Unternehmen im St. Wendeler Land Baden im Triebwerk eines Flugzeuges

Alsweiler · In einer neuen Serie möchte die SZ Unternehmen aus dem Landkreis St. Wendel vorstellen. Los geht es mit flugzeugmöbel.de.

 Selbst einen Whirlpool aus einem Triebwerkseinlass haben Krämer und sein Team schon gebaut.

Selbst einen Whirlpool aus einem Triebwerkseinlass haben Krämer und sein Team schon gebaut.

Foto: Marius Krämer

Es war ein bitteres Karriere-Ende für das alte Höhenruder. Fast 70 Jahre lang flog es durch die Lüfte. Als Teil des Rosinenbombers mit der Kennung D-CXXX diente es zunächst der britischen Royal Air Force. Bei der Luftbrücke half es, das Überleben der eingeschlossenen Berliner zu sichern. Und nach der Jahrtausendwende zeigte es Touristen während Rundflügen die Bundeshauptstadt von oben. Doch dann das: Am 19. Juni 2010 musste das Propellerflugzeug vom Typ Douglas DC-3 kurz nach dem Start notlanden. Die Maschine wurde dabei stark beschädigt und das alte Höhenruder drohte, auf dem Flugzeugfriedhof zu landen. Doch Marius Krämer gab ihm eine zweite Chance.

 Marius Krämer, Gründer und  Geschäftsführer von flugzeugmöbel.de.  Foto: Krämer

Marius Krämer, Gründer und Geschäftsführer von flugzeugmöbel.de. Foto: Krämer

Foto: Marius Krämer

Der 25-Jährige designt Möbel aus Flugzeugteilen. „Dass wir dieses Höhenruder bekommen konnten, ist etwas ganz Besonderes“, schwärmt er. Der Winterbacher war schon als Kind von der Luftfahrt fasziniert, nach dem Abitur absolvierte er eine Ausbildung zum Verkehrspiloten. Um sich etwas Taschengeld dazuzuverdienen, bastelte er Einrichtungsgegenstände aus Schrott und verkaufte diese. „Ich habe so ziemlich alles benutzt, was ich finden konnte, hauptsächlich alte Autoteile“, erinnert sich Krämer. Familie, Freunde und Kollegen waren von seinen Kreationen begeistert und wurden seine ersten Kunden. Als er anfing, alte Flugzeugteile zu verwerten, erhielt er immer mehr Anfragen und Bestellungen – auch von Menschen, die er gar nicht kannte.

 Dieser edle Schreibtisch trägt den Namen „Rosinenbomber“. Das Höhenruder einer Douglas DC-3 dient als Tischplatte.

Dieser edle Schreibtisch trägt den Namen „Rosinenbomber“. Das Höhenruder einer Douglas DC-3 dient als Tischplatte.

Foto: Oliver Jungmann

Das Geschäft entwickelte sich so gut, dass sich Krämer nach seinem Abschluss selbstständig machte. Im November 2013 gründete er die Firma Wilco Design und etablierte die Marke flugzeugmöbel.de. Zusätzlich nahm der Jungpilot einen Job als Fluglehrer in der Schweiz an. Dort lernte er auch den Hobbypiloten Julian Schneider kennen, der als  geschäftsführender Gesellschafter in die Firma einstieg. Ihr Leben war ein stetiger Wechsel zwischen Cockpit und Werkstatt. Im März 2017 zogen die beiden schließlich ins Saarland, um sich voll und ganz ihrer Geschäftsidee zu widmen. „Zuerst waren wir in einer etwa 100 Quadratmeter großen Halle in Bliesen“, erzählt Krämer. Doch die platzte schnell aus allen Nähten. Im August zogen die Jungunternehmer und ihr dreiköpfiges Team daher nach Alsweiler in die Feldstraße um.

Dort lagern auf 600 Quadratmetern unter anderem Triebwerkseinlässe, Seitenruder, Flugzeugtüren, Landeklappen und Sternmotoren. „Die meisten dieser Teile stammen von einer Boeing 747 oder einem Airbus A 340“, erklärt Tobias Backes. Der 28-Jährige leitet seit September die Kommunikation und den Vertrieb der Firma und packt gerne auch mal mit an, wenn’s ums Schrauben, Schweißen und Tüfteln geht. „Im Sommer habe ich geholfen, eine komplette Antonov AN-2 in Einzelteile zu zerlegen“, erzählt er. Mit vier Leuten seien sie damals nach Ungarn gefahren und hätten den Doppeldecker in drei Tagen auseinander genommen. Auch die Überreste dieser Maschine stehen nun in Alsweiler.

Dabei ist es gar nicht so einfach, überhaupt an solche Flugzeugteile heranzukommen. Krämer gelingt dies in erster Linie durch berufliche Kontakte, die er bereits vor der Unternehmensgründung aufbauen konnte. „Da hat sich im Laufe der Zeit schon ein relativ großes Netzwerk entwickelt“, freut sich der Geschäftsführer. Er steht in ständigem Kontakt mit Verwertungsfirmen, aber auch direkt mit Fluggesellschaften.  Das ermöglicht es ihm, sogar Stücke von ausgefalleneren Modellen zu beschaffen. So steht derzeit etwa die Bordwand einer Vickers VC-10 (Kennung XR 106) im Lager. „In diesem Flugzeug ist sogar die Queen schon mitgeflogen“, weiß der Jungunternehmer. Er verbaut ausschließlich Teile, die nicht mehr für den Flug geeignet sind und in keinen Unfall verwickelt waren, bei dem Menschen verletzt oder gar getötet wurden. Außerdem muss das Luftfahrzeugkennzeichen bekannt sein. Mit diesem Code können Kunden die Geschichte nachvollziehen, die hinter ihrem Möbelstück steckt.

Doch wie entwirft Krämer diese überhaupt? „Oft rufen die Leute bei uns an und sagen uns, was sie haben möchten“, antwortet er. Sein Team fertige dann nach individuellem Wunsch. Zwischen einem und vier Monate dauert es, bis solch ein Designerstück fertig ist. Denn die Herstellung erfolgt in Handarbeit. „Wir müssen die Flugzeugteile entlacken, bürsten, polieren und dann das eigentliche Stück daraus bauen“, erläutert Krämer. Je ausgefallener das sein soll, desto mehr Spaß haben die Jungs bei der Arbeit. So haben sie schon eine Wand-Bar aus dem Kabinenfenster einer ausrangierten Boeing 737 gebastelt. Ein russischer Sternmotor wurde zum Beistell- und die Bugfahrwerksklappe einer Boeing 747 zum Esstisch. Eine Landeklappe einer Antonov AN-2 dient nun als Halter für Weinflaschen. Aus der Abgasdüse eines Airbus A320 wurde ein Gartenkamin und aus dessen Triebwerkseinlass ein Whirlpool.

Fast alle Stücke sind Unikate – und die haben ihren Preis. Ein kleiner Couchtisch aus einem Flugzeugreifen kostet etwa 1900 Euro, ein Lounge-Tisch aus Teilen eines JT3D-Triebwerkes liegt bei rund 7500 Euro. „Die Möbel sollen schon etwas Exklusives sein“, sagt Krämer. Er betont jedoch, dass seine Firma auch Produkte für schmalere Geldbeutel herstellt; etwa Schlüsselhalter aus Sitzgurten (ab 24 Euro), Fußmatten für Flughafenliebhaber (ab 25 Euro) und Kalender (ab 25 Euro).

Zu seinen Kunden zählen in erster Linie Menschen, die nicht direkt etwas mit der Luftfahrt zu tun haben. „Piloten, Lotsen und Flugbegleiter kaufen bei uns eher selten. Sie wollen ihre Arbeit nicht noch mit nach Hause nehmen“, sagt Krämer. Vielmehr seien es Flieger- 
ärzte, Luftrechtsanwälte und Luftfracht-Logistikunternehmen, die sich für seine Produkte interessieren. Hin und wieder würden sich aber auch Flugzeug-Fans bei ihm melden. „Die wollen meist Möbelstücke aus ganz bestimmten Teilen und von ganz bestimmten Marken.“ Als Pilot möchte Krämer seine Leidenschaft für die Luftfahrt auch in seinen Produkten zum Ausdruck bringen. Dass die meisten Kunden diese Liebe zu Flugzeugen teilen, macht ihn besonders glücklich. Das Start-Up-Unternehmen liefert schon jetzt weltweit. Zwar sei das Hauptgeschäft in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Aber erste Möbel gingen auch schon in die USA, nach Australien, Thailand und in den Libanon.

Wo das alte Höhenruder der Douglas DC-3 einmal landen wird, steht derzeit noch nicht fest. Krämer und sein Team haben das Gerippe in wochenlanger Handarbeit auf Hochglanz geschliffen und poliert, mit geölten Eichenwangen eingefasst und einer Glasplatte versehen. Es ist nun bereit, eine zweite Karriere zu starten: als Schreibtisch der Extraklasse.

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