Saar-Krimi Weltverschwörung rund um den Beckerturm

Saarbrücken/St. Ingbert · Marlian Walls fünfter Saar-Krimi, „Kronzeugen“, strapaziert den Leser mit Intrigengespinsten. Hochspannend ist das Buch der Saarbrücker Psychologin dennoch.

 Die Saarbrücker Psychologin Barbara Ninnemann, die sich als Autorin Marlian Wall nennt, hat bereits ihren fünften Saar-Krimi verfasst.

Die Saarbrücker Psychologin Barbara Ninnemann, die sich als Autorin Marlian Wall nennt, hat bereits ihren fünften Saar-Krimi verfasst.

Foto: Jörg Fischer

Das ist jedenfalls alles andere als ein Kurz-vor-dem-Einschlafen-Krimi: Marlian Walls jüngster Streich, „Kronzeugen“, zählt zu jenen Büchern, die einen schnell mal die Nacht kosten. Leider nicht bloß, weil die Saarbrücker Autorin so rasend spannend dichtet. So flott der Plot, so kühn sind auch ihre Erzähl-Salti mit denen sie über den Boden der Tatsachen turnt. Das 340-Seiten-Opus fesselt denn auch deshalb, weil man wissen will, ob sie erzählerisch noch die Kurve kriegt...

Dabei fängt alles harmlos an. Vieles spricht für einen tragischen, letztlich aber banalen Unfall in dem schäbigen Haus nahe der St. Ingberter Josefskirche. Ein Mann, so scheint es, ist die Treppe herunter gestürzt. Womöglich ausgerutscht auf einem Ölfleck. Leblos liegt er im grünen Trainingsanzug direkt hinter der Tür. Die Feuerwehr hat Mühe, überhaupt ins Haus zu kommen, die Tür zu öffnen. Doch Kriminalrätin Gloria Dreguzkaya und Kommissar Tim Feldmann, die verdreckt von der Wohnungsrenovierung sofort zum Tatort eilen und damit die Gerüchteküche ihrer Kollegen befeuern, ahnen schnell: Hier stimmt was nicht.

Die Frau des Toten, Doris Koch, liegt nämlich hilflos in der Wohnung. Chronisch fettleibig, 240 Kilogramm schwer, kann sie sich kaum noch rühren. Die Feuerwehr muss schließlich eine Wand aufstemmen, sie aus dem Haus holen und ins Krankenhaus bringen. Vieles irritiert an diesem so ungleichen Paar: Doris Koch, durch ihre Leibeslast wie angekettet, braucht ihren Mann. Doch war der liebevoller Helfer – oder doch eher so etwas wie ein perfider Gefängniswärter, der sie mit ihren Kilos an ihn fesselte?

Die offenen Fragen mehren sich, als noch das BKA mitmischt: Just die Kochs, auf den ersten Blick sozial Abgehängte, sollen wichtige Kronzeugen sein? Unterm Schutz der Bundeskriminalamtes stehen? Haben da die Top-Polizisten am Ende versagt? Für die Saar-Polizei werden die Ermittlungen zum Labyrinth, erschwert überdies durch das Kompetenzgerangel mit der forschen BKA-Beamtin Andrea Hermann. Doch nicht genug damit: Hinter all dem zeichnet sich immer deutlicher das Agieren einer Verschwörer-Clique ab, gegen die James Bonds ewige Gegenspieler von Spectre aber wie eine harmlose Kindergartenbande wirken.

Das Böse ist ja bekanntlich immer und überall, Marlian Wall aber hat seinen Quell zielsicher in der saarländischen Provinz lokalisiert. Klischeehaft lässt sie da eine „Nr.1“ Strippen ziehen. Und es fehlt bloß noch der Mieze-kraulende Blofeld, und die Weltverschwörung rund um den St. Ingberter Beckerturm wäre perfekt.

Marlian Wall, die bürgerlich Barbara Ninnemann heißt und als Pyschologin arbeitet, trägt da öfters reichlich dick auf – und das auch schon als Wiederholungstäterin. „Kronzeugen“ reiht sich als fünfter Band in eine Serie, in der eine Handvoll Polizisten und Staatsanwälte unverdrossen wie Don Quijote für das Gute kämpfen. Dieses tapfere Saar-Häuflein sieht sich schier übermächtigen Verschwörern gegenüber, vernetzt bis in höchste Kreise, wie ja meist bei solchen Fieslingen. Nur, dass deren eigentliches Ziel hier im mysteriösen Halbdunkel bleibt. Letztlich sieht vieles danach aus, als wollten sie jedweden Aufbruchsgeist im Saarland ersticken, Innovation versanden lassen. Kurzum hieisige Selbstgenügsamkeit auf dem Thron halten; natürlich zum eigenen Nutzen.

So verrückt das ja erstmal klingt (oder ist es nur eine besonders ironische Volte Ninnemanns?), leicht könnte man sich damit das hier tatsächliche vorherrschende Diktat der Kleingeisterei in Landespolitik wie Gesellschaft erklären. Auch wenn die Wirklichkeit sich leider banaler erklärt, Zufall und Seilschaften das lähmende Mittelmaß verantworten.

Als Autorin aber hat Wall alle Freiheiten, das große, diffuse Komplott jedoch als Generalerklärung bleibt erzählerisch letztlich unbefriedigend, wirkt zu grob gedacht. Das fällt eben deshalb so auf, weil Wall alias Ninnemann ihre Figuren ansonsten fein zeichnet, facettenreiche Persönlichkeiten kreiert. Überhaupt schafft die 53-jährige Saarbrückerin mit der körperlich quasi zur Unfähigkeit verdammten Doris Koch, die aber dank ihres regen Verstandes die Handlung treibt und treibt, eine faszinierend vielschichtige Figur, erzählt deren Wirken komplex. Und sie spinnt die persönlichen Konflikte wie Zuneigungen der Protagonisten zueinander kunstvoll und feinnervig.

Barbara Ninnemann bringt ihre Bücher konsequent selbst heraus, lässt sich von keinem Verlag was ins Manuskript diktieren. Gelegentlich hätte man sich wohl mal den Einspruch eines Lektors gewünscht, der die schillerndsten konspirativen Blüten stutzt. So aber liest man nun Wall pur – und das darf gerne mal die Nacht kosten.

Marlian Wall: „Kronzeugen“, ISBN 9783752850819, 345 Seiten, 12,99 Euro.

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