Über Merce Cunningham Ein übertrieben auf Hochglanz poliertes Spektakel

✮✮ „Cunningham“ von Alla Kovgan: Die Doku hat mit Merce Cunninghams Vorstellung von Tanz nur wenig zu tun.

 Hauptsache bunt: Eine Szene aus der Dokumentation.

Hauptsache bunt: Eine Szene aus der Dokumentation.

Foto: Camino Filmverleih

„Ich drücke nichts aus. Ich zeige Menschen in Bewegung“, hat Merce Cunningham (1919-2009) einmal seine Idee von Tanz beschrieben. Kaum jemand hat den Tanz im 20. Jahrhundert so stark geprägt wie der US-amerikanische Choreograf und Tänzer, der vor zehn Jahren gestorben ist. Cunningham erweiterte die Bewegungsmöglichkeiten des menschlichen Körpers, stellte Alltagsgesten neben virtuose Figuren und störte fließende Bewegungsabläufe durch abrupte Wechsel. Er arbeitete mit dem Pionier der grafischen Notation, Morton Feldman, zusammen, mit dem Maler Robert Rauschenberg und mit John Cage, seinem Lebenspartner und einem der zentralen Protagonisten der Neuen Musik. Ein Avantgarde-Künstler wollte Cunningham dennoch nicht genannt werden. Seine Selbstbeschreibung war schlicht: „Ich bin Tänzer.“

Schlicht ist das Wort, das auf den Film „Cunningham“ allerdings am wenigsten zutrifft. Er zeichnet die künstlerische Entwicklung von seinen frühen Jahren als brotloser Tänzer in New York bis hin zu seinem Aufstieg zu einem der visionärsten amerikanischen Choreographen nach. Zum Auftakt fährt die Kamera durch einen Tunnel und bewegt sich zoomartig auf einen Tänzer zu, um anschließend das als Tanzfläche bespielte Dach eines New Yorker Gebäudes in fast schon actionfilmartiger Manier in den Blick zu nehmen. Andere Tanz-Orte sind der Terminal eines modernen Flughafens, der lichtdurchflutete Innenraum eines feudalen Anwesens, Wälder, Plätze und Parks. Es tanzen zwölf Cunningham-Tänzerinnen und -Tänzer aus der letzten Generation der Kompanie.

Der Film spricht die Sprache des Spektakels. Alla Kovgan, die in Moskau gebürtige Regisseurin, ist Mitglied der Kinodance Company, einer interdisziplinären Künstlergemeinschaft, die multimediale Bühnenshows, Installationen und Filme entwickelt; seit vielen Jahren widmet sie sich auch der Verbindung von Tanz und Film. Wie „Pina“ von Wim Wenders wurde auch „Cunningham“ in 3D gedreht. Die Kamera bewegt sich mit den Tänzern, begibt sich in ihre Mitte, sucht die Nähe zu den Körpern, verschiebt Größenverhältnisse und Perspektiven.

Auch wenn Cunningham nicht nur den Tanz in öffentliche Räume trug, sondern auch den neuen Technologien ausgesprochen offen und neugierig gegenüberstand, hat der Eventcharakter des Films mit seiner Vorstellung von Tanz nur wenig zu tun. In „Cunningham“ tritt das Forschungsfeld der Bewegung in den Hintergrund. Sichtbar wird vor allem ein auf Hochglanz poliertes Produkt.

D/F/USA 2019, 89 Min., Filmhaus (Sb); Regie, Buch und Schnitt: Alla Kovgan; Kamera: Mko Malkhasyan; Musik: Volker Bertelmann.

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