Faule Tricks per Anonymität im Internet

Wehrden. Der so genannte Bürgerhaushalt ist bundesweit in vieler Munde. Über 100 deutsche Kommunen probieren derzeit solche Mitbestimmungsmodelle aus, und die Grünen haben bereits vor Monaten einen Bürgerhaushalt für Völklingen gefordert. Die Stadt Trier lässt bereits im dritten Jahr über ein Internet-Portal ihre Bürger über den Stadthaushalt mitbestimmen

 Das interessiert Trierer Bürger laut Abstimmung im Internet im Moment am meisten: Schlaglöcher und Vandalismusschäden und deren schnelle Reparatur . . .

Das interessiert Trierer Bürger laut Abstimmung im Internet im Moment am meisten: Schlaglöcher und Vandalismusschäden und deren schnelle Reparatur . . .

Wehrden. Der so genannte Bürgerhaushalt ist bundesweit in vieler Munde. Über 100 deutsche Kommunen probieren derzeit solche Mitbestimmungsmodelle aus, und die Grünen haben bereits vor Monaten einen Bürgerhaushalt für Völklingen gefordert. Die Stadt Trier lässt bereits im dritten Jahr über ein Internet-Portal ihre Bürger über den Stadthaushalt mitbestimmen. Jürgen Plunien, stellvertretender Vorsitzender und haushaltspolitischer Sprecher der Trierer CDU-Stadtratsfraktion, stand bei einer Informationsveranstaltung am Mittwochabend in der Kulturhalle Wehrden rund 50 Interessierten Rede und Antwort. Eingeladen hatte die Völklinger CDU-Stadtratsfraktion, und deren Vorsitzender Stefan Rabel moderierte.Laut Plunien haben sich in Trier (um die 110 000 Einwohner) rund 2500 für das Mitbestimmungsverfahren angemeldet. Sie bleiben unter ihrer E-Mail-Adresse anonym, müssen aber zwecks eventueller Nachkontrolle eine Anschrift nennen. Während früher alle Vorschläge angenommen wurden, werden in der aktuellen Haushaltsrunde nur noch Sparvorschläge berücksichtigt. Die Nutzergemeinde kann per Internet abstimmen, welches die besten Ideen sind (siehe "Auf einen Blick"). Insgesamt 60 Vorschläge, die sich so herauskristallisieren, werden von der Stadtverwaltung geprüft und kommentiert. Die so bearbeiteten Vorschläge werden dann dem Stadtrat zur Entscheidung bei der Haushaltsberatung in diesem Dezember vorgelegt.

Dreijährige Testphase

Wie Plunien betonte, sind sich die Trierer selbst nicht sicher, ob der Bürgerhaushalt in dieser Form fortgesetzt werden soll. Das Verfahren stehe nach einer dreijährigen Testphase auf dem Prüfstand. Bedenken, die bereits bei Plunien angeklungen waren, untermauerte dann der Politikwissenschaftler Dr. Stefan Eisel. Eisel, der ausgiebig auf dem Gebiet "Internet und Demokratie" geforscht hat, verwies auf zahlreiche Manipulationsmöglichkeiten, wobei insbesondere der Deckmantel der Anonymität genutzt werde.

Bei einem Drittel der angeblichen Teilnehmer beispielsweise in Bonn handele es sich so um Mehrfachregistrierungen und Ortsfremde, so Eisel. Es sei zudem möglich, dass sämtliche Rathaus-Mitarbeiter unerkannt per Dienstcomputer Einfluss auf den Bürgerhaushalt nähmen. Zudem habe rund ein Drittel der deutschen Bevölkerung über 14 Jahre keinen Zugang zum Internet. Ein solches Verfahren könne deshalb gar nicht repräsentativ sein. Eisels Fazit: Jede Plattform zur Bürgerbeteiligung sei begrüßenswert, aber es sei problematisch, wenn sie ausschließlich im Internet angesiedelt sei und zudem mit Abstimmungsmechanismen verbunden sei.

Moderator Stefan Rabel lenkte dann den Blick auf das Verhältnis von Kosten und Nutzen. Laut Plunien hat Trier einen eigenen Mitarbeiter für den Bürgerhaushalt eingestellt, verzeichnet pro Jahr rund 35 000 Euro Sachkosten "und eine große Grauzone im Bereich der Bearbeitung durch die Verwaltung". Oberbürgermeister Klaus Lorig (CDU) überschlug den Aufwand für Völklingen so: "Wir hätten eine Stelle in der Informationstechnik-Abteilung nötig, einen zusätzlichen Mitarbeiter in der Öffentlichkeitsarbeit und jemand im Finanzmanagement, der ihnen zuarbeitet." Insgesamt sei eine jährliche Mehrausgabe von mindestens 200 000 Euro zu erwarten.

An dem Abend wurden auch Alternativen zum Bürgerhaushalt angesprochen - so die Hinzuziehung sachkundiger Bürger zu den eigentlichen Haushaltsberatungen oder Bürgerforen, wo die Dinge in direkten Gespräch diskutiert werden.

Die Zweifel bei diesem Informationsabend bedeuten aber nicht, dass ein Bürgerhaushalt nach Trierer Modell endgültig verworfen ist. Klaus Lorigs persönlicher Eindruck: "Wir müssen die Ergebnisse von heute erst einmal in uns sacken lassen." Wenn ein Bürgerhaushalt kommen sollte, bedarf dies jedenfalls nach einhelliger Meinung einer mindestens einjährigen Vorbereitungszeit.

trier.de

Auf einen Blick

Die Hitliste der Bürgervorschläge in Trier sieht derzeit laut Internet folgendermaßen aus:

1. Die Stadt sollte es ermöglichen, Schäden (wie Schlaglöcher und Vandalismus) sofort online zu melden.

2. In Schulen ist es immer noch üblich, überhitzte Räume durch Öffnen der Fenster zu kühlen, deshalb sollten an alle Heizkörper Thermostatventile kommen.

 . . . sowie fehlende Thermostatventile und hochgedrehte Heizungen. Fotos: dpa/SZ

. . . sowie fehlende Thermostatventile und hochgedrehte Heizungen. Fotos: dpa/SZ

3. Die Stadt sollte das ehemalige Franzosenviertel (nach Abzug der Garnison) selbst nutzen oder schnell verkaufen. er

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