Der Stellvertreter-Minusrekord

Saarbrücken · Neuerdings gilt Saarbrücken bundesweit als Superlativ im Schuldenmachen. Dafür sorgte eine Studie der Unternehmensberatung Ernst & Young. Die SZ fragte, woher die Zahlen sind und womit das Urteil über Saarbrücken sonst noch fundiert ist.

 Die Taschen leer, leichtsinnig alles verprasst – eine Schulden-Studie festigte dieses Image für Saarbrücken. SZ-Archivsymbolfoto: Wolf/dpa

Die Taschen leer, leichtsinnig alles verprasst – eine Schulden-Studie festigte dieses Image für Saarbrücken. SZ-Archivsymbolfoto: Wolf/dpa

Das war ein Schock: Saarbrücken hat die höchste Prokopfverschuldung aller deutschen Großstädte. Rund 11 600 Euro Schulden bekäme jeder Saarbrücker ab - wenn die Schulden der Stadt, ihrer Eigenbetriebe und Beteiligungsgesellschaften morgen gleichmäßig auf alle Einwohner verteilt würden, auf Männer, Frauen, Kinder, Babys, Greisinnen und Greise.

Das behauptet jedenfalls die Unternehmensberatung Ernst&Young (E&Y) in ihrer "Kommunenstudie 2015", die sie im Dezember veröffentlichte und für die sie großes Aufsehen erntete. Etliche Medien in der gesamten Republik berichteten über die Studie - und natürlich auch über Saarbrückens ersten Platz auf der Hitliste der vermeintlich Verschwenderischen und Bemitleidenswerten.

Die SZ wollte wissen, ob dieser zweifelhafte Ruhm gerechtfertigt ist und erfuhr Folgendes.

Sowohl die Saarbrücker Stadtverwaltung als auch das Beteiligungsmanagement wurden von dem Schulden-Superlativ überrascht - und fragten sich, woher E&Y seine Zahlen hat. Dag Rittmeister, Pressechef von E&Y, erklärte der SZ: E&Y hat selbst weder Zahlen erhoben noch irgendwas berechnet - sondern lediglich fertige Zahlen beim Statistischen Landesamt abgerufen. Das Amt wiederum bestätigte, es habe "die Daten auf Anfrage zusammengestellt, allerdings nach den Vorgaben von E&Y". Demgemäß addierte das Amt die Schulden im Saarbrücker Haushalt, die Schulden der Eigenbetriebe und die aller Beteiligungsfirmen, die zu 100 Prozent der Stadt gehören. Das Ergebnis wurde durch die Einwohnerzahl vom 30. Juni 2015 dividiert - und E&Y überstellt. Berechnungsgrundlage waren Zahlen, die das Amt jährlich direkt bei der Stadt, ihren Eigenbetrieben und Beteiligungsfirmen abruft.

"Wir wollten mit unserer Studie einfach nur auf zwei Dinge hinweisen", betont Dag Rittmeister für E&Y: "Erstens: Die Schulden der Kommunen wachsen immer weiter. Zweitens: Die Schere zwischen wohlhabenden und armen Kommunen klafft immer weiter auseinander."

Wie die Schulden der einzelnen Städte entstanden - das hat E&Y nicht untersucht. Die Hitliste sagt also nichts darüber aus ob die Städte und ihre Schulden überhaupt vergleichbar sind. Es kann also sein, dass eine Stadt im Mittelfeld des E&Y-Vergleichs den größten Teil ihrer Schulden gemacht hat, um Geld für sich selbst auszugeben - während Saarbrücken große Teile seiner Schulden machen muss, um das Saarland zu entlasten.

Saarbrücken finanziert nämlich einen großen Teil der Soziallasten das Landes (siehe u.l.). Und Saarbrücken pflegt die Verkehrsinfrastruktur, mit deren Hilfe rund 70 000 Einpendler aus dem ganzen Land ihr Geld verdienen, das sie dann woanders versteuern.

Außerdem bezahlt Saarbrücken die einzige Berufsfeuerwehr des Landes. Und die fungiert gleichzeitig als Katastrophenschutzbehörde für den gesamten Regionalverband - in dem rund ein Drittel aller Saarländer lebt. Aber damit nicht genug: Die Saarbrücker Berufsfeuerwehr ist auch verantwortlich für Höhenrettung und Umweltschutzeinsätze im ganzen Land.

Meinung:
Knüller für Milchmädchen

Von SZ-Redakteur Jörg Laskowski

Studien à la Ernst&Young sind Reklame für die Autoren. Also müssen Rekorde rein, bei denen jeder mitplappern kann. Das hat hier prima geklappt. Saarbrücken bringt's nicht - das erzählten nach der E&Y-Studie alle möglichen Leute und Medien. Aber solche Milchmädchen-Hitlisten sind gefährlich. Sie befeuern das Privatisierungsgefasel: "Städtische Wohnungsbaugesellschaften, Krankenhäuser, Parkhäuser, Kraftwerke, Müllabfuhr, Kanalisation - alles verkloppen. Dann hammer Geld." Das ist natürlich Quatsch. Bei Parkhäusern und Kraftwerken kann das später ganz schön wehtun - wissen die Saarbrücker. Das soll sich nicht wiederholen, schon gar nicht im Krankenhaus, auf dem Wohnnungsmarkt oder bei der Müllabfuhr. Da geht's um unsere vitalsten Interessen. Da müssen wir jederzeit Rechenschaft fordern können. Also geben wir's nicht her. Und wenn E&Y uns erzählt, wir haben Rekordschulden, dann stellen wir fest: Einen großen Teil dieser Schulden macht Saarbrücken für ein Land, das seit Jahren den Finanzausgleich reformieren will - und es nicht schafft. Schwaches Bild!

Zum Thema:

Auf einen Blick
Rund ein Drittel des Saarbrücker Stadthaushaltes - rund 140 Millionen Euro - fließt 2016 als Umlage an den Regionalverband (RGV). Und der gibt etwa 80 Prozent seines Geldes für Soziales und Schulen aus. Der RGV dient als das größte Sozialamt des Landes, denn im RGV leben ein Drittel aller Saarländer und die Hälfte aller saarländischen Hartz-IV-Empfänger . Das sind etwa 28 000 Erwachsene und 10 000 Minderjährige. 70 Prozent davon sind Saarbrücker. Viele Hartz-IV-Empfänger suchen Anonymität und ziehen deshalb vom Land in die Stadt. Knapp 25 Prozent der Kinder unter 15 im RGV sind abhängig von Hartz IV. In den anderen saarländischen Landkreisen sind es im Schnitt nur 13 Prozent. Etwa 4100 Menschen im RGV beziehen Grundsicherungsgeld (Hartz IV für Rentner). Allein rund 90 Millionen pro Jahr bezahlt der RGV für die Unterkünfte von Hartz-IV-Empfängern. Hauptgeldgeber des RGV ist Saarbrücken . fitz

 Die Autoreifen tausender Pendler zermalmen täglich Saarbrückens Straßen und damit bares Geld. SZ-Archivfoto: Honk

Die Autoreifen tausender Pendler zermalmen täglich Saarbrückens Straßen und damit bares Geld. SZ-Archivfoto: Honk

Zum Thema:

Hintergrund
Saarbrücken hat rund 180 000 Einwohner und etwa 106 000 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze. Aber auf rund 70 000 davon arbeiteten Einpendler mit deutscher Sozialversicherung. Saarbrücken hat also eine Einpendlerquote von 65,8 Prozent (Frankfurt am Main: 66 Prozent). Das heißt: 65,8 Prozent aller Menschen, die in Saarbrücken ihr Geld verdienen, wohnen außerhalb. Sie bezahlen ihre Steuern und Abgaben überwiegend woanders. Die Pendlerquote von 65,8 Prozent bezieht sich allein auf Leute, die in Deutschland sozialversichert sind. Nicht berücksichtigt sind Grenzgänger, Beamte, Selbstständige, Schüler und Leute, die zum Einkaufen kommen. Das wiederum sind - so schätzt die Stadt - täglich noch einmal rund 30 000. Während nur knapp 18 000 Saarbrücker nach außerhalb zur Arbeit fahren. Fazit: Einpendler verursachen rund die Hälfte des Saarbrücker Verkehrs. Die Reparaturen muss Saarbrücken aber praktisch allein bezahlen. fitz

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