Ex-Freiheitskämpferin auf dem Weg zur Macht

Berlin · Die eine umgibt die Aura der Macht, die andere der Nimbus ihres Freiheitskampfes: Der Respekt für diesen Kampf war Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) deutlich anzumerken, als sie gestern Birmas Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi im Berliner Kanzleramt empfing. Die 68-jährige Friedensnobelpreisträgerin hält sich bis morgen zu ihrem ersten offiziellen Besuch in Berlin auf.



Die Kanzlerin begrüßte eine Frau, "die wie nur wenige auf der Welt gezeigt hat, welchen Mut sie hat, für Freiheit, für Demokratie, für die Einhaltung von Menschenrechten zu stehen und zu kämpfen". Diese sagte, Birma brauche bei seinem politischen Wandel die Unterstützung aller "Länder, die an Demokratie glauben". Berlin sei für sie auch ein Symbol für die Möglichkeit, "verschiedene Ideologien und Sichtweisen" auf friedlichem Verhandlungsweg zu vereinen. Sie hoffe, dass auch ihr Land eines Tages demokratisch geeint sein werde, in dem es den Menschen gelingen werde, "alle Unterschiede, die zwischen uns bestehen mögen, zu überwinden." Damit sprach sie in Deutschland sehr verhalten die Gewalt zwischen der buddhistischen Mehrheit und der ausgegrenzten muslimischen Minderheit in Birma an. Der Umgang mit genau diesem Thema hat den Ruf als Kämpferin für die Menschenrechte, den sich die Oppositionsführerin während der Militärdiktatur in 15 Jahren Hausarrest erworben hat, seit ihrer Freilassung im Jahr 2010 etwas ramponiert. Besonders, seitdem sie für ihre Partei NLD bei einer Nachwahl 2012 einen Parlamentssitz errang.

Als es 2012 zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen birmanischen Buddhisten und der muslimischen Minderheit im Bundesstaat Rakhine kam, wurden 200 Muslime getötet. Doch von Suu Kyi kam so gut wie keine Verurteilung der Gewalt, sie sprach von "Extremismus auf beiden Seiten". Offenbar wollte sie buddhistische Wähler nicht verprellen. Auch freundliche Äußerungen gegenüber dem einstigen Gegner, dem Militär, führen Beobachter auf die Ambitionen zurück, im kommenden Jahr Präsidentin zu werden. Als Abgeordnete mache sie im Parlament nicht viel, "vielleicht, weil sie die Militärs nicht verärgern will", sagt der Birma-Experte Bertil Lintner. Nur mit Zustimmung des Militärs ist die Verfassungsänderung möglich, die ihr den Weg zur Präsidentschaft freimachen würde: Bürgern mit Angehörigen ausländischer Nationalität ist das höchste Amt verwehrt. Suu Kyis Söhne aus ihrer Ehe mit einem Briten sind britische bzw. US-Staatsbürger.

In Berlin wurde der 68-Jährigen aber ein Empfang bereitet, als wäre sie bereits Staatschefin. Gestern Besuch bei Bundespräsident Joachim Gauck, dann Gespräche mit Merkel, Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) und Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU). Heute wird Suu Kyi einen weiteren Preis erhalten: Den Internationalen Willy-Brandt-Preis der SPD. Wichtiger dürfte ihr sein, durch den Berlin-Besuch den Reformdruck auf die aktuelle, formal zivile birmanische Regierung aufrechtzuerhalten - damit ihr im kommenden Jahr der Weg ins Präsidentenamt offen steht. Dann hat die einstige Freiheitskämpferin selbst die Macht.

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