Zwischen Pfefferspray und C-Kategorie"Wir laufen auf eine ziemlich große Kreuzung zu"

Selten kochten die Diskussionen über Gewalt im Fußball so hoch wie im Jahr 2012. Michael Kipp und Patric Cordier haben sich mit denen unterhalten, die sie betrifft. Mit Jörg Rodenbüsch, Leiter der AWO-Fanprojekte des 1. FC Saarbrücken und des 1. FC Kaiserslautern, mit Peter Becker, Einsatzleiter der Saarbrücker Polizei bei Heimspielen. Und mit "Nussi", einem Saarbrücker Ultra. Im heutigen Interview steht Gewalt im Mittelpunkt. Bis zur Winterpause muss das heiße Thema vom Tisch: Mitte Dezember treffen sich die Vertreter von 36 Proficlubs, um Streitpunkte zu klären und ein Positionspapier zur Sicherheit rund um die deutschen Fußballstadien zu verabschieden.

Wie gewaltbereit ist die Saarbrücker Szene?Peter Becker: Bei uns gibt es die so genannten B-Fans, die gewaltbereit sind, einer Schlägerei nicht aus dem Weg gehen. Das sind in etwa 200. Dann gibt es die C-Fans, die Gewalt suchend sind, im Vorfeld der Spiele schon mit dem Gegner telefonieren und sich verabreden. Das sind in der Mehrzahl die alten Hooligans. Aber die sind mit mir groß geworden, die könnten jetzt mit mir auch gerade in Ruhestand gehen. Das sind auch nicht mehr viele.

Sind Hools noch ein Problem?

Becker: Nicht wirklich, wir kennen sie. Unsere szenekundigen Beamten fahren auch mit zu Auswärtsspielen. Unser größtes Problem liegt in den gewachsenen alten Fanritualen, in Rivalität, Feindschaft, Provokation und Beleidigung der gegnerischen Fans. Fußball ist reine Emotion. Und wenn die anfängt überzukochen, entsteht ein Effekt, bei dem selbst sonst friedliebende Menschen plötzlich zuschlagen.

Wie oft passiert das in Saarbrücken?

Becker: Bereits mit Bekanntwerden der Spielpaarungen können wir relativ klar einschätzen, wie das Verhältnis der Fanlager ist und uns mit unseren teils deutlich dreistelligen Einsatzstärken darauf einstellen. Tatsächliche Schlägereien und Verletzte haben wir aber Gott sei Dank nur noch wenige. Für die Polizei ist das auch immer eine schwierige Gratwanderung. Auf der einen Seite konsequent für Sicherheit sorgen und auf der anderen Seite den Fans Freiräumen einräumen und eine Eskalation vermeiden. Mir sind aber noch keine Leute im Saarbrücker Ludwigspark begegnet, die nur darauf warten, einen anderen ins Krankenhaus zu schlagen.

Fahnenklau, alte Feindschaften - Gewalt scheint auch bei FCS-Ultras eine Rolle zu spielen?

Nussi: Ich würde Fahnenklau jetzt nicht mit Gewalt gleichsetzen. Es ist eine Straftat im Sinne des deutschen Rechtes - klar. Prinzipiell ist es unter Ultra-Gruppen ein "pfadfinderartiges" Ding. Man klaut die Fahne, um die andere Gruppe zu entehren. Das mag man als erwachsener Mensch als kindisch empfinden - das kann ich durchaus nachvollziehen. Doch solche "Fahnenübergaben" erfolgen in der Regel ohne Gewalt.

Wann zuletzt in Saarbrücken?

Nussi: In Saarbrücken gab es in den letzten Jahren zwei Fahnenklaus, die allerdings nicht ultra-motiviert waren. Die Fahnen haben dann auch den Weg zum Besitzer zurückgefunden.

Becker: Hier in Saarbrücken hat sich eine Fankultur entwickelt, die sagt: Wir wollen das nicht.

Was passiert bei den Derbys?

Nussi: Die regionale Rivalität gibt es schon immer. Die hat lange vor meiner Zeit angefangen. Damals ist man sich irgendwo über den Weg gelaufen, so kam es dann durchaus zu Auseinandersetzungen, die zu Rivalitäten führten, welche teilweise bis heute andauern.

Ein Beispiel?

Nussi: Vergangenes Jahr in Jena, als unser Bus ohne Gründe angegriffen und entglast wurde. Beim Rückspiel in Saarbrücken gab es denn eine große Anzahl von Leuten, die versucht hatte, an die Jenenser heranzukommen. Aber in der Regel ist es in der Ultra-Szene so, dass sich Gruppen frei bewegen können, solange es da keine großen Provokationen gibt.

Es gibt Experten, die sagen, dass sich die Ultra-Gruppen und die Einsatzkräfte sehr ähneln: spät-adoleszent, männlich dominiert, erlebnisorientiert. Was sagt der Fanprojektleiter dazu?

Rodenbüsch: Es gibt in jeder Berufsgruppe männlich-typische Verhaltensweisen. Auch bei Polizeibeamten. Aber so sehe ich sie nicht. Ich erlebe manche Polizeibeamte und denke: "Schwierig". In meiner Arbeitszeit - immerhin fast 20 Jahre - ist das Fehlverhalten von Polizisten aber so verschwindend gering, dass ich das nicht als Problem skizzieren würde.

Nussi: Es ist schon so, dass wir relativ oft relativ schlecht von Polizisten behandelt werden - gerade auf Auswärtsfahrten. Natürlich gibt es auch auf Fanseite genügend Menschen, die Polizisten provozieren, die Dinge tun, die man nicht tun sollte. Genauso gibt es aber auch Polizisten, die so provozieren, dass ein Einsatz folgen kann. Das gibt es leider zu oft.

Was halten Sie vom Einsatz von Pfefferspray?

Rodenbüsch: Pfefferspray ist eine Distanzwaffe, die, richtig eingesetzt, eine Eskalation verhindert. Sie ist besser als ein Schlagstock- oder Hundeeinsatz. Bei unkontrolliertem Einsatz können aber Unbeteiligte in Mitleidenschaft gezogen werden. Das ist ein Riesenproblem. Überhaupt nicht tolerierbar ist ein Einsatz in geschlossenen Räumen. Dafür habe ich kein Verständnis.

Warum nicht?

Rodenbüsch: Da entsteht eine Massenpanik sondersgleichen - da ich das schon einmal miterleben durfte, weiß ich das aus erster Hand. Darüber hinaus fördert ein Einsatz in geschlossenen Räumen - dazu zählen auch volle Zuschauerblöcke - die Solidarisierung mit Gewalttätern, und die Polizei wird als Aggressor wahrgenommen. Außerdem kann ein unkontrollierter Pfefferspray-Einsatz viele Verletzte mit sich ziehen.

Die in der Statistik auftauchen. Demnach gab es laut DFB 846 Verletzte in der Saison 2010/2011 in den zwei Bundesligen.

Rodenbüsch: Wenn man mal nachfragen würde, welche Personen durch Pfefferspray verletzt wurden, bei Unbeteiligten, bei Polizeibeamten und auch bei Fans, dann würde man feststellen, dass der Anteil derer, die durch Pfefferspray verletzt wurden, ein relativ hoher ist.

Becker: Seit den Oberligazeiten sind die Straftaten in Saarbrücken aber deutlich zurückgegangen. Seit es das Fanprojekt gibt und wir auch mit den übrigen Verantwortlichen wie Fanbeauftragte, Verein, Feuerwehr und Stadt ein funktionierendes Netzwerk aufgebaut haben, konnten wir kontinuierlich unsere Einsatzstärken zurückfahren. Es gibt immer mal Risikospiele, wo wir natürlich mit den Einsatzstärken noch mal an die 400er Marke rankommen. Unterm Strich haben wir aber deutlich zurückfahren können.

Ist Gewalt qualitativ gestiegen?

Becker: Nein, in Saarbrücken absolut nicht. Aber wir haben ja auch die Verlaufsberichte von anderen Spielen in anderen Stadien. Da fliegen schon öfter Steine und Stahlkugeln durch die Luft, in Saarbrücken aber nicht mehr. Da sind wir wirklich auf einem sehr, sehr guten Weg.

Rodenbüsch: Die Gewalt ist sicher nicht gestiegen, aber das subjektive Gefühl der Angst ist ungleich höher. Viele Jugendliche genießen doch das Charisma der Macht. Es ist toll für sie, wenn jemand die Straßenseite wechselt. Sie treten oft als geschlossene Gruppe auf, alle sind schwarz angezogen. Derjenige, der einer solchen Gruppe entgegen geht, fühlt sich unwohl. Da ist eine Gefährdungslage, die jemand individuell spürt. Die ist mit Sicherheit gestiegen.

Hat sich noch was geändert?

Rodenbüsch: Die Gewaltsituationen. Wenn Konflikte entstehen, solidarisieren sich schnell Gruppen. Und solch eine Gruppe sorgt immer für ein Bedrohungsszenario. Für wen auch immer. Solche Massenphänomene gab es früher nicht.

Becker: Dem stimme ich ausdrücklich zu. Das sind nicht nur unsere B- und C-Fans, sondern auch Väter und einfache Gaffer.Berlin. Gegen Gewalt und für mehr Sicherheit - die Proficlubs müssen am 12. Dezember Nägel mit Köpfen machen. Dies fordert Christian Seifert, Vorsitzender der Geschäftsführung der Deutschen Fußball Liga. Die Zeit drängt. So hat die Zahl der Strafverfahren gegen Fußballfans in der Saison 2011/2012 deutlich zugenommen. Die Zentrale Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS) spricht in ihrem Jahresbericht von 11 373 "gewaltgeneigten" und "gewaltsuchenden" Anhängern in der 1. und 2. Bundesliga. Gegenüber der Spielzeit 2010/11 habe die Zahl um 1688 Personen (17,5 Prozent) zugenommen. Selbst in der 3. Liga gibt es nach ZIS-Informationen noch 2336 Problem-Fans, in den drei Regionalligen 2780. "Eine Trendwende, die einen Rückgang des gewaltbereiten Potenzials in den Anhängerschaften der Vereine der Bundes- bis Regionalligen indizieren würde, ist weiterhin nicht erkennbar", heißt es im Bericht.

Die Sicherheitsdebatte steht nach Meinung von Seifert am 12. Dezember auf der Vollversammlung des Ligaverbandes am Scheideweg. "Mein Eindruck ist: Wir laufen gerade auf eine ziemlich große Kreuzung zu. Die Liga sollte die richtige Abzweigung nehmen", forderte der DFL-Chef. Die falsche Abzweigung wäre, "wenn nichts beschlossen wird. Dann wird seitens der Politik und der Polizei der Druck wieder steigen."

Am 12. Dezember soll in Frankfurt das 32-seitige umstrittene Positionspapier "Sicheres Stadionerlebnis" verabschiedet werden. Die 36 Vereine der 1. und 2. Liga haben bis zum 22. November Zeit, das Konzept zu diskutieren und eventuell erneut nachzubessern. Die DFL, sagte Seifert, "kann nur Vorschläge machen. Entscheiden müssen am Ende unsere Gesellschafter: die 36 Clubs."

Mit der Politik sei vereinbart, dass der Fußball "bis zur Winterpause" Beschlüsse fassen muss. Seifert: "Meine Sorge ist: Wenn das nicht geschieht, werden von anderen Fakten geschaffen, über unsere Köpfe hinweg." In der Diskussion über Pyrotechnik, gab Seifert zu, haben sich "DFB und DFL extrem unglücklich angestellt". Da wurde mit den Fans über ein Konzept beraten, das den Namen "Pyrotechnik legalisieren" trug. Was gesetzlich verboten ist, könne man aber als Sportverband nicht legalisieren. "Das hat zu Enttäuschungen geführt. Das müssen wir klarstellen", betonte Seifert.

Laut ZIS-Studie sind durch Fangewalt 1142 Menschen verletzt worden - die Quote sei hier um 120 Prozent gestiegen. In der vergangenen Spielzeit gab es knapp 7300 Festnahmen. Dies sei "absolute Spitze seit Gründung der Bundesliga". Nordrhein-Westfalens Innenminister Ralf Jäger (SPD) sagte daraufhin, es sei "nicht hinnehmbar, dass für die sichere Durchführung von Bundesliga-Spielen inzwischen rund 1,9 Millionen Arbeitsstunden der Polizei nötig sind". dpa


Hintergrund

Am 12. Dezember will die Deutsche Fußball-Liga (DFL) bei der Vollversammlung des Ligaverbandes sein viel diskutiertes Sicherheitspapier verabschieden. In unserer Serie "Gewalt im Fußball" beleuchten wir die Kritikpunkte, aber auch die Standpunkte, die Fans und Polizei in dieser Diskussion haben. kip

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