Speerwurf-Europameisterin Christin Hussong „Die beste Saison meines Lebens“

Zweibrücken · Bei den Olympischen Spielen in Tokio war die Enttäuschung bei Christin Hussong riesig. Eine Medaille verpasste sie deutlich. Den Schatten, den das Abschneiden in Japan auf ihr Sportjahr wirft, verneint die 27-Jährige nicht. Doch auf der anderen Seite gab es noch viel, viel mehr Licht.

 Daumen hoch für Christin Hussong. Die Speerwerferin vom LAZ Zweibrücken blickt auf ein fantastisches Sportjahr zurück. 
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Daumen hoch für Christin Hussong. Die Speerwerferin vom LAZ Zweibrücken blickt auf ein fantastisches Sportjahr zurück. Foto: Imago Images

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Sportberichterstattung ist oft eine oberflächliche Angelegenheit. Für Grautöne gibt es keinen Platz. Der Athlet ist entweder ein Gewinner. Oder ein Verlierer.

Legt man diese traurige Einteilung zugrunde, war Christin Hussong an jenem Abend des 6. Augusts in Tokio eine Verliererin. Bei den Olympischen Spielen, dem größten Sportereignis der Welt, konnte sie ihre beste Leistung nicht abrufen. Keine 60 Meter flog der weiteste Versuch der Speerwerferin vom Leichtathletikzentrum (LAZ) Zweibrücken: Platz neun. Als das Resultat feststeht, vergräbt die 27-Jährige das Gesicht erschüttert in ihren Händen: Dabei sein ist eben doch nicht alles. Pierre de Coubertin zum Trotz.

Dass man die Saison der Herschbergerin davor nicht schöner hätte malen können, wird bei jenen, die bei Olympia bräsig das deutsche Gold im Medaillenspiegel zählen, die Fallhöhe nur noch weiter nach oben geschraubt haben. Hussong gewann vor den Spielen die Meetings in Ostrava, Turku, Luzern, Oslo, Rehlingen und Zweibrücken. Dazwischen krönte sie sich in Braunschweig nebenbei noch zum fünften Mal zur deutschen Meisterin. Und lieferte bei der Team-Europameisterschaft in Polen den zweitbesten Wurf ab (69,19 Meter), den jemals eine Deutsche zustande gebracht hatte. Es schien, als könne man Christin Hussong auch um 3 Uhr morgens aus dem Bett werfen – und sie würde den Speer über die 65-Meter-Marke schleudern. Doch dann kam Tokio. Knapp zehn Meter blieb Hussong unter ihrer Saisonbestleistung. Im Speerwurf keine Welt. Sondern eine Galaxie.

„Sicher, ich war unglaublich enttäuscht. Es wäre ja schlimm, wenn nicht. Ich habe beim Saisonhöhepunkt nicht gezeigt, was ich kann“, sagt die 27-Jährige knapp fünf Monate später. Und ja, den Frust habe sie einige Wochen mit sich herumgeschleppt: „Die Saison war noch nicht vorbei. Aber im Training ging erstmal nicht viel. Nach Olympia ist jede Spannung weggefallen.“ Den Schatten, den das Abschneiden in Japan auf ihr Sportjahr wirft, verneint die 27-Jährige nicht. Aber: „Im Leben läuft nicht alles nach Plan. Und unter dem Strich steht jetzt die beste Saison meines Lebens“, sagt Hussong. Und klingt dabei weder besonders euphorisch, noch trotzig. Sondern als habe sie soeben erklärt, dass Zwei plus Zwei nun einmal Vier ergibt.

Nach den Sommerspielen habe sie aber durchaus den einen oder anderen Zweifel gespürt, räumt die LAZ-Athletin ein. Diese räumte sie aber eindrucksvoll selbst aus dem Weg. Schon Ende August triumphierte sie beim Wettkampf im italienischen Rovereto. Und keine zwei Wochen später dominierte sie auch das Finale der Diamond League in Zürich.

„Ein Traum. Abgesehen von Olympia oder der WM ist das die hochklassigste Veranstaltung, die es gibt. Es war wichtig, mir nach Tokio selbst zu beweisen, dass ich zur Weltspitze gehöre“, betont Hussong. An das Diamond-League-Finale erinnert sie sich auch aus einem anderen Grund gerne zurück. Wegen der Zuschauer. „Ins Stadion einzumarschieren und die vielen Leute zu sehen – es hat wieder so einen Spaß gemacht. Ich hoffe, in München kann es nächstes Jahr genauso sein.“ In der bayerischen Landeshauptstadt finden zwischen dem 15. und dem 21. August die Leichtathletik-Europameisterschaften statt. Nur einen Monat nach der aus 2021 verschobenen Weltmeisterschaft in Eugene/USA (15. - 24. Juli). Die Vorbereitung werde „anspruchsvoll“, sagt Hussong. Den Fokus auf eine der beiden Veranstaltungen legen, möchte sie aber nicht. „Ich will bei WM und EM eine Topleistung zeigen.“

Warum sie diese bei den Olympischen Spielen eben nicht abrufen konnte, hat sie mit ihrem Vater und Trainer Udo analysiert. Im Gegensatz zu ihrem deutschen Disziplinkollegen Johannes Vetter, der in Tokio ebenfalls deutlich unter seiner Bestleistung geblieben war, hat Hussong gleich mehrere Gründe ausgemacht. Vetter hatte sein Abschneiden vor allem auf die Laufbahn geschoben. „Die Bahn war schon speziell. Mir hat aber auch die Hitze zu schaffen gemacht. Außerdem konnte ich die Würfe technisch nicht so umsetzen, wie ich es wollte. Und gerade weil die Saison bis dahin so super gelaufen ist, war der Kopf auch ein wenig müde. Es war nicht das eine große Ding schuld, sondern mehrere Kleinigkeiten“. Die Herschbergerin stellt aber auch nüchtern fest: „Es gibt Dinge, mit denen muss man bei den Olympischen Spielen eben zurechtkommen. Wenn man das nicht schafft, die Konkurrentinnen aber schon, dann hat man den Sieg auch nicht verdient.“

Dennoch seien es nur „kleine Stellschrauben“, an denen sie drehen müsse. Zum Beispiel beim Abwurf. Grundsätzliche Zweifel an ihrer Technik, die sie im Frühjahr umgestellt hat, hegt sie aber keineswegs. „Mit der falschen Technik wirft man nicht sechs Mal über 66 und einmal über 69 Meter“, flachst die 27-Jährige.

Ein Wurf über die magische 70-Meter-Marke sei indes kein Ziel, das sie sich fest für das kommende Jahr vorgenommen hat. „Erzwingen kann man den nicht, da gehört auch ein bisschen Glück dazu. Der 70er kommt, wenn er kommt.“

Und wie sieht es neben den Zielen mit Wünschen für 2022 aus? „Gesundheit. Damit ich weiter das tun kann, was mir Spaß macht. Und wenn ich das mit harter Arbeit verbinde, dann kommt auch der Erfolg“, sagt Christin Hussong. Und klingt dabei, als hätte sie schon längst gewonnen.

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