Analyse Macron zieht sein letztes Ass aus dem Ärmel

Paris · Emmanuel Macron ist ein Mann der bildmächtigen Symbolik. Im Kampf gegen die Corona-Pandemie schwört Frankreichs Präsident sein Volk mit bebender Stimme auf einen „Krieg“ gegen das Virus ein.

 Emmanuel Macron versucht den Neustart – mit einem Regierungswechsel.

Emmanuel Macron versucht den Neustart – mit einem Regierungswechsel.

Foto: AP/Charles Platiau

Wenn er für den Umweltschutz kämpft, lässt er sich auf die schmelzenden Gletscher des Montblanc fliegen und doziert dort über den bedrohlichen Klimawandel.

Der Effekt beim Betrachter ist jedes Mal derselbe: Wow! Ähnlich überrascht waren die Franzosen am Freitag, als der Rücktritt der Regierung bekanntgegeben wurde und Emmanuel Macron nur wenige Stunden später mit Jean Castex einen neuen Regierungschef präsentierte. Auch dieses Mal werden die Probleme aber erst nach der großen Inszenierung beginnen. Im „Krieg“ gegen das Corona-Virus machte Frankreich eine denkbar schlechte Figur. Rund 30 000 Menschen sind inzwischen an den Folgen der Krankheit gestorben, so viel wie in kaum einem anderen europäischen Land. In Sachen Umweltschutz setzt der Präsident unbeirrt auf Atomkraft – eine Technik, die nicht nur in den Augen der Ökologen, angesichts der vielen ungelösten Probleme keine Zukunft hat. So machte Emmanuel Macron nach außen zwar immer eine gute Figur, doch er führte nach innen sein Volk von einer Enttäuschung zur nächsten. Inzwischen haben die Franzosen die Geduld verloren, sie wollen den Widerspruch zwischen der Rhetorik des Präsidenten und der Realität der Gesellschaft nicht mehr hinnehmen. Die Grünen stürmten in großen Städten wie Bordeaux, Marseille, Lyon oder Straßburg die Rathäuser, während die Kandidaten der Präsidentenpartei La République en Marche zähneknirschend ihre demütigenden Niederlagen eingestehen mussten.

Emmanuel Macron steht am politischen Abgrund. Mit seiner Reformpolitik ist der ehrgeizige 42-Jährige gescheitert – was natürlich auch der Corona-Krise geschuldet ist. Bis zum Ende seiner Amtszeit 2022 wird er die Finanzen nicht sanieren können, da sich Frankreich massiv verschuldet hat. In dieser Situation begnügt sich der erklärte Machtpolitiker nicht mehr damit, irgendwelche größeren oder kleinen Stellschrauben zu justieren. Der Präsident hat sich zum ganz großen Befreiungsschlag entschieden: der Rücktritt der Regierung unter Premierminister Édouard Philippe. „Ökologischer Wiederaufbau“ mit einer starken sozialen Komponente ist jetzt eines der Schlagworte von Macron. Der Regierungschef hat zwar alle Kursänderungen in der gemeinsamen Vergangenheit treu ergeben vollzogen, fraglich aber ist, ob der bürgerliche Philippe den jetzigen Richtungswechsel ebenfalls klaglos mittragen würde. Zudem wäre es schwierig, den französischen Wählern eine neue Umweltpolitik zu verkaufen mit einem Mann an der Spitze der Regierung, der früher unter anderem als erfolgreicher Lobbyist beim Atomkonzern Areva gearbeitet hat. Nur wenige Stunden nach dem Rücktritt der Regierung präsentierte Emmanuel Macron schon einen Nachfolger: den in der Öffentlichkeit relativ unbekannten Jean Castex. Allerdings entfernt er sich mit dieser Wahl nicht allzu weit von dem Anforderungsprofil des Vorgängers, der einen Gegenpol zu dem in Frankreich noch immer eher links eingestuften Macron bilden sollte. Castex gehört der konservativen Oppositionspartei Les Républicains (LR) an. Er ist ein ehemaliger Mitarbeiter von Ex-Präsident Nicolas Sarkozy und Bürgermeister der kleinen Gemeinde Prades im Département Pyrénées-Orientales.

Emmanuel Macron zieht mit dem Austauschen der Regierung sein allerletztes Ass aus dem Ärmel. Er hat nun bis zur Präsidentenwahl zwei Jahre Zeit, um die von ihm enttäuschten Franzosen zu überzeugen, dass er mehr ist als ein grandioser Fensterredner.

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