Heißer Herbst für deutschen Sport

Berlin · Es ist unklar, welche Auswirkungen die Wahl von Thomas Bach zum Präsidenten des IOC auf eine mögliche Bewerbung von München um die Winterspiele 2022 hat. Bach selbst scheint optimistisch – doch die Diskussion ist ohnehin völlig verfrüht.

Wenn der deutsche Sport seinen neuen Anführer über eine öffentliche Anzeige auswählen würde, dann könnte sie etwa so lauten: Gesucht wird eine führungsstarke Persönlichkeit, die beste Kenntnisse darüber verfügt, wie der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) funktioniert und wohin er geführt werden soll, die fest verwurzelt ist in der Gesellschaft, die weiß, wie man es anstellt, Winterspiele ins Land zu bekommen - und das alles in einem Ehrenamt.

Natürlich wird es eine solche Ausschreibung nicht geben. Und natürlich wird einen Tag, nachdem Thomas Bach in Buenos Aires den Olymp erklommen hat, niemand sein Interesse anmelden. Das könnte sich jedoch bald ändern in einem stürmischen sportpolitischen Herbst. Eingeleitet wird er am Montag in Frankfurt, wenn der gerade gewählte IOC-Präsident seine nationale Präsidentschaft niederlegt, um sich in Richtung Lausanne zu verabschieden.

Von da an hat ein Trio das Sagen: Der Ex-Banker Hans-Peter Krämer (72), der als Vize-Präsident Wirtschaft und Finanzen laut Statut die DOSB-Geschäfte übergangsweise führen wird, dazu Generaldirektor Michael Vesper (61) und Rainer Brechtken (68). Der ist Fraktionsführer der Fachverbände im DOSB. Ohne die geht nichts. Allein die Verbände mit olympischen Sportarten verfügen über eine Einstimmen-Mehrheit in der Vollversammlung.

Krämer sagt, er werde sich "an exponierter Stelle bemühen, hilfreich zu sein bei der Suche nach einer Bach-Nachfolge. Im Moment ist sie völlig offen." Er habe zwar einen Kandidaten im Auge, doch werde er den Teufel tun, ihn namhaft zu machen. Krämer, der auch der Deutschen Krebshilfe vorsteht, will den Job so schnell wie möglich loswerden - genau am 7. Dezember, wenn die DOSB-Vollversammlung in Wiesbaden tagt. Dort wird entschieden: Muss Krämer bis zum Ende der Legislaturperiode im Dezember 2014 seines Übergangsamtes walten? Oder hat der deutsche Sport bis dahin einen überzeugenden Kandidaten auserwählt? Der sollte den DOSB dann bis 2018 anführen.

Für eine solche Lösung macht sich neben Krämer auch Brechtken stark: "Der deutsche Sport hat einen Anspruch darauf, schon im Dezember eine Wahl zu treffen, wem er die Führung längerfristig zutraut. Ich halte nichts von einem Verschiebebahnhof, ich bin gegen eine Übergangslösung." Der Sport sollte nun in einem "sauberen, geordneten Verfahren" auf Kandidaten-Suche gehen. Das spricht für das Einsetzen einer Findungskommission.

Als erstes wichtiges Datum steht bereits der 19. September fest, wenn sich die Exekutive der Verbände und anschließend die Präsidenten aller Spitzenverbände in Frankfurt treffen. Dabei müsse es aber auch um Inhalte gehen, fordert Brechtken. Wie könne man die Organisation straffen, den Anti-Doping-Kampf noch effektiver gestalten, die Spitzensportförderung weiterentwickeln?

Eine Schlüsselrolle wird Michael Vesper bei der großen Suchaktion im deutschen Sport spielen. Als energischer Generaldirektor hat der ehemalige Spitzenpolitiker der Grünen in den vergangenen sieben Jahren Respekt gewonnen - allerdings mehr in der Außenwirkung als nach innen. Sollte er bereit sein, sein gut bezahltes Hauptamt gegen das Ehrenamt eines Präsidenten einzutauschen, dann wäre Vesper tatsächlich eine starke Option. Der Oberbürgermeister von München war mit dem Wahlergebnis nicht zufrieden. Das ist verständlich. Christian Ude (SPD) kämpft in diesen Tagen nicht nur um das Amt des bayerischen Ministerpräsidenten - mit noch mehr Leidenschaft setzt er sich für Olympische Spiele in München und im Freistaat ein. Und so sagte Ude nach herzlicher Gratulation mit Bedauern: "Als neuer IOC-Präsident und fairer Sportsmann" könne Thomas Bach eine mögliche Münchner Bewerbung "nun natürlich nicht mehr vorantreiben".

Zumindest öffentlich müsste sich Bach künftig zurückhalten. Eine unverhohlene Parteinahme wie einst durch seinen Mentor Juan-Antonio Samaranch (Spanien) im Fall der Sommerspiele 1992 in Barcelona darf sich der neue IOC-Präsident nicht erlauben. Doch Bach hat angedeutet, dass seine Wahl trotzdem eher positiv für München sein könnte. "Wenn es zu einer Bewerbung kommt", sagte er, "werden sich die Mitglieder des IOC schon daran erinnern, wie sehr ich mich für die Münchner Bewerbung eingesetzt habe."

Im Kampf um die Spiele 2018 unterlag München klar dem südkoreanischen Pyeongchang. Doch auch, wenn Bach jetzt offiziell nicht mehr Partei für eine deutsche Bewerbung ergreifen dürfte - im Hintergrund könnte er sehr wohl einwirken. "Ich glaube trotzdem, dass er viel Gutes für uns tun kann", sagte Christian Neureuther. Der ehemalige Skirennläufer und seine Frau Rosi Mittermaier kämpfen um die Winterspiele in München und den drei Partnerkommunen.

Allerdings: Noch steht ja nicht mal fest, ob sich München überhaupt bewerben kann. Am 30. September müssten zunächst die Fachverbände ihre Zustimmung geben. Und dann, nach der bayerischen Landtagswahl an diesem Sonntag und der Bundestagswahl am darauf folgenden, wird alles vom 10. November abhängen: An diesem Tag kommt es in München, in Garmisch-Partenkirchen, in Ruhpolding sowie in Berchtesgaden zu einem Bürgerentscheid - und das dabei erforderliche 4:0 für Olympia ist derzeit nicht sicher.

Die Diskussion um den Einfluss von Bach auf eine Bewerbung von München ist also völlig verfrüht. Ude und seine Mitstreiter müssen zunächst die Bevölkerung für sich gewinnen und an die Urne bringen. Sollte die Bevölkerung in München und den Partnerkommunen ihre Zustimmung zu einer erneuten Bewerbung geben, bleiben noch vier Tage, um die Unterlagen beim IOC abzugeben (14. November). Die Vorarbeiten hinter den Kulissen laufen längst - ein Zeitproblem würde München nicht bekommen.

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Auf einen BlickPressestimmen zur Wahl von Thomas Bach: Österreich: "Salzburger Nachrichten": Mögen viele Entscheidungen des IOC fragwürdig und unlogisch sein - die Wahl von Thomas Bach zum neuen Präsidenten war in Buenos Aires wahrlich keine Überraschung. Spanien: "El Mundo": Das IOC bekommt einen Präsidenten mit Florett. "Marca": Bach ist der neue Olympia-Papst. Portugal: "Público": Anders als Rogge im Jahr 2001 nach dem Korruptionsskandal von Salt Lake City übernimmt Bach eine Organisation, die in ruhigen Gewässern segelt und ihre finanzielle Situation immens verbessert hat. Ende 2012 hatte das IOC in seinen Kassen 683 Millionen Euro. Frankreich:"L'Équipe": Wird es ihm gelingen, Neuerungen einzuführen und Impulse zu geben sowie gleichzeitig die Einheit der Bewegung zu erhalten? Manche zweifeln daran. Im IOC hofft es jeder. "Le Figaro": Bach wird nicht viel Zeit haben, um seinen Erfolg auszukosten. Dem IOC geht es finanziell gut, aber mit den Spielen von Sotschi und Rio de Janeiro gibt es Baustellen, die weiter Sorgen bereiten. Schweiz: "Neue Zürcher Zeitung": Nun wird mit Thomas Bach ein Mann Präsident, der im Verdacht steht, ein Zuträger für einen schwerreichen Araber zu sein, der vor allem am eigenen Renommee interessiert ist. An Bach liegt es nun zu beweisen, dass er mehr als ein Strohmann ist. "Tages-Anzeiger": Nur wer die Stärken und Schwächen der eigenen Organisation kennt, vermag sie auch voranzubringen. dpa

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