Dichtung über die Zeit Auch Schülern läuft schon die Zeit davon

Jugendliche des Saarpfalz-Gymnasiums haben sich mit Zeit und der Vergänglichkeit beschäftigt - im Vorfeld des Germanistentags an der Uni in Saarbrücken.

 Eine Projektklasse des Saarpfalz-Gymnasiums mit ihrem Lehrer Eberhard Jung (r) vor der berühmten Weltzeituhr auf dem Berliner Alexanderplatz.

Eine Projektklasse des Saarpfalz-Gymnasiums mit ihrem Lehrer Eberhard Jung (r) vor der berühmten Weltzeituhr auf dem Berliner Alexanderplatz.

Foto: Eberhard Jung

Vom 22. bis 25. September findet in Saarbrücken an der Universität des Saarlandes der Deutsche Germanistentag statt. Hauptthema ist die Zeit. Sie war auch das Thema des diesjährigen Wortsegel-Schreibwettbewerbs, bei dem das Saarpfalz-Gymnasium zum 13. Mal in Folge zu den Besten gehörte.

Seit der Antike setzen sich die Menschen mit dem Phänomen der Zeit auseinander, ganz besonders Philosophen, Historiker, Dichter und Naturwissenschaftler. Sie entwickelten die Chronologie, die Lehre von der Zeit. Während die Physiker die Zeit vor allem als physikalische Größe verstanden, die von der Sonnenuhr bis zur Atomuhr immer genauer messbar wurde, befassen sich die Historiker eher mit dem chronologischen Ablauf von Ereignissen, mit Zeittrends, dem Zeitgeist, dem Wandel der Zeit, bedeutenden Persönlichkeiten bestimmter Epochen und ihren Wirkungen auf die Zeitgenossen und die Folgezeit.

Die Philosophen machen sich Gedanken über das Wesen der Zeit und die (Un-)Endlichkeit, die Psychologen erforschen subjektive und objektive Wahrnehmungen der Zeit. Es geht dabei unter anderem um das Phänomen der knappen, verlorenen und vergeudeten Zeit, um Zeitdruck, zeitliche Engpässe, Zeitverluste und Zeitmanagement.

Wer den richtigen Zeitpunkt verpasst, für den ist der Zug zeitig abgefahren, da bleibt nur noch das Nachsehen. (Lebens-)Künstler, Individualisten und Nonkonformisten lieben oft das Extravagante und Unzeitgemäße, gönnen sich mitunter scheinbar alle Zeit der Welt, schaffen manchmal Zeitloses, indem sie sich beizeiten kreativ und freizügig über Grenzen hinwegsetzen.

„Alles hat seine Zeit“, so steht es schon in der Bibel. Während die Theologen über die sinnvolle Nutzung der von Gott gegebenen Zeit und die Ewigkeit nachdenken, gilt in der kapitalistischen Gesellschaft der Neuzeit das Motto „Zeit ist Geld“.

Auch Literatur- und Sprachwissenschaftler beschäftigen sich eifrig mit der Zeit, zum Beispiel mit der Erzählzeit und erzählten Zeit, dem Sprachwandel, Zeitwörtern und -formen (Tempora). Tiefsinnige und lustige Sequenzen aus der Literatur bieten meist geistreichen Zeitvertreib, etwa von Christian Morgenstern (1871-1914) in seinem Gedicht „Unter Zeiten“: „Das Perfekt und das Imperfekt / tranken Sekt. / Sie stießen aufs Futurum an (…).“

Viel Anlass zur Diskussion über die Zeit bietet voraussichtlich der 26. Deutsche Germanistentag mit seinen interessanten Vorträgen, die allerdings nicht alle öffentlich sind.  Beim 14. Wortsegel-Schreibwettbewerb, der jährlich von der Gemeinde Tholey ausgeschrieben wird – mit Unterstützung des Bildungsministeriums und der „Literarischen Gesellschaft Saar-Lor-Lux-Elsass „Melusine“ - ging es nicht nur um dasselbe Thema, die Ergebnisse dieses Wettbewerbs sollen auch mit einer Plakatausstellung in das Rahmenprogramm des Germanistentages einfließen.

Jean-Paul Sartre, einer der bedeutendsten französischen Intellektuellen des 20. Jahrhunderts (1905-1980), stellte fest: „Vielleicht gibt es schönere Zeiten, aber diese hier ist unsere.“ Er meinte wohl damit, dass man (trotz der beiden Weltkriege und anderer Horrorszenarien) das Beste aus der zur Verfügung stehenden Zeit machen sollte. Dann wird vielleicht auch die Gegenwart in der Zukunft die „gute alte Zeit“ sein. „Die Zukunft kommt schon morgen früh? Kann man die nicht verschieben?“, fragte der Kinderbuchautor Paul Maar (geboren 1937).

Man freut sich über die Freizeit, die Ferien- und Urlaubszeit, unterscheidet Jahreszeiten, Winter- und Sommerzeit, idealisiert die Hochzeit, zelebriert die Fastenzeit, feiert die Faschings-, Oster-, Advents- und Weihnachtszeit, sieht erwartungsvoll auf die Erdbeer- und Erntezeit und genießt eine gute Mahlzeit. Die Naturwissenschaftler erforschen die Halbwertzeit, die Geografen die Regen- und die Trockenzeit. Mit der Schulzeit verbindet man die Arbeits-, Prüfungs-, Rede- und Bedenkzeit. Im Beruf kommt, wenn man Glück hat, nach der Probezeit die unbefristete Amtszeit.

Am Ende der Lebenszeit, bevor wir das Zeitliche segnen, möchten wir oft gern die Zeit anhalten oder zurückdrehen. Leider sind uns natürliche Grenzen gesetzt, und wir können (noch) nicht wie im Science-Fiction-Bestseller „Die Zeitmachine“ (von Herbert George Wells, 1866-146) abenteuerliche Zeitreisen in die Vergangenheit und Zukunft unternehmen.

Mit diesen vielfältigen Phänomenen der Zeit haben sich Schüler  beim Wortsegel-Schreibwettbewerb auseinandergesetzt. Zum ersten Mal in der 14-jährigen Geschichte des Wettbewerbs wurde kein bestimmter Autor als Ideengeber ausgewählt, sondern ein zentrales Thema der Literatur. Vorgegeben wurden elf Zitate und vier Themenbereiche: Leben im Zeitraffer, Zeitdiebe unter uns, verlorene Zeit und Zeitmesser.

Bei der Preisverleihung im Himmelszelt auf dem Schaumberg bei Tholey lobten der Bürgermeister der Gemeinde, Hermann Josef Schmidt, Bildungsminister Ulrich Commerçon und die Jury-Vorsitzende Irmela Freigang einhellig die Kreativität der „rekordverdächtigen“ 320 Teilnehmer aus vier Altersgruppen von der 3. bis zur 13. Klasse. Zum 13. Mal in Folge war das Saarpfalz-Gymnasium ganz vorne mit dabei. Cecilia Klein, die bereits in den Vorjahren dreimal erfolgreich war, erhielt in der Altersgruppe vier (11. - 13. Klasse) den zweiten Preis für ihr Gedicht „Wettlauf mit der Zeit“.

Darin geht es um ein Streitgespräch zwischen dem großen und dem kleinen Zeiger, so dass das Uhrwerk genervt meckert: „Ihr tickt doch alle nicht mehr richtig!“ Und die Pointe lautet: „Die Zeit lacht lauthals alle aus. / Sie läuft, als sich die Zeiger streiten, / und geht wie immer stolz als Sieger raus.“

Die Jury-Vorsitzende Irmela Freigang würdigte Cecilias Beitrag folgendermaßen: „Zeit zu dehnen oder zu raffen war schon immer der Wunsch der Menschen in bestimmten Situationen. Aber diese Möglichkeiten gibt es nur als faszinierende filmische Methoden. Dennoch haben Menschen sich oft Gedanken gemacht, die Wirklichkeit zu überlisten, den Wettlauf gegen die Zeit zu gewinnen.

Auch Cecilia Klein hat sich mit einem Augenzwinkern dieses Themas angenommen und es auch illustriert.“ Ihr humorvolles Gedicht ist samt Illustration in der Wortsegel-Broschüre abgedruckt, ebenso kommen darin die kleinen Kunstwerke von Nele Fell (6a) und Elisa Mero (6d) ganzseitig zur Geltung. Auch zahlreiche andere Schüler und Schülerinnen aus mehreren Klassen und Kursen des Saarpfalz-Gymnasiums haben originelle Gedichte eingereicht.

Das kürzeste, in ganz lakonischer Sprache, stammt von Alper Tzafer aus dem Grundkurs Geschichte 12 und trägt den symptomatischen Titel „Keine Zeit!“: „ Zeit? / Nein. / Morgen? / Nein. // Hast du Lust, was zu machen? / Ja. / Hast du Zeit? / Nein. // Keine Zeit? / Ja. / Schade. / Ja.“

Giulia Di Franco aus demselben Kurs befasst sich mit der Zeit als Geschenk, die gleichaltrige Julia Jahan Ara, ebenfalls Abiturientin 2019, thematisiert die „Reifezeit“. Marie-Chantal Motz (De 11) kommt in ihrem Gedicht „Tempus rerum imperator“ („Die Zeit als Herrscher aller Dinge“) zu dem Ergebnis: „Und träumt der Mensch von Unendlichkeit, / er hat sie nicht, / aber ich – / ich bin die Zeit!“

 Beschäftigungen rund um die Uhr, eingeteilt in Arbeitszeit, Schulbeginn: 7.45 Uhr und Freizeit, gemalt von Elisa Mero, Klasse 6 d.

Beschäftigungen rund um die Uhr, eingeteilt in Arbeitszeit, Schulbeginn: 7.45 Uhr und Freizeit, gemalt von Elisa Mero, Klasse 6 d.

Foto: Zeichnung
 Die paasende Illustration von Cecilia Klein (Klasse De 11) zu ihrem preisgekrönten Gedicht „Wettlauf mit der Zeit“.

Die paasende Illustration von Cecilia Klein (Klasse De 11) zu ihrem preisgekrönten Gedicht „Wettlauf mit der Zeit“.

Foto: Zeichnung
 Die bedrohte Erde in der Sanduhr von Chantal Motz (Klasse 11)

Die bedrohte Erde in der Sanduhr von Chantal Motz (Klasse 11)

Foto: Zeichnung
 Die erfolgreichsten Wortseglerinnen des Saarpalz-Gymnasiums im Jahr 2019 (v.l.): Elisa Mero, Cecilia Klein und Nele Fell. Sie haben nicht nur gedichtet, sondern auch gemalt.

Die erfolgreichsten Wortseglerinnen des Saarpalz-Gymnasiums im Jahr 2019 (v.l.): Elisa Mero, Cecilia Klein und Nele Fell. Sie haben nicht nur gedichtet, sondern auch gemalt.

Foto: eberhard Jung

Ida Hetberg (De 11) stellt das Hetzen der Menschen „Im Sog der Zeit“ dar. Schülersprecher Nicolas Ecker (De 11) thematisiert die Zeit als „ein vielschichtiges Wesen“. Die meisten Schüler reflektieren in ihren Texten über die sinnvolle Nutzung der Zeit, in der Oberstufe: Jessica Barth („Lebenszeit“), Selina Bauer („Wie nutzen wir unsere Zeit?“), Annika Link („Unser Leben, unsere Zeit“), Miriam Link („Veränderung – eine Metapher der Zeit?“) und Olivia Zielke („Fehlende Zeit“); in der Unterstufe: Leonie Kammerer („Das Zeitspiel“), Paula Hess („Schnell gelebt“), Sarah Fell („Wie kann Zeit sein?“), Matthias Barth („Mit dem Alter kommt die Weisheit“), Kathrin Larisch („Lange genug“) und Moritz Philipp Dietrich („Zeit verwenden, nicht verschwenden“). Helene Sophie Mäusle (10a) sinniert in ihrem Gedicht „Verlorene Zeit“ über Alltagstrott, den plötzlichen Tod, Einsamkeit und die schwierige Suche nach einem Neuanfang. Malek Al Kadah (AG Ge) bedankt sich in seiner Hommage „Ein Hoch auf die Freizeit!“ bei dem zwielichtigen Kaiser Konstantin für die Einführung des Sonntags als Feiertag. Laura Conigliaro (8d) schreibt in ihrem Alliterationsgedicht „Nimm dir Zeit!“: „Zauber Zweisamkeit. / Zeit zum Zusammenwachsen. / Zeitprobleme. / Zeitdruck zerfrisst Zweisamkeit. / Zunehmend Zwiste. / Zornige Zweifel. / Zerstörtes Zusammensein. / Zeitwende. / Zuneigung zerbricht. / Zeitlos.“ Cecilia Larisch (6a) fragt in ihrem Text „Die Uhr und ich“: „Die Uhr bleibt stehen. / Was wird jetzt passieren?“ Bleibt jetzt auch die Zeit stehen? – Vorsicht! Denn: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“ (Gorbatschow zugeschrieben, 1989).

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