Ein Mann wie Thors Hammer

Paris · Aron Gunnarsson ist der Anführer der Isländer – weil er als Jugendlicher eine gute Entscheidung traf. Das EM-Viertelfinale am Sonntag gegen Frankreich ist der vorläufige Höhepunkt seiner Laufbahn.

Aron Gunnarsson war 15, er trug Thors Hammer auf dem Trikot, als sich eine große Karriere abzeichnete. In einer kleinen Stadt im Norden des Nordens, deren Kirche als wunderbare Kulisse für die Fantasy-Saga Game of Thrones durchgehen würde, stieg er zu einem der jüngsten Isländer auf, die jemals ein Profi-Spiel bestritten - im Handball.

Zwölf Jahre danach ist Aron Gunnarsson ein "sehr stolzer Wikinger": Er ist Kapitän der isländischen Fußball-Nationalmannschaft. Thor trägt er inzwischen in furchterregender Pose auf der Haut, auch die Kirche seiner Heimat Akureyri hat er sich tätowieren lassen. Und sein Wurfarm ist gefürchteter denn je. Denn Gunnarssons Einwürfe sind keine Zuspiele. Nein, es sind messerscharfe Flanken in die Gefahrenzone. Sie sind eine "starke Waffe", wie er sagt. "Das ist meine Handball-Technik", erklärt er, "jemand kann doppelt so lange Arme haben: Es bringt nichts."

Diese Waffe wissen die Isländer einzusetzen. Es gibt einen exakten Plan, wie sich wer zu bewegen hat, wenn Aron Gunnarsson zum Schleudergang ansetzt. Er wirft den Ball mit rechts, die linke ist nur Führhand. Eigentlich ist das neuerdings verboten - aber niemand scheint es zu beachten. So hat der Mittelfeldspieler von Cardiff City zwei historische Tore eingeleitet: Das 1:0 gegen Österreich brachte die wackeren Nordmänner ganz nah ans Achtelfinale, das 2:1 gegen England war der K.o.-Schlag für die Three Lions. Dabei hatte die englische Zeitung The Sun vorab eigens eine Einwurf-Warngrafik gedruckt.

Aron Gunnarsson hätte auch Handball-Nationalspieler werden können. Sein Bruder Arnor Thor ist es - er spielt in der Bundesliga beim Bergischen HC. "Handball", sagt hingegen Aron Gunnarsson, "war mir zu langweilig. Ich war immer der Stärkste meiner Altersklasse, kam in Doppeldeckung und konnte nichts mehr machen." Sein Vater wollte allerdings unbedingt, dass er weiter den Nationalsport spielt. Gunnarsson lehnte ab, versprach aber, er werde mit 18 Fußball-Nationalspieler sein. Und er hielt Wort. "Wenn ich mir etwas vornehme", sagt er heute, "bleibe ich dran und schaffe es auch."

Aron Gunnarsson nur erdverwachsen oder heimatverbunden zu nennen, wäre untertrieben. Das Geburtsjahr des Vaters, des Bruders, der Mutter - alles hat er als Tattoo verewigt. Daneben die Postleitzahl von Akureyri - 603. Daher war es auch nicht leicht für ihn, mit 19 nach England zu Coventry City zu wechseln. Es dauerte nicht lange, da musste seine Mutter Jona nachkommen: "Ich konnte meine Wäsche nicht waschen, und ohne Mama habe ich nur Pizza gegessen."

Inzwischen ist er mit einem Fitness-Model verheiratet, er hat einen zuckersüßen Sohn von 14 Monaten. Und natürlich seinen großen Bruder. Er fehlt. Als Ansprechpartner, als Rivale. "Wir haben uns in allem duelliert", hat Arnor Thor Gunnarsson dem isländischen Morgunbladid erzählt: "Wer kann schneller sein Müsli aufessen? Wer hat als Erster den Fisch verputzt?" So ist Aron Gunnarsson geworden, was Engländer "competitive" nennen: Ein unbeugsamer Kämpfer. Ein Mann wie Thors Hammer. Wer seinen zotteligen Bart sieht, muss sich nur noch den Helm dazu vorstellen.

Wie Gunnarsson nach dem Triumph gegen England mit erhobenen Armen den Jubel anführte, wie er seine Hände über dem Kopf aneinanderschlug und dazu "Huh! Huh! Huuuh!" brüllte, ging um die Welt. Vielleicht ja auch wieder am Sonntag gegen 23 Uhr, wenn die Isländer die Franzosen aus der EM gekegelt haben.

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Auf Einen Blick Frankreich will gegen Island nicht denselben Fehler machen wie England. "Viele haben Island unterschätzt", meinte Abwehrspieler Bacary Sagna vor dem Duell im EM-Viertelfinale am Sonntag (21 Uhr) in Paris . "Wir unterschätzen Island nicht, es ist bislang eine der besten Mannschaften." Sagna wird mit einem neuen Nebenmann in der Vierer-Abwehrkette spielen müssen, weil Innenverteidiger Adil Rami gesperrt ist. Trainer Didier Deschamps will sich erst am Samstag bei der offiziellen Pressekonferenz im Stade de France öffentlich zum Spiel äußern. dpa

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