Kritik an Großprojekt wird lauter

Liberale und Linke sind bereit, die Notbremse zu ziehen. Die Grünen sind skeptisch geworden. Die Freien Wähler sind generell gegen "Stadtmitte am Fluss". SPD und CDU halten sich noch bedeckt. Alle sind gespannt auf eine Grundsatzrede von Oberbürgermeisterin Charlotte Britz am Dienstag.

Saarbrücken. Die Zustimmung zum Großprojekt "Stadtmitte am Fluss" bröckelt. Am Sonntag ging die neu gewählte FDP-Stadtratsfraktion auf Distanz zu den aktuellen Planungen der Stadtverwaltung. "Wir empfehlen, ganz schnell komplett neu über das Projekt und eine abgespeckte Form von ,Stadtmitte am Fluss' nachzudenken", sagte der Vorsitzende der FDP-Stadtratsfraktion, Friedhelm Fiedler. Auch der Fraktionsvorsitzende der Linken im Stadtrat, Rolf Linsler, hat am Sonntag angekündigt, das Projekt auf den Prüfstand zu stellen.Bereits am Freitag hatten die Stadtrats-Grünen Bedenken angemeldet und einen "Plan B" für das Projekt gefordert. Wenn der Autobahntunnel zwischen Bismarck- und Luisenbrücke nicht finanzierbar sei, müsse man sich womöglich mit Lärmschutz und einer Abstufung der Stadtautobahn zur Bundesstraße begnügen, sagte der Grünen-Stadtverordnete Guido Vogel (die SZ berichtete).

"Wir müssen ein dickes Fragezeichen hinter ,Stadtmitte am Fluss' machen. Weitermachen wie bisher geht nicht", sagte Fiedler gestern. Noch im laufenden Jahr werde die Stadt wegen der Finanz- und Wirtschaftskrise 18 bis 22 Millionen Euro weniger einnehmen als geplant. Der Trend werde sich in den kommenden Jahren fortsetzen. In dieser "desaströsen Lage" sei nicht daran zu denken, dass die Stadt 100 Millionen Euro und mehr als Eigenanteil für das Großprojekt aufbringe.

Zumal es fraglich sei, ob das Land seinen 100-Millionen-Euro-Anteil wegen der gesetzlich verankerten Schuldenbremse leisten könne. Der Bund bezuschusse das mit zwischen 380 und 400 Millionen Euro veranschlagte Projekt mit höchstens 80 Millionen Euro, von der EU kämen voraussichtlich 50 Millionen, sagt Fiedler. Die verbleibenden 250 bis 270 Millionen Euro seien von Stadt und Land nicht zu finanzieren.

Für Schuldentilgung und Folgekosten käme auf die mit über einer halben Milliarde Euro verschuldete Stadt eine zusätzliche Belastung von jährlich sieben bis acht Millionen Euro zu. Die FDP werde "diese finanzielle Höllenfahrt nicht mitmachen".

Wie die Grünen befürchtet die FDP, dass Verkehr von der Autobahn in die eh schon stark belasteten Straßen der Innenstadt umgelenkt wird. Das erhöhe die Attraktivität der City nicht. "Wir erwarten von der Oberbürgermeisterin am Dienstag im Stadtrat glasklare Aussagen. Wir erwarten von der Oberbürgermeisterin, dass sie - wenn sie die Fakten so sieht wie wie wir - sofort umsteuert", sagte Fiedler.

Linke-Chef Linsler sieht wie Fiedler die Gefahr, dass sich die Stadt zu viel aufbürdet und dadurch handlungsunfähig wird. Beide Parteien sind sich einig, dass die Stadtmitte nicht zu Lasten der Stadtteile saniert werden darf. "Wir werden uns das genau ansehen und dann entscheiden", sagte Linsler.

Baudezernentin Rena Wandel-Hoefer bekräftigte gestern, dass das Projekt zu finanzieren sei und das neue Verkehrskonzept funktionieren werde.

Wandel-Hoefer: "Das Konzept wird funktionieren"

In einer Veranstaltung sprach Saarbrückens Baudezernentin Rena Wandel-Hoefer über Saarbrücken als Lebensort. Die Stadtsoziologin Martina Loew stellte Bausteine der Urbanität vor und machte Mut.

Saarbrücken.
Saarbrückens Baudezernentin Rena Wandel-Hoefer wirbt unbeirrt für das Großprojekt "Stadtmitte am Fluss": "Das Konzept wird funktionieren." Das sagte sie gestern bei einer Veranstaltung zum 100. Geburtstag der Großstadt Saarbrücken im Innenhof der Stadtgalerie. "Lebensorte - Lebenswelten" war der Titel. Saarbrücken als Lebensort ist gut verbunden mit Frankreich. Das machte Rena Wandel-Hoefer deutlich, als sie sagte, Saarbrücken sei das Zentrum einer ganzen Region, die französische Grenzregion eingeschlossen. Die Probleme: In Saarbrücken wie in anderen Städten auch müsse man sich Gedanken machen über den demografischen Wandel und den negativen Entwicklungen städtebaulich entgegenwirken. Viele Menschen würden zwar in Saarbrücken und dem Saarland arbeiten, aber es als Wohnsitz meiden. Stadtmitte am Fluss sei die beste Möglichkeit, die Stadt attraktiver zu machen. Aber: "Die Debatten über öffentlichen Raum reduzieren sich zu sehr auf den Verkehrsraum", beklagt Wandel-Hoefer.

Einen Baukasten der Urbanität stellte die Darmstädter Stadtsoziologin Martina Loew vor. Die Innenstadtentwicklung mit versiegelten Grünflächen, Stadtbrachen und Leerstand, einer Arm-Reich-Spaltung und fehlendem Wohnraum für mittlere Einkommensgruppen sei ein Teil der vielen Probleme, denen sich Städte stellen müssen. Der demografische Wandel mit Geburtenrückgang und einer zunehmend älter werdenden Bevölkerung, Migration und fehlenden Bildungslandschaften seien weitere Aspekte. Die Soziologin berichtete von Überlegungen, Städte wie Wittenberge oder Zittau gänzlich aufzugeben. Zudem ändere sich die Vorstellung der Menschen von Stadt. "Viele sehen in ihr nur ein privates Freizeitareal."

Im Anschluss an die Vorträge war Platz für Fragen und Anmerkungen der etwa 60 Zuhörer. Kritik an fehlender Bürgerbeteiligung bei "Stadtmitte am Fluss" ließ Wandel-Hoefer nicht gelten. In Bürgerwerkstätten und Diskussionen sei genügend Platz eingeräumt worden, Ideen zu entwickeln, Anregungen zu geben oder Kritik zu äußern. Auch die von vielen kritisch betrachtete Tunnellösung für die Autobahn sei notwendig, sagte die Baudezernentin. Die Lärmbelastung sei momentan zu groß. Es gebe prominente Beispiele für überdeckelte Straßen in Freiburg, Heidelberg oder Metz.

Soziologin Loew: "Zahlreiche städtebauliche Projekte sind in der Vergangenheit umstritten gewesen. Danach wurden sie von der Bevölkerung geliebt."

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