Polizei fehlt. Es gibt immer weniger Polizisten und immer mehr Diebe."

Nach Schachs Einschätzung liegt das nicht an den gestiegenen Benzinpreisen, sondern an der Lage im Grenzgebiet. Die Polizei gibt ihm Recht: "Die Grenzlage wird häufig ausgenutzt", sagt Polizeisprecher Horst-Peter Schäfer. "Das Grenzgebiet ist eine Spielwiese der Straftäter und besonders reizvoll für Kriminelle." Sind die Kennzeichen gestohlen, ist die Chance sehr gering, dass der Täter gefasst wird. Und das sei "sehr häufig" der Fall.

Gut zwei Wegfahrer sind unter Schachs 4000 Kunden pro Woche, macht über 100 Wegfahrer im Jahr, macht rund 10 000 Euro Verlust pro Jahr - allein an Schachs Tankstelle in Saarlouis. Andere Tankstellen an und auf der Autobahn A 620 beklagen ähnliche Verluste. Insgesamt haben die Benzindiebstähle im Saarland zugenommen: von 907 im Jahr 2009 über 1038 in 2010 bis zu 1273 im Jahr 2011. Häufig werden die Verfahren schon bald wegen Geringfügigkeit eingestellt.

Grundsätzlich erlaubt das Schengener Abkommen die Nach eile in ein Nachbarland, aber nur bei schweren Delikten. "Die Frage stellt sich in den meisten Fällen aber gar nicht, weil keine Streife in der Nähe ist", sagt Schäfer. Handelt es sich nicht um ein gravierendes Delikt wie ein Sexualverbrechen, Tötungsdelikt, Drogen- oder Waffenhandel, müssen die deutschen Polizisten an der französischen Grenze umkehren. Jedes Land hat eine eigene Lösung gefunden, was die Befugnisse für Polizisten anderer Länder betrifft. Auf deutschem Boden dürfen sämtliche Nachbarstaaten ihre Verdächtigen auch bei einfachen Delikten verfolgen und festnehmen.

Die Täter wissen, dass die Strafverfolgungsbehörden in vielen Fällen vor den Grenzen haltmachen müssen, so auch beim Benzindiebstahl. Zahlen dazu, nach wie vielen Straftaten der Täter über die Grenze flieht, gibt es nicht.

Manche Täter fahren über die Grenze, um nach Hause zu kommen, manche einfach, weil es sich anbietet. Überwiegend seien es Menschen unterschiedlicher Nationalitäten mit Wohnsitz in Frankreich, sagt Wolfgang Gärtner, Dezernatsleiter des Saarbrücker Landeskriminalamts für internationale Polizeiarbeit.

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Auf einen BlickDas gemeinsame Zentrum der Polizei- und Zollzusammenarbeit in Luxemburg (GZPZ) ist das einzige Zentrum der grenzüberschreitenden Polizei- und Zollzusammenarbeit, in dem vier Nationen in einer Sicherheitskooperation zusammenarbeiten. Beteiligt sind als deutsche Behörden die Bundespolizeidirektion Koblenz, die Landeskriminalämter von Rheinland-Pfalz und Saarland und als ausländische Behörden die Police Grand-ducale Luxemburg, Douane Luxemburg, Police Fédérale Belgique, die Gendarmerie nationale française, Douane France und die Police nationale française.Neben dem Zentrum in Luxemburg gibt es auch noch ein deutsch-französisches Zentrum in Kehl am Rhein. Seit 1999 hat es allein in diesem Zentrum über 100 000 Verfahren gegeben. kj

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