Interview Philipp Simmet „Mannschaft ist auf einem guten Weg“

Philipp Simmet · Der Zweibrücker Sportpsychologe Philipp Simmet erklärt im Merkur-Interview, welche Knackpunkte es im DFB-Team gerade gibt, was er der Mannschaft zutraut und was Özil und Gündogan jetzt tun sollten, um sich von der Erdogan-Debatte freizumachen.

 Der Zweibrücker Sportpsychologe  Philipp Simmet.

Der Zweibrücker Sportpsychologe Philipp Simmet.

Foto: Philipp Simmet/Ulrich Oberle

Herr Simmet, die deutsche Nationalmannschaft konnte bisher offenkundig nicht das abrufen, was in ihr steckt. Wie beurteilen Sie das aus sportpsychologischer Sicht?

Von außen betrachtet ist es ganz schwer, eine Diagnose abzugeben. Ich habe nicht das Gefühl, dass die Mannschaft unter Druck steht, weil sie Weltmeister ist. Was Spieler twittern und schreiben deutet jedenfalls darauf hin. Ich habe eher das Gefühl, dass es am Anfang in der Mannschaft nicht so ganz gestimmt hat und ein paar Prozente gefehlt haben.

2010 und vor allem 2014 hatte man von Beginn an das Gefühl: Die glauben an sich, die wollen was. Entsprechend forsch und selbstbewusst und mutig traten sie auf. Gegen Mexiko herrschte die Angst…

Ich hatte gegen Mexiko nicht das Gefühl, dass es an Selbstvertrauen fehlt, sondern ein Stück weit am letzten Biss. An dem Gedanken, nahe an die Leistungsgrenze zu gehen, um das Spiel erfolgreich gestalten zu können. Das war aber gegen Schweden schon gegeben. Wenn man als Sportler in einen Wettkampf reingeht und denkt, im besten Falle stehen bis zum Titel sieben Spiele an, dann spielt man am Anfang vielleicht mit angezogener Handbremse. Man glaubt, das hilft am Ende, etwa wenn es in den K.-o.-Spielen Verlängerung gibt. Was dann durch das Mexiko-Spiel kam, war für mich die Erfahrung, dass die Selbstverständlichkeit im Spiel fehlt. Im Schweden-Spiel hat man gesehen, was nach den ersten Fehlpässen passierte: Keiner wollte mehr Fehler machen.

Wie passiert es in der Vorbereitung, dass man so einen Trend zum Schlendrian übersieht?

Ich kann mir vorstellen, dass gesamte Mannschaft inklusive Trainerstab davon ausgegangen ist, dass das im entscheidenden Momenten von selbst wieder funktioniert. Die Freundschaftsspiele gegen Brasilien oder Spanien waren gegen Ende der Saison. Da wussten die Spieler, dass für sie etwa noch wichtige Vereinsspiele anstehen. Außerdem fehlte da auch ein Stück weit der Wettkampfcharakter.

Auch im Fußball spielen ja Glaube an die eigene Stärke, Selbstvertrauen, Motivation eine große Rolle. Wie gelingt es, ein Fehlen dieser Faktoren in einem WM-Turnier zu kompensieren? Geht das überhaupt?

Man muss sich immer wieder dran erinnern, was man schon gemeinsam geschafft hat. Marco Reus hat am Montag beispielsweise Parallelen zu dem Dortmund-Spiel gegen Malaga gezogen (das Champions-Viertelfinal-Rückspiel gewann der BVB 2013 durch zwei Tore in der Nachspielzeit, d. Red.). Damit hat er verdeutlicht, was jeder einzelne kann und was man als Mannschaft gemeinsam erreichen kann. Das hilft, ein Selbstverständnis zu entwickeln, aus einer positiven Sicht heraus, was uns stark macht.

Was können Mentaltrainer ausrichten, die die Spieler jeden Tag stark reden?

Die deutsche Nationalmannschaft arbeitet mit Sportpsychologen eng zusammen, die genau solche Sachen analysieren werden: Wie gehe ich etwa damit um, wenn ich zu Beginn des nächsten Spiels wieder einen Fehlpass spiele. Was sage ich mir dann? Welche positive Erinnerung rufe ich mir ins Gedächtnis, um ganz schnell wieder in den Normalmodus zurückzukommen? Und ganz wichtig: ich muss mich als Sportler schon selbst regulieren können - wenn ich nur von außen stark geredet werde, wird mir das in kritischen Wettkampfsituationen nicht viel helfen.

Wie wertvoll sind Erfolge auf dem Spielfeld wie das 2:1 durch Kroos?

Ich persönlich glaube, dass es in eine positive Richtung ausschlägt, weil es im Moment dermaßen positiv emotional stark nachwirkt und sich demnach auch deutlich im Gedächtnis abspeichert. Beim nächsten Fehler kommt dann eher die starke Erinnerung: Wir haben gegen Schweden auch nicht alles richtig gemacht, aber es dennoch geschafft! Oder: Nur weil ich jetzt einen Fehler gemacht habe, muss ich nicht den Kopf in den Sand stecken!

Mesut Özil und Ilkay Gündogan belastet ja kaum verkennbar zusätzlich noch die Erdogan-Affäre. Welche Möglichkeiten haben gerade die beiden, ihre Leistung bei den Spielen zu bringen?

Bei Özil kann ich mir kein ganz gutes Urteil erlauben, weil ich ihn im Mexiko-Spiel zu wenig beobachtet habe. Bei Gündogan hat man im Schweden-Spiel gesehen, dass er nicht so selbstbewusst spielt wie bei Manchester City. Man hat ihm fast angesehen, dass er viel nachdenkt, Sicherheitspässe spielt, um unangenehme Situationen, Pfiffe von den eigenen Fans, zu vermeiden. Beide haben ja unterschiedliche Strategien, damit in der Öffentlichkeit umzugehen (Özil schweigt, Gündogan hat nur betont, es sei kein politisches Statement gewesen, d.Red.). Helfen könnte vielleicht jetzt ein Befreiungsschlag, sich bei einer Pressekonferenz zu äußern, seine Beweggründe offenzulegen. Ich habe das Gefühl, das Thema beschäftigt die Spieler inzwischen mehr als die Öffentlichkeit, denn da wird es meiner Wahrnehmung nach nicht mehr so heiß diskutiert.

In Medien war auch von Grüppchenbildung zu lesen. Ist das ein Effekt, der durch den Frust, Niederlagen, ein schlechtes Gefühl kommt. Oder ist es die Folge davon?

Normalerweise ist das eher eine Ursache als Folge. Es gibt gute Beispiele für Teams, die einen sehr starken Zusammenhalt haben und durch diese starke Gruppenkohäsion mit Niederlagen auch sehr gut umgehen können. Sie gehen dann meistens sogar gestärkt aus solchen Situationen hervor.

Was muss im deutschen Team passieren, damit doch noch alles gut wird bei der WM?

 Auch gegen Schweden lief noch nicht alles perfekt, aber bereits vieles besser als zum Auftakt gegen Mexiko. Der Zweibrücker Sportpsychologe Philipp Simmet sieht die deutsche Mannschaft auf dem richtigen Weg, bei der WM noch Großes zu erreichen.

Auch gegen Schweden lief noch nicht alles perfekt, aber bereits vieles besser als zum Auftakt gegen Mexiko. Der Zweibrücker Sportpsychologe Philipp Simmet sieht die deutsche Mannschaft auf dem richtigen Weg, bei der WM noch Großes zu erreichen.

Foto: dpa/Andreas Gebert

Ich habe das Gefühl, die Mannschaft ist auf einen guten Weg. Jede gespielte Minute wird dem Team jetzt helfen. Wenn es gegen Südkorea schnell ein Tor schafft oder früh gute Aktionen generiert, dann glaube ich, wird sie die WM erfolgreich gestalten. Und wichtig: das Team sollte nicht glauben, dass es irgendwo „den“ Schalter gibt, den es umzulegen gilt. Ein Fußballspiel wird immer auch aus Fehlern bestehen. Man sieht im gesamten Turnier, dass viele Teams sich schwer tun. Die, die es schaffen ein gutes Notfallprogramm abzurufen, wenn kleine Fehler wie ein schlechtes Stellungsspiel, falsche Laufwege oder auch mal ein Fehlpass passieren und dann schnell wieder ins selbstbewusste und selbstverständliche Handeln kommen, werden erfolgreich sein. Wenn Deutschland das schafft, bin ich optimistisch für den weiteren Verlauf des Turniers.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort