Theaterintendant Bodo Busse wohnt jetzt in Petite-Rosselle Die Villa Kunterbunt des neuen Intendanten

Petite-Rosselle. · Am 14 August ist Bodo Busses erster Arbeitstag als Saarbrücker Theaterchef. Dieser Tage zog er um nach Petite-Rosselle. Wir waren dabei.

  Der zukünftige Chef des saarländischen Staatstheaters als Umzugs-Regisseur. Bodo Busses antike Möbel. sind wie geschaffen für das neue alte Haus (Jahrgang 1920) in Petite-Rosselle.  Foto: Ruppentha  l

Der zukünftige Chef des saarländischen Staatstheaters als Umzugs-Regisseur. Bodo Busses antike Möbel. sind wie geschaffen für das neue alte Haus (Jahrgang 1920) in Petite-Rosselle. Foto: Ruppentha l

Foto: Ruppenthal

Bodo Busse (48) wuchtet die gekühlten Colaflaschen, die er gerade im Rewe-Markt von Großrosseln geholt hat,  auf den Gartentor-Pfeiler, die jenseits der Grenze in Forbach-Oeting gekauften Pains au chocolat landen auf den Treppensims. Grenzüberschreitende Erstverpflegung für die fünf Jungs aus Mainz.  Außerdem im Gepäck des zukünftigen Saarbrücker Intendanten: übermütige  Kleinjungen-Laune. Busse  stürmt voran, durch die bereits offene Haustür Richtung Garten, stößt die Holz-Klapptüren zum Balkon auf. Das  satte Licht, das bereits von der Straßenseite  aus ins gesamte Erdgeschoss strömt, verdichtet sich wie transparente Zuckerwatte. Unwiderstehlich. Jetzt müssten nur noch raumhohe weiße Gardinen wehen wie in Adolph Menzels „Balkonbild“ (1845) Genre, Idyll, Romantik? Doch der neue Hausherr verkündet:  „Ich liebe Vorhänge nur im Theater. Gardinen sind eine deutsche Unart.“

Kein Problem, wir sind in Frankreich, in Petite-Rosselle,  Rue du General de Gaulle. Zwei knallrote Lkw der Firma Stark Umzüge aus Mainz stehen vor der Haustür. Dort passte  Busses  gesamter Haushalt aus Coburg rein. Jede Pfanne und jede Heftklammer wurde am Tag zuvor im  Komplettservice gepackt. Eine bereits  vor sieben Jahren erprobte Sache, als Busse erstmals Theaterchef wurde, in Coburg, und in Wiesbaden seine Zelte abbrach. Locker-flockig ist der Umgangston mit den Jungs, der Intendant  fliegt mit Kisten die steile Treppe hoch und runter, manövriert,  dirigiert ­ Abenteuerspielplatz für Männer. Mancher in der Stark-Truppe kennt bereits die Schätzchen des Hausherrn, den Biedermeier-Schreibtisch vom Großvater, die Ölgemälde in goldenen Prunkrahmen, das  50er-JahreWohnzimmerschränkchen der „Dada“, einer ehemaligen Nachbarin und Ersatzoma in Filderstadt. Historisches, wohin man blickt. Keine Geldanlagen, sondern Erinnerungsstücke aus allen Lebensphasen. Seinen Wohnstil nennt Busse „spätstudentisches Patchwork“. Sentimentalität sei da weniger im Spiel als seine Vorliebe für Stilmix und Collagen. Busse fällt die  Epochen verschmelzende  Kompositionsweise von Bernd Alois Zimmermann (1918-1970) ein: „Zimmermann sprach von der Kugelgestalt der Zeit.“ Jeder Moment umfasse drei Ebenen zugleich, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.  Also wird auch zeitgenössische Kunst ihren  Ort haben, im „Salon“, so nennt Busse sein  Wohnzimmer. Einen Fernseher wird es dort nicht geben. Der landet in der Bibliothek im ersten Stock, neben dem Arbeitszimmer. Und für den Flügel ist ebenfalls  ein eigenes Zimmer reserviert. Du liebe Güte, wie viele Räume  gibt es hier denn? Zehn auf 260 Quadratmeter und zwei Etagen: Das Haus, das 1920 vermutlich von einem Bergwerksdirektor gebaut wurde und zuletzt einem französischem Ingenieur gehörte, atmet  die großbürgerliche  Opulenz vergangener Tage und ist zugleich gemütlich.

„Das wird das Frühstückszimmer!“, ruft Busse und breitet die Arme aus, eine Szene wie in guten alten französischen Filmen. Man ahnt, was er mit den „inneren Bildern“ meint, die jeder mit sich herumträgt. Bei ihm sind es die einer glücklichen Kindheit unter freiem Himmel, zusammen mit seiner  Schwester. Die Familie lebte in einer Vier-Zimmer-Mietwohnung, doch hinter dem Dreifamilienhaus lag ein riesiger Garten. „Frühstücken und ins Grüne schauen, in alte Bäume. Genau das ist der Grund, warum es genau dieses Haus sein musste!“, sagt Busse. Ein Coup de foudre, ungestüm aufflammende Verliebtheit  nach vielen Besichtigungen in repräsentativen Wohngegenden zwischen Riegelsberg und St. Ingbert. Weil Busse nur Augen für seine neue Liebe hat, sah und sieht er sie nicht, die Leerstände in der Hauptstraße, die angeschmutzten Fassaden. Schlechte Wohnlage? Warum zieht ein Besserverdiener aus dem Saarland ins ausgeblutete Herz der lothringischen Bergbau-Industrie? Busse steht auf seinem Balkon, weist in die Nachbargärten:  „Aber das ist doch ein Riesenpark hier!“ Ein erstaunlicher Perspektivenwechsel. Offensichtlich ist dem demnächst wohl mächtigsten Kulturmann des Saarlandes Prestigedenken wesensfremd.  Und Berührungsängste mit Frankreich hat er sowieso nicht, denn er und sein Partner (55) sprechen fließend Französisch. „Wir leben hier die Frankreichstrategie“, meint er und wundert sich, wieso das überhaupt ein Thema ist. Für den Zugezogenen existiert sie wirklich, die grenzenlose Freiheit der Großregion, Steuervorteile inklusive? Laut Busse waren es die  massiv günstigeren Immobilenpreise, die Lothringen interessant machten.

Im März fuhr Busse erstmals nach Petite-Rosselle, drei Wochen später gehörte das Haus – Antonio. Der Schweizer lebt und lehrt in Zürich als Pianist und suchte schon  seit Längerem nach einer Immobilie. Seit 26 Jahren sind er und Busse ein Paar, seit 20 Jahren pendeln sie. Das ändert sich nicht. Nur von Freitag bis Dienstag kann Antonio in Petite-Rosselle sein. Endlich ankommen? „Irgendwie hat das Saarland einen gewissen Magnetismus“, meint Busse. Einst bewarb er sich bei Kurt-Josef Schildknecht als Regieassistent — und fiel durch. Gut so? Denn danach klappte es am Mainzer Theater, und dort entwickelte sich Busse in eine andere, in die Dramaturgierichtung, die ihn letztlich zum Intendanten-Amt motivierte. Nun also ein zweiter Anlauf.  Am 14. August tritt Busse offiziell sein Amt an. Absolvieren muss er noch seinen Abschieds-Parcours in Coburg, lebt dort in einem Appartement, in Saarbrücken im Hotel Mercure. Denn das neue Haus ähnelt noch einer Renovierungs-Großbaustelle: Tapetenfetzen hängen von den Wänden, Stromkästen baumeln aus der Wand. Immerhin ist die Küche, Busses Reich, schon mal in dessen Lieblingsfarbe hellblau gestrichen — zu knallroten Wandfliesen — mutig. Das Frühstückszimmer nebenan wird bald lindgrün leuchten. Alles andere soll langsam wachsen „wie eine Inszenierung. Da kommt auch erst nach und nach alles zusammen, bis es ein wunderbares Bild ergibt. Perfektion braucht Zeit.“

 Bodo Busse, der neue Intendant des Staatstheaters. lebt die Frankreichstrategie. Er wohnt ab August in Lothringen.  Foto:  Ruppenthal

Bodo Busse, der neue Intendant des Staatstheaters. lebt die Frankreichstrategie. Er wohnt ab August in Lothringen. Foto:  Ruppenthal

Foto: Ruppenthal

 Der Vorbesitzer bevorzugte offensichtlich eine Villa Kunterbunt. Alles tanzt  fröhlich nebeneinander: Uralt-Parkett, Fliesen und Laminat, asiatische Tapeten und Landhaus-Motive, rosa und graue Kassettentür-Fronten. Und nein, hier wird keine kleine behagliche Privatwelt installiert, hier wird ein Künstler ein offenes Haus führen. Nicht von ungefähr gibt es zwei Gästezimmer, denn  Busse hat gerne Besuch, mag gesellige Runden um den Esstisch. Als erstes zieht der Regisseur der „Salomé“ bei ihm ein. „Gemeinschaft pflegen“ nennt er sein Hobby. Das Theaterleben entwurzele einen, wolle man Menschen in ein neues Leben mitnehmen, müsse man Rituale für Begegnungen finden.  Eines davon steht kurz bevor: Der jährliche Urlaub mit Freunden in einem Haus in der Provence, in La-Garde-Freinet. Nicht auszuschließen, dass irgendwann Lothringen zur echten Konkurrenz wird.

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