Leitartikel Wie die Grünen Frankreich erobern

Der Sieger bei den TV-Zuschauern heißt: „Asterix bei den Olympischen Spielen“. Die Berichterstattung über die wichtigen Kommunalwahlen im Land wollte am Sonntag kaum jemand sehen.

 Knut Krohn

Knut Krohn

Foto: SZ/Lorenz Robby

Dieses Desinteresse spiegelt sich auch in der Beteiligung an der Abstimmung wider. Gerade einmal 40 Prozent der Wahlberechtigten gaben ihre Stimme ab. Präsident Emmanuel Macron nennt das besorgniserregend, doch trägt er einen nicht geringen Anteil an dieser Entwicklung. Immer mehr Menschen sind enttäuscht von der Demokratie und den Politikern. Macron konnte viele dieser Enttäuschten vor drei Jahren motivieren, ihm ihre Stimme zu geben. Mit seinen marktliberalen Reformen, oft auf Kosten der einfachen Franzosen, hat der Präsident dann allerdings das Bild einer abgehobenen Pariser Politikerkaste weiter zementiert.

Macron hat sich auch nie die Mühe gemacht, die von ihm ins Leben gerufene Bewegung La République en Marche auf lokaler Ebene zu verankern. Das Fehlen dieser Basis wird ihm nun zum Verhängnis. Will er in zwei Jahren noch einmal zum Präsidenten gewählt werden, muss es ihm gelingen, das Ruder herumzureißen. Orientieren wird sich der Machtmensch Macron dabei am Erfolg der Grünen. Was sich schon bei den Europawahlen 2019 abzeichnete, hat sich nun bei den Kommunalwahlen fortgesetzt. Die Partei EELV (Europe Écologie – Les Verts) eroberte große Städte wie Lyon, Marseille, Bordeaux oder Straßburg im Sturm. Von Rückbesinnung auf ein nachhaltigeres Leben ist die Rede oder vom Schock durch die Corona-Pandemie, die mit aller Brutalität die Sackgasse der modernen Produktionsmechanismen aufgezeigt habe.

Doch auch der Aufstieg der Grünen hängt mit Macron zusammen. Mit seiner Bewegung La République en Marche hat er bei der Präsidentenwahl vor drei Jahren die sozialistischen und konservativen Parteien der bürgerlichen Mitte praktisch pulverisiert. Wem der Sozialstaat wichtig ist oder wer vernünftige Grenzen für die Wirtschaft fordert, wem der ökologische Umbau am Herzen liegt, wer das Wort Heimat sympathisch findet, aber auch für Europa ist und seine Stimme nicht dem extrem rechten oder linken Lager geben will, der hat im Moment eine Wahl: die Grünen. Die Partei ist das Sammelbecken für viele. Das spiegelt sich auch in der Zusammensetzung von EELV selbst wider. Von gemäßigten Realos bis hin zu ziemlich radikalen Linken sind alle politischen Schattierungen vertreten. Im Moment aber reitet die Partei auf einer Welle des Erfolges, was auch nach innen einigend wirkt.

Inzwischen denkt Yannick Jadot, Abgeordneter im Europaparlament und Aushängeschild der französischen Grünen, immer lauter über eine Kandidatur bei den nächsten Präsidentenwahlen nach. Der Amtsinhaber selbst geht offensichtlich davon aus, dass es bei der Abstimmung am Ende wieder auf einen Zweikampf zwischen ihm und der Rechtsauslegerin Marine Le Pen hinauslaufen wird. Aber Emmanuel Macron könnte sich täuschen, vielleicht findet die Stichwahl 2022 auch ohne ihn statt.

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