Teure Miete dank Statistikfehler?

St Wendel · 736 Euro müssen Wohngeldempfänger im Landkreis St. Wendel pro Jahr für Miete zuzahlen, weil der staatliche Zuschuss nicht ausreicht. So steht es in einer Statistik der Bundesagentur für Arbeit. Damit wäre der Kreis Spitzenreiter in Deutschland. Stimmt nicht, sagt die Kommunale Arbeitsförderung. Die Datengrundlage der Statistik sei nicht vergleichbar.

 Im St. Wendeler Land müssen Hartz-IV-Empfänger nach einer Statistik am meisten für ihre Wohnung zuzahlen. Dem ist nicht so, sagt das zuständige Jobcenter. Symbolfoto: Bernd Wüstneck/dpa

Im St. Wendeler Land müssen Hartz-IV-Empfänger nach einer Statistik am meisten für ihre Wohnung zuzahlen. Dem ist nicht so, sagt das zuständige Jobcenter. Symbolfoto: Bernd Wüstneck/dpa

Nirgendwo in Deutschland müssen Hartz-IV-Empfänger mehr bei der Miete aus der eigenen Tasche draufzahlen als im Landkreis St. Wendel. Das geht aus einer aktuellen Statistik der Bundesarbeitsagentur in Nürnberg hervor. Demzufolge ist die Region Spitzenreiter aller 402 Kreise und kreisfreien Städte.

Konkret: Durchschnittlich kommen laut dieser Statistik auf einen so genannten Bedarfsempfänger im St. Wendeler Land pro Jahr 736 Euro Kosten für Kaltmiete hinzu, die er selbst für die laufenden "Kosten der Unterkunft" - im Amtsdeutsch kurz KdU - bezahlen muss. Damit liegt dieser Betrag weit über dem, der im Bundesdurchschnitt fällig ist und laut Statistiker bei 197 Euro liegt. Die Zahlen wertete die Internetplattform Portal Sozialpolitik aus. Deren Berliner Betreiber Johannes Steffen war bis vor Kurzem bei der Arbeitnehmerkammer in Bremen tätig und tritt als Sozialexperte regelmäßig als Gastredner und bei Diskussionsforen auf.

Ursache für diesen Umstand, dass Wohngeldempfänger mit dem staatlichen Zuschuss nicht auskommen, ist nach Steffens Analyse die Diskrepanz zwischen dem, was Vor-Ort-Behörden als angemessenen Wohnraum bezeichnen, und den tatsächlichen Mietpreisen auf dem freien Wohnungsmarkt. Den Kommunen unterliege demnach die Entscheidung über die Angemessenheit, wie hoch Mieten für Hartz-IV-Empfänger sein dürfen.

So liege die Obergrenze bei Single-Haushalten im St. Wendeler Land bei 235 Euro Kaltmiete, wie Lukas Kowol von der Pressestelle des Landratsamtes mitteilt. Zum Vergleich: Im Landkreis Neunkirchen sind es 207, im Landkreis Merzig-Wadern 200 Euro. Trotzdem müssen dort Hartz-IV-Empfänger laut der Statistik weniger draufzahlen als im St. Wendeler Land, allerdings immer noch erheblich mehr als im Bundesvergleich.

Woran liegt's? Für Lukas Kowol von der Pressestelle des Landkreises liegt der Grund in der Datengrundlage der Statistik. Die sei bundesweit nicht vergleichbar. Kowol: "Diese Auflistung ist somit auch falsch, die Rangliste ist nicht korrekt."

Thomas Schmidt, Leiter der Kommunalen Arbeitsförderung, die im Landkreis für die Hartz-IV-Empfänger zuständig ist, ergänzt: In Deutschland gebe es bis zu acht verschiedene Statistik-Programme, die eingesetzt werden. Eines davon enthalte zum Beispiel gar kein Feld zur Erfassung der tatsächlichen Mietkosten, sondern nur für die so genannte angemessene Miete, die das Jobcenter auszahle. Das Computersystem setze dann einfach angenommene und tatsächliche Miete gleich. So wundert es Schmidt nicht, dass gerade die Kreise, die dieses System einsetzen, in der Statistik besonders gut abschneiden.

Die Mitarbeiter des St. Wendeler Jobcenters haben darüber hinaus alle Daten noch einmal überprüft und die tatsächliche Miete auf den aktuellen Stand gebracht. Das Ergebnis, so Schmidt: "69 Prozent der gezahlten Kaltmiete ist identisch mit dem Richtwert." Bei zwölf Prozent liege die Differenz zwischen angemessener und tatsächlicher Miete unter 50 Euro im Monat, bei 18 Prozent darüber. Bei einem Prozent der Fälle habe man Fehler entdeckt. Damit verringere sich der in der Nürnberger Statistik ausgewiesene Betrag von 736 Euro Zusatzkosten im Jahr auf etwa die Hälfte, so Schmidt.

Der Landkreis St. Wendel rangiere damit nicht mehr auf dem Negativplatz 1, sondern um Platz 50. Das Jobcenter betreut 2200 Bedarfsgemeinschaften im St. Wendeler Land. Laut Schmidt erhalten 90 Prozent von ihnen Geld für die Kosten der Unterkunft. Insgesamt sind dies neun Millionen Euro im Jahr. Geld, das die Kommunen über die Umlage aufbringen müssen.

Lukas Kowol bestätigt Informationen des Internetdienstes Portal Sozialpolitik, wonach mehrere Kriterien ausschlaggebend für die Bemessung der Mietzuschüsse sind. Unter anderem orientiere sich die Behörde an den ortsüblichen Mietpreisen. Dafür würden ständig Inserate studiert, um sich über die Marktpreise zu informieren. Einen exakten Mietspiegel zum Vergleich gebe es im gesamten Saarland nicht.

Kritik kommt von den Linken. Deren Bundestagsabgeordneter Thomas Lutze sagte der Saarbrücker Zeitung: "Insbesondere der Landkreis St. Wendel ist ländlich geprägt. Viele leben im Eigenheim. So mangelt es an Mietraum." Dementsprechend sei die Nachfrage groß, was die Preise steigen lasse. Das werde bei der Bemessung für die Hartz-IV-Unterkunftszuschüsse aber nicht berücksichtigt. Deshalb fordert Lutze, das diese Kriterien "bundesweit einheitlich" sind und nicht wie jetzt regional individuell. Gleichzeitig müssten Mietspiegel Aufschluss über die Durchschnittspreise geben, die "natürlich in München höher sind als bei uns".

portal-sozialpolitik.de/

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