Merzig-Wadern Das Volk wendet sich vom Kaiser ab

Vor wenigen Tagen waren es genau 100 Jahre her, dass durch den Waffenstillstand im Wald von Compiègne am 11. November 1918 nach viereinhalb langen Jahren endlich die Waffen schwiegen und der Erste Weltkrieg zu Ende ging. In dieser Artikelserie soll nachgezeichnet werden, wie die Menschen in der Merziger Region das Kriegsende 1918 mit seinen dramatischen Umbrüchen erlebten.

 Revolutierende Matrosen auf ihren Schiffen. Der Aufstand der Seeleute im Spätherbst 1918 bedeutete eine Zäsur in der deutschen Geschichte und eine Zäsur im Verlauf des Ersten Weltkrieges.

Revolutierende Matrosen auf ihren Schiffen. Der Aufstand der Seeleute im Spätherbst 1918 bedeutete eine Zäsur in der deutschen Geschichte und eine Zäsur im Verlauf des Ersten Weltkrieges.

Foto: Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland

Im Verlauf des Krieges waren Einfluss und Stellung der Sozialdemokraten und der Gewerkschaften zunehmend gewachsen. Die Gewerkschaften hatten zu Kriegsbeginn auf die Waffe des Streiks verzichtet. Es war ihnen dafür die Garantie ungehinderter Weiterarbeit gegeben worden. Das Gesetz über den Vaterländischen Hilfsdienst vom 5. Dezember 1916 verschaffte ihnen schließlich eine feste Stellung im wirtschaftlichen und sozialen Leben.

Als am 1. Oktober 1918 ein Vertreter der Obersten Heeresleitung die Führer der im Reichstag vertretenen Parteien über den Ernst der militärischen Lage informierte, waren die Volksvertreter regelrecht niedergeschmettert. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte es die Oberste Heeresleitung nämlich für richtig befunden, Illusionen in der Bevölkerung über die Kriegslage wachzuhalten und entsprechende Propaganda zu betreiben. Die militärisch Verantwortlichen befürchteten, dass realistische Informationen über die tatsächliche Lage an der Front ein Absinken des Durchhaltewillens der Bevölkerung nach sich ziehen würden.

Am 3. Oktober 1918 trat an die Stelle des bisherigen Reichskanzlers Hertling Prinz Max von Baden. Der neue Kanzler war als Anhänger eines Versöhnungsfriedens bekannt. In seine Regierung berief er mit dem Gewerkschaftsführer Gustav Bauer, dem Fraktionsführer der SPD im Reichstag Philipp Scheidemann und den Zentrumspolitikern Matthias Erzberger sowie Adolf Groeber auch Politiker der bisher von der Regierung ausgeschlossenen Mehrheitsparteien des Reichstages.

Ludendorff und Hindenburg glaubten zwischenzeitlich, keinen Tag länger mit dem Waffenstillstandsangebot warten zu dürfen, da die Lage an der Front immer kritischer wurde. Am 4. Oktober 1918 ging unter dem Druck der Obersten Heeresleitung das deutsche Gesuch um Waffenstillstand an den amerikanischen Präsidenten Wilson hinaus. Der deutschen Öffentlichkeit war der Ernst der Lage an der Front mittlerweile mehr und mehr bewusst geworden. Auch in unserer Region hatten die Zeitungen ihren Lesern über das deutsche Waffenstillstandsangebot berichtet. Die Merziger Zeitung sprach am 9. Oktober 1918 von „entscheidenden Stunden“, vor denen man stehe, und merkte weiter an:

„Der großen Nervenanspannung der letzten Tage ist heute eine gewisse Beunruhigung in allen politischen Kreisen gefolgt. Man sieht der Antwort des Präsidenten Wilson, die über Krieg und Frieden zu entscheiden haben wird, hauptsächlich ohne Zagen entgegen. Wie der Kanzler am Samstag sagte: Die Nachrichten von der Front lauten durchaus günstig, die Moral unserer Truppen ist ausgezeichnet. Die Ablehnung des Friedensangebotes würde bei unseren Soldaten Folgen haben, die der Gegner sich nicht gleich träumen lässt. - Über die Antwort selbst ist nichts Authentisches bekannt.“

Der amerikanische Präsident zögerte zunächst mit einer Stellungnahme, da jeder Tag die Lage an der Front zugunsten der Alliierten verschob. Zudem nahmen die Beratungen zwischen Amerika und den Entente-Staaten eine gewisse Zeit in Anspruch.

Zu diesem Zeitpunkt waren große Teile der deutschen Bevölkerung durchaus noch der Ansicht, dass die deutschen Armeen dem Ansturm der Feinde immer noch standhalten könnten. Viele waren der Überzeugung, dass Regierung und Oberste Heeresleitung ihr Waffenstillstandsangebot dem amerikanischen Präsidenten aus einer Position der Stärke heraus unterbreitet hätten.

So gab die Merziger Zeitung ihren Lesern am 18. Oktober 1918 zu verstehen:

„Unser Friedensangebot an Wilson darf keinen Ausdruck der Schwäche auslösen. Die feindliche Presse frohlockt bereits darüber, dass die Widerstandskraft unserer Front im Schwinden begriffen sei. Unser starkes Heer wird sie eines Besseren belehren. Unsere tapferen Soldaten müssen in diesem kritischen Zeitpunkt mit erneuter Zähigkeit die Nerven anspannen und den Feinden beweisen, dass ihre Hoffnung auf den Zusammenbruch trügerischer Wahn ist. Dann wird das deutsche Friedensangebot, auch wenn es von den Feinden als Schwäche gedeutet wird, sich die Achtung verschaffen, die ihm zukommt.“

Am 23. Oktober 1918 ließen die Amerikaner nach mehrfachem Notenwechsel die deutsche Regierung schließlich wissen, dass der Waffenstillstand den Alliierten die Möglichkeit geben müsse, die Durchführung jeder in einem späteren Frieden zu treffenden Vereinbarung zu erzwingen. Dies bedeutete im Klartext, dass die Alliierten das deutsche Gesuch um einen Waffenstillstand quasi mit der Forderung nach militärischer Selbstaufgabe beantwortet hatten.

Noch einmal bäumte sich daraufhin der Wille der militärischen Führung gegen das unabwendbare Schicksal auf. Die Oberste Heeresleitung erklärte in einem Rundtelegramm an die Truppenführer die militärische Kapitulation für unannehmbar. Doch hatten die militärischen Führer die Zeichen der Zeit noch nicht erkannt. Der Kampf bis zum Untergang mochte vielleicht den Werten und Idealen des höheren Offizierskorps entsprechen. Die breiten Massen des Volkes konnte man jedoch nicht länger vom Sinn des Weiterkämpfens überzeugen. Zu sehr hatte das Waffenstillstandsangebot die Hoffnungen der Bevölkerung auf einen baldigen Frieden genährt. Die überstürzte deutsche Bitte um Waffenstillstand kam daneben dem Eingeständnis gleich, dass Deutschland militärisch am Ende war.

Ludendorff war durch seine widersprüchliche Haltung politisch untragbar geworden. Am 26. Oktober 1918 löste ihn daraufhin General Groener als Generalquartiermeister ab.

Durch das verfassungsändernde Gesetz vom 28. Oktober 1918 beschloss der Reichstag den Übergang zu einem parlamentarischen Regierungssystem. Der Reichskanzler sollte dadurch an das Vertrauen des Reichstages gebunden sein.

Einen Tag später, am 29. Oktober 1918, begannen die Matrosen der deutschen Hochseeflotte zu meutern. Der Anlass für diese Meutereien war zunächst nicht politischer Art. Nachdem der U-Boot-Krieg schon im Oktober auf Verlangen der Amerikaner als Vorbedingung für die Waffenstillstandsverhandlungen hatte eingestellt werden müssen, wollte die deutsche Seekriegsleitung die Hochseeflotte einsetzen. Der geplante Vorstoß der Flotte in den Kanal und gegen die englische Küste sollte zu einer zeitweiligen Unterbrechung des Nachschubweges zwischen England und Frankreich führen und den an der Front in Frankreich kämpfenden deutschen Truppen eine gewisse Entlastung bringen.

Allerdings spielten strategische Überlegungen dieser Art beim Zustandekommen des Einsatzbefehls nur eine untergeordnete Rolle. Entscheidend war vielmehr die Vorstellung der Admiralität, einer schmachvollen Kapitulation einen nach ihren Wertvorstellungen ehrenvollen Untergang einer bis zum letzten kämpfenden Flotte vorzuziehen. Doch kam es dazu nicht mehr. Als die Schiffe den Befehl zum Auslaufen erhielten, rissen die Matrosen das Feuer unter den Kesseln weg. Sie sahen im Einsatz der Flotte den unsinnigen Versuch, den Krieg zu verlängern sowie Schiffe und Mannschaften einer falsch verstandenen heroischen Geste zu opfern.

Die Meutereien nahmen am 29. Oktober ihren Anfang in Wilhelmshaven und ergriffen in wenigen Tagen die norddeutschen Häfen. Am 4. November befand sich Kiel in den Händen der Matrosen. Über den Kriegsschiffen, dem Stolz des kaiserlichen Deutschland, wehte die rote Fahne.

Diese Meuterei war noch keine Revolution. Sie richtete sich auch keineswegs gegen die Regierung in Berlin, in der mit dem Sozialdemokraten Scheidemann und dem Zentrumsmann Erzberger mittlerweile Vertreter der Mehrheitsparteien saßen. Die Meuterei richtete sich allerdings unzweifelhaft gegen den Kaiser. In dessen Person sah man die Ursache dafür, dass der Krieg trotz des Waffenstillstandsangebotes immer noch weiter andauerte. Der amerikanische Präsident Wilson hatte in seiner Antwortnote auf das deutsche Waffenstillstandsangebot am 23. Oktober 1918 die Abdankung des Kaisers als Vorbedingung für die zu führenden Verhandlungen gefordert. Das kriegsmüde Volk sah daher in Wilhelm II. das Haupthindernis für den ersehnten Frieden. Der Ruf nach einem Thronverzicht des Kaisers wurde deshalb immer stürmischer.

Es ist anzunehmen, dass es auch in der Merziger Region nicht nur Anhänger der Monarchie gab. Vielmehr kann man davon ausgehen, dass in unserer Gegend ebenfalls die Stimmen immer lauter wurden, die gegen den Kaiser Partei ergriffen und sich dafür aussprachen, Wilhelm II. möge auf den Thron verzichten. Die Merziger Zeitung, die in der Vergangenheit stets eine kaisertreue Haltung vertreten hatte, fragte am 31. Oktober 1918 voller Besorgnis:

„Wohin geht die Fahrt? So fragt sich mancher Deutsche in diesen Tagen der Spannung und bangen Erwartung. Schwarze Wolken stehen unheilverkündend am politischen Horizont. Immer offener wagt sich der Umsturz hervor, und immer drohender schallt’s aus dem feindlichen Blätterwald und sogar aus dem Munde vaterlandsloser Gesellen: ‚Hinweg mit ihm! Hinweg mit dem Kaiser und dem Geschlecht der Hohenzollern!‘ Da ist’s hohe Zeit, dass sich die wahren Vaterlandsfreunde zusammenscharen und ihrer unwandelbaren Liebe und Treue zum Heimatland und zum angestammten Herrscherhause erneuten und lauten Ausdruck geben. Wir sollen unseren edlen, erhabenen Kaiser verstoßen, wir sollen den stolzen Hohenzollern-Aar töten, der uns so wunderbar geführt hat zu Sieg und Ehren, zu Kraft und Wohlstand? Nimmermehr darf dies geschehen. - Ein Verräter des Vaterlandes, der nur einem solchen Gedanken Raum gibt! Man sollte, wie in anderen deutschen Städten, so auch hier vaterländische Versammlungen abhalten, in denen kerndeutsche Männer ein ernstes Wort reden und Eidbrecher eines Besseren belehren.“

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