Historischer Verein Zweibrücken Von deutschen Zeitzonen zur Einheitszeit

Zweibrücken · Beim Historischen Verein Zweibrücken war der Geschichts- und Politikwissenschaftler Felix Schmidt mit dem Thema „Einheitliche Uhrzeiten in der Pfalz“ zu Gast.

  Der Zweibrücker Felix Schmidt schrieb seine Dissertation über die Einführung standardisierter Uhrzeiten während der Industrialisierung.

Der Zweibrücker Felix Schmidt schrieb seine Dissertation über die Einführung standardisierter Uhrzeiten während der Industrialisierung.

Foto: Michael Haupt

Über die Zeit, genauer gesagt die Uhrzeit, machen wir uns im Allgemeinen keine großen Gedanken. Sie ist allgegenwärtig – am Handgelenk, auf dem Handy oder in Form großer Uhren in Fußgängerzonen. Lediglich der Wechsel von Sommer- zu Winterzeit und zurück lässt regelmäßig ein mittleres Murren verlauten. Doch wer sich daran stört, macht sich keine Vorstellungen, wie leicht wir es heute haben. Denn vor 150 Jahren hatte praktisch jeder Ort im Deutschen Reich seine eigene Uhrzeit.

Dieses Thema beleuchtete der Geschichts- und Politikwissenschaftler Felix Schmidt, der mit dem Thema „Einheitliche Uhrzeiten in der Pfalz: Von der Ludwigshafener Zeit bis zur Sommerzeit“ beim Historischen Verein Zweibrücken in der Karlskirche zu Gast war.

Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts hatte praktisch jeder seine eigene Zeit. Die Bauern richteten sich nach der Sonne, wer in die Kirche wollte, hatte die Kirchturmuhr im Blick, für den Markt war die Stadtuhr entscheidend. Dazu kamen noch die Schul- und die Fabrikuhr. Ein Reisender, der zum Beispiel zu Fuß unterwegs war, konnte seine Taschenuhr, je nachdem, ob er in westliche oder östliche Richtung reiste, alle 18 Kilometer um eine Minute vor- oder zurückstellen. „Erst mit der Einführung der Eisenbahn und der Telegrafie für Nachrichten wurden Transport und Kommunikation so schnell, dass es auffiel, dass es tatsächlich unterschiedliche Zeiten gab“, erklärte Felix Schmidt.

So waren es dann auch die Bahnzeiten, die sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als neuer Standard durchsetzten. „In der Bayerischen Pfalz war das die Ludwigsbahn, die von Ludwigshafen nach Bexbach fuhr“, erläuterte der aus Zweibrücken stammende Referent. So entstand entlang dieser Bahnstrecke die sogenannte Ludwigshafener Zeit, die im Westen bis nach Kirrberg reichte. Zweibrücken hatte 1858 noch einen Uhrenrichter, der darauf achten musste, dass die Kirchenuhr sich nach der Bahnuhr zu richten hatte. Erlaubte Diskrepanz: vier Minuten. 

Fünf Zeitzonen kamen insgesamt zustande: In Bayern galt die Münchner Zeit, in Württemberg die Stuttgarter Zeit. War es in München zum Beispiel 12 Uhr mittags, so zeigte die Uhr in Karlsruhe 11 Uhr 47 oder in Berlin 12 Uhr 7 an. „Das war absolut unpraktisch“, fasste Schmidt zusammen.

Auf der Washingtoner Meridiankonferenz im Jahr 1884 einigten sich schließlich 25 Staaten auf eine allgemein gültige Weltzeit. Der Null-Meridian führt seitdem durch die englische Sternwarte Greenwich. Der Verein Deutscher Eisenbahnverwaltungen, der von Tschechien bis Luxemburg reichte, schloss sich diesem Abkommen 1891 an. Konservative Kreise waren nicht einverstanden. Der Saarbrücker Unternehmer Carl Ferdinand von Stumm-Halberg kommentierte das so: „Die Bevölkerung soll nach meiner festen Überzeugung das Recht haben, ihre Beschäftigung nach dem Stand der Sonne einrichten zu können.“

Am 1. April 1893 trat ein von Kaiser Wilhelm unterzeichnetes Gesetz in Kraft, mit dem die „mittlere Sonnenzeit des fünfzehnten Längengrades östlich von Greenwich“ im gesamten Deutschen Reich zur einzig gültigen Uhrzeit bestimmt wurde – heute ist sie als Mitteleuropäische Zeit bekannt. „Das ist durchaus auch ein Faktor zur Nationalstaatsbildung. Damals feierten dann alle in Deutschland zum ersten Mal gemeinsam Silvester“, sagte Felix Schmidt. Für die ländliche Pfalz bedeutete dies aber, dass Ortschaften ohne Bahnanschluss regelmäßig Abgesandte zu Bahnhöfen schicken mussten, um die korrekte Uhrzeit zu erfahren.

Eine einheitliche Uhrzeit hatte aber auch militärische Aspekte. So wurde eine Mobilmachung erheblich vereinfacht – was sich 1914 beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs bewahrheitete. In dieser Zeit, nämlich 1916, wurde auch die Sommerzeit eingeführt. „In erster Linie, um Ressourcen zu sparen, wenn es eine Stunde länger hell ist“, erklärte Schmidt.

Auch das nicht ohne Beschwerden. So beklagte die Zweibrücker Gefangenenanstalt, dass Garten- und Feldarbeiten erschwert würden, wenn es zu früh hell wird. Auf der anderen Seite könnten Gefangene nicht schlafen, wenn es so lange hell bleibt. In Kaiserslautern fand das Bezirksamt einen ganz anderen Grund: „Durch den frühen Schulschluss haben die Kinder zu viel Zeit zum müßigen Umhertreiben. Stundenlang ist das Geschrei der Jugend zu hören und die Bettruhe kommt zu kurz.“

Der letzte Standardisierungsschritt fand schließlich im Jahr 1927 statt: Damals wurde die durchgehende Stundenzählung von eins bis 24 eingeführt. Für die ländlichen Gebiete der Pfalz geht Felix Schmidt davon aus, dass es bis in die 50er Jahre dauerte, bis sich auch dort die moderne Stundenzählung durchgesetzt hatte – und die Natur als Taktgeber des Lebens endgültig abgelöst war. 

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