Der christliche Glaube als gesellschaftliches Muss

Merzig · Kein Thema bewegt in diesen Tagen die Gemüter im Land so sehr wie die durch die Flüchtlingskrise bedingte Masseneinwanderung nach Deutschland. In diesem Beitrag soll die Zuwanderung in die Merziger Region während der letzten 200 Jahre als eine Geschichte der auf vielfache Weise stattgefundenen Begegnung mit dem Fremden dargestellt werden.

 Die Merziger Synagoge von innen. Foto: Stadtmuseum Simeonstift Trier

Die Merziger Synagoge von innen. Foto: Stadtmuseum Simeonstift Trier

Foto: Stadtmuseum Simeonstift Trier

Da gab es einst die so genannte Ritualmordlegende. Sie besagte, dass Juden um die Osterzeit Christenknaben entführen und schlachten, um deren Blut zu trinken. Die schlimmsten Verfolgungen spielten sich in den Jahren 1348/49 ab. In Europa wütete damals die Pest. Wie man heute weiß, wurde diese Seuche durch Flöhe von Ratten auf Menschen übertragen. Doch suchte man zu jener Zeit einen Schuldigen und machte im Zusammenhang mit der Epidemie den Juden den Vorwurf der Brunnenvergiftung. Man ließ sie verfolgen, folterte und quälte sie so lange, bis sie gestanden, Brunnen vergiftet zu haben. Für das göttliche Strafgericht, als das der "schwarze Tod" galt, war damit ein Sündenbock gefunden. Der tausendfache Tod ihrer Mitglieder auf dem Scheiterhaufen, dem Rad und am Galgen vernichtete die meisten jüdischen Gemeinden.

Diese zunächst religiös bedingte Gegnerschaft wirkte sich in einer Gesellschaftsordnung, die wie die mittelalterliche weitgehend auf christlichen Vorstellungen beruhte, in zahlreichen Lebensbereichen aus. Ein vollwertiges Mitglied der Gesellschaft musste christlichen Glaubens sein. Alle anderen gehörten der Gesellschaft eigentlich nicht an. Sie hatten Beschränkungen hinzunehmen. So war es für Juden unmöglich, die Beamten- oder Militärlaufbahn einzuschlagen, da mit diesen Berufen Macht über Christen verbunden war. Auch der Erwerb von Grundbesitz und der Betrieb von Landwirtschaft in größerem Stil blieben Juden untersagt. Ebenso verschlossen blieb ihnen der Weg zu handwerklichen Berufen, da sie zu den christlichen Zünften keinen Zutritt hatten. Juden wurden auf diese Weise seit dem Mittelalter aus der wirtschaftlichen Gesellschaft des "christlichen" Kaufmannsstandes systematisch herausgedrängt; vielmehr wurden ihnen "unehrliche" Berufe zugewiesen.

Juden bot sich schließlich als einzige wesentliche Möglichkeit zum Broterwerb die Ausübung von Handelstätigkeiten an. Dabei spielte vor allem der Handel mit Geld, neben dem mit Vieh, hier in unserer Region ebenso wie in anderen Gebieten eine besondere Rolle. Das Verleihen von Geld gegen Zinsen war Christen nicht erlaubt, widersprach es doch der mittelalterlichen Vorstellung vom "gerechten Preis".

Wer Zinsen nahm, wobei die Höhe keine Rolle spielte, galt von vornherein als Wucherer und Sünder. Daher waren die Juden diejenigen, denen die Rolle des Kreditgebers für praktisch alle Schichten der mittelalterlichen Gesellschaft zufiel. Damit entstand allerdings zugleich ein neues Vorurteil: das Bild vom halsabschneiderischen Juden . Beim Übergang zu modernen Wirtschaftsformen nutzten die Juden natürlich den Erfahrungsvorsprung, den sie durch die ihnen früher aufgezwungenen Berufe besaßen.

Zwar hatte es seit dem Beginn der frühen Neuzeit keine Verfolgungen und Pogrome gegen die jüdische Bevölkerung mehr gegeben. Dennoch war der erhobene Vorwurf, der Jude sei von Natur aus ein Geldmensch, ein "Wucherer" und "Blutsauger", auch zu Beginn des 19. Jahrhunderts bei einem Großteil der christlichen Bevölkerung latent vorhanden. Teilweise sollte dieses Klischee sogar noch bis zur Gegenwart fortwirken.

Obwohl Juden in ihrer Erwerbstätigkeit bis ins frühe 19. Jahrhundert zahlreichen Beschränkungen unterworfen waren, hatte sich ihre Lage im weiteren Verlauf dieses Jahrhunderts stetig verbessert. In der Merziger Region wuchs die Zahl der jüdischen Bevölkerung im Verlauf des 19. Jahrhunderts permanent an. 1823 wurden im Kreis Merzig insgesamt 211 Juden gezählt, von denen 123 in Merzig, 32 in Brotdorf, 52 in Hilbringen und 4 in Beckingen lebten. 1905 zählte man insgesamt 411 Juden im Kreisgebiet, was damals aber lediglich 0,77 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachte.
Juden zunehmend akzeptiert

In den 1850er Jahren begann sich das Verhältnis zwischen Juden und Christen schließlich sichtbar zu entspannen. Die Gesetze von 1869 und 1871 brachten der jüdischen Bevölkerung zunächst im Norddeutschen Bund und schließlich nach der Reichsgründung sogar im gesamten Deutschen Reich die offizielle bürgerliche Gleichstellung. Das lange erstrebte Ziel, nicht mehr "Juden in Deutschland", sondern "deutsche Juden " zu sein, schien in Erfüllung gegangen zu sein. Auf gesellschaftlicher Ebene gab es, vor allem in Dörfern und kleineren Städten, zunehmend Annäherungen an die christliche Umgebung. So nahmen an der Einweihung mehrerer neuerrichteter Synagogen hier in der Saargegend sowohl die christliche Obrigkeit als auch Teile der Bevölkerung Anteil. < Wird fortgesetzt.

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