Fußball – das war und ist sein Leben

Honzrath · Deutschland ist zum vierten Mal Weltmeister. Otto Ney aus Honzrath hat alle Titel miterlebt. Den ersten 1954 in Bern sogar im Stadion. Noch heute schaut der 93-Jährige Fußball aus aller Welt. Vor allem aus England.

Otto Ney hat es sich gemütlich gemacht. Die Hände ruhen auf den Gehstock mit dem abgewetzten Griff. Das weiße Haar streng zurückgekämmt, sitzt er auf der Bank am Rande des Familiengartens in Honzrath und lässt den Blick über das Blumenmeer schweifen. Ein Patriarch unter seiner Pergola. Doch plötzlich lächelt Ney , und seine Augen glitzern. Aus dem 93-Jährigen - "93 Jahre und sechs Monate", korrigiert er schmunzelnd - sprudelt beinahe jugendliche Begeisterung: "Die Weltmeisterschaft 1954. Das war schon etwas Besonderes. Da sind wir in der Vorrunde mit dem Bus nach Basel zum Spiel gegen Ungarn gefahren. Aber das lief dann ja nicht so gut."

3:8 unterlag die deutsche Mannschaft dem großen WM-Favoriten, bis heute eine der höchsten Niederlagen ihrer Geschichte. Neys WM-Abenteuer schien schon vorbei, als es gerade erst begonnen hatte. "Wir sind dann mit dem Bus wieder zurück nach Fraulautern. Wir mussten ja zur Arbeit." Doch die deutsche Mannschaft rettete sich ins Viertelfinale, siegte erst gegen Jugoslawien, dann gegen Österreich und stand plötzlich im Finale - wider alle Erwartungen wieder gegen Ungarn und wieder mit Ney im Stadion: "Ich bin einfach noch einmal runtergefahren." 3:2 siegte Deutschland - das Wunder von Bern . Ney erinnert sich vor allem an den Regen im Stadion: "Alles war nass. Die Zuschauer hatten sich alle die Kapuzen tief ins Gesicht gezogen. Und dann haben sie alle gejubelt."

Fußball, das war und ist sein Leben. Selbst in englischer Kriegsgefangenschaft. In London waren er und seine Mitgefangenen nah dran am Herzen des englischen Fußballs. "Fulham, Chelsea, Queenspark, die Stadien waren alle in der Nähe. 1947 habe ich in Wembley das Pokalfinale zwischen Charlton Atheltic und Burnley gesehen. 1:0 hat Charlton durch ein Tor von Duffy in der Verlängerung gewonnen." Es sind diese Momente, in denen er sein Alter vergessen lässt, wenn er Aufstellungen und Ergebnisse aufzählt, ohne nachdenken zu müssen.

Und all das, ohne seine Erinnerungen zu verklären. Er mag den modernen Fußball. "Ich glaube, dass die Mannschaft, die am Sonntag Weltmeister geworden ist, vielleicht die stärkste ist, die Deutschland je hatte." Trotz großer Spieler wie Franz Beckenbauer oder Lothar Matthäus, die er alle hat spielen sehen, und trotz Fritz Walter, mit dem Ney zu Beginn des Zweiten Weltkriegs gemeinsam stationiert war. Bis halb zwei saß er am Sonntag vor dem Fernseher: "Erst als der Kommentator fertig war, hab ich ausgeschaltet." Er lächelt. Noch heute schaut er Fußball aus ganz Europa. Aus Spanien, vor allem aber aus England . "Ich mag den englischen Fußball. Er ist schnell und kompromisslos. Das ist für mich Fußball." Und er muss es schließlich wissen, nach fast einem Jahrhundert Fußball.

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