Martin Walser und die „Immunschwächen der Seele“

Wenn die Hüften erlahmen, muss die Sprache herhalten: Wie in den beiden Vorgängern feiert Martin Walser auch im neuen Roman „Die Inszenierung“ die Erotik des Wortes. Allerdings funktioniert das Buch nur als Selbstparodie.

Goethe, ja. Das war auch so ein Lustgreis. In seinem Buch "Ein liebender Mann" schrieb Martin Walser über die letzte Liebschaft des 73-jährigen Dichterfürsten mit der 19-jährigen Ulrike von Levetzow. Als der Roman 2008 erschien, ließ sich nicht erahnen, dass Walser damit so etwas wie eine programmatische Schrift seines Alterswerkes vorgelegt hatte. Eine Art "Rechtfertigung". Gut, der Mann war nie ein Kind von Traurigkeit. Man denke an "Jagd" oder "Ein fliehendes Pferd". In seinen vergangenen beiden Romanen aber feierte er die Erotik des Wortes wie nie.

Wenn die Hüften erlahmen, muss eben die Sprache herhalten. Das war nicht nur das Motto des Schriftstellers Basil Schlupp im 2012 erschienenen Roman "Das dreizehnte Kapitel". Auch der berühmte Theaterregisseur Augustus Baum im neuen Buch "Die Inszenierung" stemmt sich mit Liebesschwüren gegen das Alter. Ein Charmeur ist er. Ein Hallodri und Süßholzhobler. Gattin Gerda, mit der er seit 29 Jahren verheiratet ist, nennt ihn einen "Dekorateur der Lüge". Sie muss es wissen. Hat er sie doch mehr als einmal betrogen. Frauen sind für ihn wie "Steckdosen". Sie spenden die Energie, die er am Theater braucht. Da geht es ihm nicht anders als Brecht oder Goethe.

Baums neueste Eroberung ist Nachtschwester Ute-Marie Wiese. Bei den Proben zu Tschechows "Möwe" hat er einen Schlaganfall erlitten und sich in der Klinik prompt in sie verliebt. "Die Krankenhausmaus und der Promi-Regisseur." Sie wird seine Muse, soll die Rolle der Nina übernehmen. Er umschmeichelt die junge Frau und schwärmt zugleich seiner Ehefrau vor: "Gerda, diese Nachtschwester ist, was nach dir keine mehr war." All die anderen Affären waren nur "Immunschwächen der Seele."

Das ist Walser wie er liebt und lebt. Ein Galan der Worte. Hin- und hergerissen ist man bei der Lektüre. In direkter Rede, nur mit ein paar Regieanweisungen, erzählt der Dichterfürst vom Bodensee die Geschichte. Ohne ihn umzuarbeiten ließe sich der Roman als Komödie auf die Bühne bringen. Er ist voll von Humor und Selbstironie. Martin Walser treibt es auf die Spitze und parodiert sich selbst. Seine großen Themen blitzen noch mal auf (selbst die "Erbschuld" der Deutschen in einer kurzen Passage). Es geht es um Alter, Moral und Ehe. ". . . wir beide immer gefordert, immer überfordert, immer bedroht von der Lebensblamage schlechthin, immer ein Gegeneinander in der Aufeinanderangewiesenheit, immer ein totales Miteinander in einem unerklärten, aber nie aufhörenden Krieg".

Es ist kein Zufall, dass gerade "Die Möwe" inszeniert wird, dieses Stück, wie es im Buch heißt, "in dem die Menschen einander die Wahrheit nicht sagen können. Und wenn sie dann doch herauskommt, ist es eine Katastrophe." So weit, so gut. Auf der Bühne funktioniert das Überzeichnen von Charakteren. Im Roman aber ist irgendwann genug. Schon die sprechenden Namen Baum und Wiese, an denen Freud seine Freude gehabt hätte, sind zuviel. "Was für ein Wörterjahrmarkt!", lässt Walser seinen Augustus einmal ausrufen, man möchte mit einstimmen. Spätestens, wenn es seitenlang um den "GV" geht (Geschlechtsverkehr).

Nichts ist da authentisch. Alles nur Spiel. Schein statt Sein. So kann nur einer schreiben, dem selbst lange schon die Sprache zum Asyl geworden ist. "In ihr ist dafür gesorgt, dass ich empfinden kann", heißt es. Nimmt man das hin, erwartet man keine tieferen Erkenntnisse und liest das Buch als das, was es ist, eine Satire, so ist es durchaus unterhaltsam.

Martin Walser: Die Inszenierung. Rowohlt, 174 S., 18,95 Euro.

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