Verzweiflung als Inszenierung

Jetzt also wieder Helene Hegemann. Oder erstmals – je nachdem, ob man ihren ersten Roman, „Axolotl Roadkill“, als eigenes Werk bezeichnen möchte.

Schließlich hatte sich die damals 17-jährige Autorin (und Tochter des Dramaturgen Carl Hegemann) für die Schilderung diverser Drogenexzesse üppig im Werk des Kollegen Airen bedient. Was erst nachträglich bekannt wurde.

Drei Jahre sind das Buch und all die Aufregung her, eine Kleinigkeit in der Literatur, doch eine Ewigkeit für all die sehr jungen Wunderkind-Autoren. Wer nicht jedes Jahr mit einem neuen Buch den Betrieb füttert, wird erst unter den Verdacht der Schreibstörung gestellt und hernach der Vergessenheit anheimgegeben. Dass auch das bei Helene Hegemann anders ist, spricht für die Größe der Wellen, die "Axolotl Roadkill" geschlagen hat und die offenbar immer noch an die Ufer unseres Interesses schwappen.

Natürlich wurde dem jetzt auch ein wenig nachgeholfen: So hat eine Wochenzeitung Hegemann nach Bayreuth geschickt und sich von ihrem Bericht den größtmöglichen Kontrast zwischen der scheinbar saturierten Festspielwelt und der unangepassten Szene-Autorin versprochen. Das Unerhörte hat Hegemann dann auch geliefert: "Das ist alles zu krass, wirklich" und wahrscheinlich nur "lebbar, wenn es ausgeglichen wird durch ein komplett kleinkariertes Surrounding". Spießiges Ambiente also, um der "ewigen Todessehnsucht" Bayreuths entfliehen zu können.

Das könnte auch fast eine Art Prolog zu ihrem neuen Buch sein, einem überambitionierten Roman mit geheimnisvollem Titel: "Jage zwei Tiger" lautet der, und wie existentialistisch das gemeint ist, erfahren wir gleich im Motto: "Wenn du schon scheitern musst, scheitere glanzvoll. Jage zwei Tiger." Nach über 300 Seiten wird uns - in anderer Färbung - noch einmal eine so kalte Erkenntnis anwehen: "Man stirbt nicht so leicht, wenn man jung ist."

Typische Hegemann-Sätze, die das Zeug zum Aphorismus haben und eine große Stärke der jetzt 21-Jährigen sind. Nämlich mit ein paar Wörtern Menschen, Szenen, Stimmungen zu beschreiben. Hegemann ist eine exzellente literarische Impressionistin; sehr viele ihrer Tupfer sitzen und sind voll Kraft und jugendlicher Wut - so auf die hohle Schickimicki-Szene Berlins: "Die Créme de la Créme der Scheiße trifft sich da einmal im Monat, vermutlich in so einem vulgären Bordell wie dem Borchardt, und stilisiert das Ganze als nettes Get-together." Hegemann kann böse, fies und ungerecht sein; und das ist immer die bessere Hegemann. Dann gibt es noch die Autorin Hegemann, die sich beim Schreiben beobachtet und die auch ein wenig selbstironisch ist, wenn sie Sätze schreibt wie diese: " . . .dieses unangenehme Abfeiern von deren Lokalprominenz wird von mir hier gerade lediglich mit der Absicht dämonisiert, damit eine interessante Grundlage für die Geschichte zu entwickeln, um die es eigentlich geht."

Also worum geht es? Leider führt genau diese Frage zum schlechteren Teil des Romans. Weil eben doch vieles konstruiert und gewollt wirkt, auf jeden Fall nicht gelebt und gefühlt. Wie die Geschichte von Kai, der als Elfjähriger erleben muss, wie seine Mutter bei einem Unfall stirbt, und der unter Schockzustand einem Sanitäter bei der Ersten Hilfe zuschaut und sich fragt, "wie oft er sich noch auf ihrem Herzen abstützen müsse". Den Unfall haben vier Schüler verursacht, die von einer Brücke einen Stein warfen. Eine Schülerin ist das einarmige Zirkusmädchen Samantha, dem Kai auf seiner Lebensodyssee ebenso begegnen wird wie der etwas älteren Cecile, die so wohlstandsverwahrlost ist, dass ihre Mutter ihr den Weg zum Speiseraum im riesigen Haus per SMS erklären muss.

Viele junge Leute hat Hegemann versammelt, "durchgeballerte Charaktere" - manche sind kaputt, einige nur beschädigt, versehrt aber alle. Aber diese irgendwie gewollt tragische Generationengeschichte haben wir schon zu oft gehört, um sie glauben oder auch nur unterhaltsam finden zu können. Die Verzweiflung ist bloß eine Inszenierung, die Erzählerin, die sich unverhofft ein paar Mal kommentierend einschaltet, bestätigt das: Es geht "nicht um eine möglichst authentische Schilderung dieser großen, krassen, gelangweilten Welt der Finsternis", heißt es einmal. Eine ziemlich große Geste ist das und weit weg vom Leben.

Man darf den Roman ruhigen Gewissens als gescheitert ansehen und dennoch lesenswert finden. Einen Skandal wird es diesmal ohnehin nicht geben, obwohl Hegemann erneut abgeschrieben hat. Aber selbst zitierte Liedtexte sind in einem "Quellennachweis" akribisch und mit fast diebischer Freude aufgelistet.

Helene Hegemann: Jage zwei Tiger. Hanser, 318 S., 19,90 Euro.

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