Bildungsoffensive gefordert Kritik der Arbeitskammer: Bildung im Saarland wird den Anforderungen einer modernen Gesellschaft „nicht gerecht“

Saarbrücken · Mehr Personal, mehr Angebote in der Schulsozialarbeit, der Sprachförderung und Inklusion sowie in den Kitas. Die Arbeitskammer fordert eine Bildungsoffensive im Saarland. Und übt knallharte Kritik an der aktuellen Situation.

Arbeitskammer moniert: Saarland Schlusslicht bei Bildungsausgaben ​
Foto: dpa/Arno Burgi

Im Saarland muss nach Überzeugung der Arbeitskammer (AK) dringend mehr Geld ins Bildungswesen für zusätzliches Personal und Unterstützung in Kitas, Schulen, Hochschulen und Weiterbildungseinrichtungen gesteckt werden. In ihrem am Freitag vorgelegten fast 500 Seiten umfassenden neuen Jahresbericht an die Landesregierung fordert die Interessenvertretung aller saarländischen Arbeitnehmer eine entsprechende Bildungsoffensive für mehr Chancengleichheit auch ärmerer oder anders benachteiligter Menschen sowie für die wirtschaftliche Zukunft des vom Fachkräftemangel geplagten Landes. Es dürfe nicht länger hingenommen werden, dass das Saarland bei den Pro-Kopf-Bildungsausgaben (1500 Euro gegenüber 1977 Euro im Bundesdurchschnitt) Schlusslicht im Vergleich der 16 Bundesländer sei, betonten AK-Vorstandsvorsitzender Jörg Caspar und AK-Hauptgeschäftsführer Thomas Otto. Hier seien auch der Bund und die Kommunen mehr gefordert.

Doch trotz der von der Arbeitskammer beklagten Investitionsmisere im Bildungswesen dürfte das Saarland nach SZ-Informationen im neuen am 17. August erscheinenden INMS-Bildungsmonitor 2022 des Instituts der deutschen Wirtschaft und der Inititiative Neue Soziale Marktweirtschaft (INMS) seinen Spitzenplatz aus dem Vorjahr (5. unter 16 Bundesländern) hinter Hamburg und Bayern, aber vor Baden-Württemberg verteidigt haben. „Es fehlen noch ein paar Daten, aber die Bildungserfolge des Saarlandes haben sich verstetigt“, sagt INMS-Bildungsmonitor-Pressesprecher Florian von Hennet (Berlin) auf SZ-Anfrage. Im Arbeitskammer-Bericht an die neue Saar-Regierung heißt es dagegen knallhart: „Trotz aller Anstrengungen und zuletzt erzielter Fortschritte wird unser Bildungssystem den Anforderungen einer modernen Gesellschaft noch immer nicht gerecht.“ Auch Bildungsmonitor-Sprecher Hennet bestätigt, dass die Schulabbrecherquote im Saarland (zuletzt 7,2 Prozent) weiterhin über dem Bundesdurchschnitt liegt.

Die AK bemängelt: „Nach wie vor hängt der Bildungserfolg stark von der sozialen Herkunft ab. Die Klassen werden immer vielfältiger, auch aufgrund der zunehmenden Zahl geflüchteter Kinder und Jugendlicher. Zu viele erreichen die schulischen Mindeststandards nicht und der Mangel an pädagogischen Fachkräften in Kitas und Schulen spitzt sich zu. Die Corona-Pandemie hat die bildungspolitischen Versäumnisse der vergangenen Jahre offenbart. Sie sind eine Folge mangelnder Investitionen, Kürzungen und Sparmaßnahmen.“ Schon jetzt komme nahezu jedes dritte Kind im Saarland aus einer Familie mit Risikolage, was mehr „Bildung gegen Armut“ erfordere. Zudem müssten die Betriebe mehr ausbilden. „Eine jetzige Ausbildungsquote von 22,6 Prozent reicht zur Deckung des benötigten Fachkräftemangels nicht aus.“

Konkret verlangt die Arbeitskammer in ihrem Bericht: eine bessere Schul-Unterrichtsversorgung mit Lehrkräften von mindestens 105 Prozent, bis zu 30 Prozent mehr Personal für Gemeinschaftsschulen mit besonderen sozialen und pädagogischen Herausforderungen, einen Schwerpunktbereich Inklusionspädagogik, einen Ausbau der Schulsozialarbeit und der Sprachförderung für ukrainische und andere Flüchtlinge an beruflichen Schulen sowie eine Einbeziehung der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW). Dazu sollten Kita-Angebote quantitativ wie qualitativ zu Familienzentren ausgebaut sowie ein Jugendparlament und eine landesweite Jugendberufsagentur im Saarland samt rechtlicher verankerter Ausbildungsgarantie geschaffen werden. Weiterbildungszentren sollten noch stärker eine Kultur des lebenslangen Lernens fördern.

Und wer soll das alles bezahlen ? Dazu AK-Vorstandsvorsitzender Jörg Caspar: „Damit all das gelingt und im Saarland eine inklusive, chancengerechte und hochwertige Bildung nachhaltig gestaltet und finanziert werden kann, gilt es die Einnahmebasis der öffentlichen Hand zu verbessern, das Kooperationsverbot aufzuheben und die Schuldenbremse auszusetzen. Dafür müssen Bund, Länder und Kommunen gemeinsam in die Verantwortung gehen.“

Der Bericht mache sehr deutlich: „Wenn wir mehr Chancengleichheit, bessere Zukunftsperspektiven für alle Kinder und Jugendlichen und bessere Bedingungen für Familien im Land wollen, brauchen wir hohe Investitionen in unser Bildungssystem“, sagte am Freitag Saar-Bildungsministerin Christine Streichert-Clivot (SPD). „Mit ihrem Bericht gibt die Arbeitskammer wichtige Impulse, dafür bin ich ausdrücklich dankbar.“ Der Bericht sei aber gleichzeitig eine Bestätigung für „unsere Politik“, ist die Ministerin überzeugt. „Denn in den vergangenen Jahren haben wir viele Verbesserungen erreicht und wichtige Projekte – wie den Ausbau der digital gestützten Bildung, des Ganztags oder den Abbau der Kita-Elternbeiträge – entscheidend vorangebracht.“

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