Krise im deutschen Schwimmen Der DSV als „verlassenes Waisenkind“

Kassel · Nach dem Rücktritt von Bundestrainer Henning Lambertz wird das deutsche Spitzenschwimmen neu aufgestellt. Steffen sieht aber schwarz.

 Nach Henning Lambertz’ (r.) Rücktritt sollen die Spitzenschwimmer wie Weltrekordler Marco Koch von einem neuen Team betreut werden.

Nach Henning Lambertz’ (r.) Rücktritt sollen die Spitzenschwimmer wie Weltrekordler Marco Koch von einem neuen Team betreut werden.

Foto: dpa/Klaus-Dietmar Gabbert

Mit vereinten Kräften und einem Kompetenzteam aus mehreren Trainern will der Deutsche Schwimm-Verband (DSV) seine große Personal-Misere meistern. Einen Tag, nachdem Chefbundestrainer Henning Lambertz seinen Rücktritt zum Jahresende angekündigt hatte, bekräftigte der DSV, bis zu den nächsten Olympischen Spielen in gut anderthalb Jahren keinen Nachfolger einzustellen. Stattdessen soll ein „Team Tokio 2020“ die Becken-Asse, darunter der Saarbrücker Christoph Fildebrandt, nach zwei olympischen Nullnummern wieder erfolgreicher machen.

„Unsere oberste Prämisse in einem DSV-Team Tokio 2020 wird es sein, alle potenziellen Anwärterinnen und Anwärter für die Olympischen Spiele 2020 bestmöglich zu fördern und das bestehende Know-How in einem synergetisch arbeitenden Kompetenzteam zu bündeln“, wird DSV-Leistungssportdirektor Thomas Kurschilgen in einer Verbandsmitteilung am Freitag zitiert.

Konkret heißt das: Mehrere Trainer sollen mit Experten aus den Bereichen Gesundheitsmanagement, Trainingswissenschaft und Ernährungswissenschaft zusammenarbeiten. Mit vereinten Kräften versuchte es der Verband auch nach dem Ende von Dirk Lange als Bundestrainer vor den Spielen in London. Damals ging das Beckenteam leer aus, so wie auch vier Jahre später unter Lambertz in Rio.

Kurschilgen ist beim DSV als Krisenmanager gefragt. Selbst erst seit September im Amt, musste er vor zwei Wochen bereits den Rücktritt von Präsidentin Gabi Dörries moderieren. „Der DSV ist nun ein verlassenes Waisenkind, ich hoffe, es gibt einen Neustart, der anders ist als das, was bisher als neu galt“, sagte Doppel-Olympiasiegerin Britta Steffen. Sie würde Dörries ins Amt zurückbitten und glaubt für die Zukunft bestenfalls an Einzelerfolge der Schwimmer.

Für Lambertz’ Rückzug zeigte Kurschilgen Verständnis – wie auch der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB). „Die Gründe sind gut nachvollziehbar“, sagte Dirk Schimmelpfennig, Vorstand Leistungssport des DOSB. Lambertz will sich mehr um seine Familie kümmern. Neben familiärer Gründe sei er aber auch wegen der Konzepte von Kurschilgen zurückgetreten sagte Lambertz. Kurschilgens neue Konzepte waren aber auch ein Grund. „Diese Ansätze waren nicht mit mir kompatibel“, sagte Lambertz. Er fühlte sich entmachtet. „Der neue Sportdirektor hat andere Ideen und Strategien, als ich sie hatte, wie er mit dem Verband erfolgreich sein möchte.“

Die komplizierte Situation seiner Sportart und der Rücktritt der Lambertz-Vertrauten Dörries spielten bei der Entscheidung des Chefbundestrainers ebenfalls eine Rolle. Dörries, die wie Lambertz auf Reformen setzte, konnte die von ihr angeschobene Erhöhung der Mitgliedsbeiträge auf dem Verbandstag nicht durchsetzen und zog daraus die Konsequenzen.

Der nächste Gradmesser wird im kommenden Jahr die WM im südkoreanischen Gwangju. Spätestens in Tokio müssen die Schwimmer dann liefern. Dort sollen sie nach einem „amerikanischen Modell“ betreut werden. Das bedeutet: Ein Coach aus dem Trainerteam führt die Nationalmannschaft in enger Zusammenarbeit mit dem Leistungssportdirektor. „Team Tokio 2020 wird eine Leistungspartnerschaft auf der Basis von Vertrauen, Innovation und Kompetenz sein“, sagte Kurschilgen.

Innovativ und kompetent war auch Lambertz. Der 48-Jährige setzte auf Reformen, führte härtere Qualifikationsnormen für den Saisonhöhepunkt sowie ein Kraftkonzept ein und forcierte die Zentralisierung. Damit machte er sich nicht nur Freunde. Nicht alle Trainer im DSV vertrauten ihm. Vor allem rund um die größtenteils enttäuschende WM 2017 in Budapest gab es immer wieder Kritik an ihm. Nun sind auch diejenigen gefordert, die mit ihm nicht so gut zurechtkamen. Die Bundesstützpunkttrainer und persönlichen Coaches der Schwimmer bekommen mehr Verantwortung. Ihre Aufgabe ist alles andere als leicht. Zwar machten die Europameisterschaften im vergangenen Sommer mit zweimal Gold, zweimal Silber und viermal Bronze etwas Hoffnung, doch zur absoluten Weltspitze und damit zu olympischem Edelmetall fehlt noch einiges.

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