Dafür oder Dagegen? - Fakten für zwei Standpunkte Sollen drei AKW wegen der Gaskrise länger laufen?

Analyse · Christian Lindner und Friedrich Merz drängeln, Kritiker weisen auf Probleme hin, die nicht zuletzt technischer und rechtlicher Natur sind.

 Soll das AKW Isar 2 länger laufen, damit weniger Kohle verstromt werden muss?

Soll das AKW Isar 2 länger laufen, damit weniger Kohle verstromt werden muss?

Foto: dpa/Armin Weigel

PRO

Angesichts des Ausfalls von Gaslieferungen plant die Politik, Kohlekraftwerke wieder hochzufahren – obwohl Deutschland den schrittweisen Kohleausstieg beschlossen hat. Denn Kohle setzt CO2 frei und heizt das Erdklima auf. Die Erzeugung von Atomstrom ist dagegen klimaneutral – sieht man von den Emissionen beim Bau der Anlagen ab. Letztere spielen aber in der aktuellen Debatte keine Rolle – denn die drei Kraftwerke stehen ja bereits, sie sollen bisher lediglich aus politischen Gründen deutlich vor Ende ihrer technischen und wirtschaftlichen Lebensdauer abgeschaltet werden

Im Strombereich decken die drei sich noch am Netz befindlichen deutschen AKW Isar 2, Emsland und Neckarwestheim 2 mit insgesamt 30 Terrawattstunden im Jahr noch immer rund fünf Prozent der deutschen Stromproduktion ab, die ab kommendem Jahr, mitten in eine Energiekrise, aus anderen Quellen gedeckt werden müssen.

Der Atomstrom ist „grundlastfähig“. Das heißt, er steht bei jeder Wetterlage zur Verfügung – anders als Sonne und Wind.

Das Abschalten deutscher Atommeiler erhöht die Sicherheit hierzulande kaum, da die Nachbarländer, insbesondere Frankreich, weiter auf Atom setzen und Radioaktivität keine Landesgrenzen kennt. Die deutschen AKW haben international einen hohen Sicherheitsstandard.

Nach Angaben des Branchenverbands Kerntechnik ist die Beschaffung neuer Brennstäbe für die verbliebenen Kraftwerke vor dem Jahresende machbar. Als Ersatz seien auch Lieferungen aus Australien oder Kanada möglich – vorbei am Hauptlieferanten Russland.

Das Mehr an Atommüll, das durch eine befristete Verlängerung der drei Atomkraftwerke entsteht, stellt nur einen Bruchteil des bereits in Deutschland erzeugten Atommülls dar. Es macht daher mit Blick auf die offene Endlagersuche keinen Unterschied mehr.

CONTRA

Gegen die Verlängerung der Atomkraft spricht nicht nur die ungelöste Entsorgungsfrage, auch die Sicherheitsthematik hat durch den Ukrainekrieg neue Relevanz. Das zeigt der Beschuss des AKW Saporischschja durch die russische Armee.

Auch Sabotageakte oder Cyberangriffe sowie ein kriegsbedingter Stromausfall mit Folgen für die Kühlung des Reaktorkerns seien möglich, schreiben die Bundesministerien für Wirtschaft und für Umwelt in ihrer Evaluation einer Laufzeitverlängerung. 

Wirtschaftlich und technisch haben sich die AKW-Betreiber seit Jahren auf das Abschaltdatum Ende 2022 vorbereitet. Die Brennelemente in den Anlagen sind dann abgebrannt. Ein längerer Betrieb über den 31.12.2022 hinaus könnte allenfalls für etwa 80 Tage durch einen sogenannten Streckbetrieb ermöglicht werden – was aber weniger Strom im Sommer bedeuten würde.

Die Produktion neuer Brennelemente dauert nach Einschätzung der Bundesministerien zwölf bis 15 Monate. Selbst bei sofortiger Bestellung und beschleunigter Abwicklung wäre frühestens eine Nutzung im Sommer/Herbst 2023 möglich.

Die drei AKW hätten 2019 aufwändig technisch überprüft werden müssen, was mit Blick auf ihr nahes Betriebsende unterblieb. Das müsste nachgeholt werden, unter Umständen wären hohe Investitionen in neue Sicherheitstechnik nötig. Zudem müsste das Atomgesetz geändert werden, das ein Betriebsende bis 2022 vorsieht. Die Betreiber haben sich auch in ihrer Personalplanung bereits auf das Ende eingestellt (Stichwort: Vorruhestand).  

Nach Angaben der Energie-Ökonomin Claudia Kemfert hat Deutschland weniger ein Strom- als ein Gasproblem. Atomenergie könne das Gas fürs Heizen und für die Industrieproduktion nicht ersetzen. Daher stehen Kosten und Nutzen einer Verlängerung der AKW-Laufzeit in keinem günstigen Verhältnis. ulb

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