Zu Besuch beim Jobcenter des Landkreises St. Wendel „Die Menschen da abholen, wo sie stehen“

St. Wendel · Der Leiter des Jobcenters im Landkreis St. Wendel gewährt einen Einblick in den Alltag der kommunalen Arbeitsförderung.

 Jobcenter-Chef Thomas Schmidt (stehend) und Jan Bergmann werfen gemeinsam einen Blick auf den Antrag der Hartz IV-Empfängerin.

Jobcenter-Chef Thomas Schmidt (stehend) und Jan Bergmann werfen gemeinsam einen Blick auf den Antrag der Hartz IV-Empfängerin.

Foto: Evelyn Schneider

Der eine tippt auf seinem Smartphone herum, eine andere unterhält sich mit ihrem Begleiter, ein kleiner Junge tänzelt ungeduldig von einem Fuß auf den anderen. Jeder versucht, sich auf seine Weise die Wartezeit zu verkürzen – bis endlich die richtige Nummer aufleuchtet. Der Flur im ersten Stock des Gebäudes in der Tritschlerstraße ist gut gefüllt. An diesem Tag ist offene Sprechstunde im kommunalen Jobcenter.

Ein roter Punkt blinkt auf dem Monitor von Jan Bergmann auf. Das signalisiert dem Mitarbeiter im Servicebereich, dass mehr als zehn Personen darauf warten, Gehör für ihre Anliegen zu finden. Und die sind so unterschiedlich wie die Menschen selbst. Ein junger Mann tritt ein, möchte Lebensmittelgutscheine abholen. Ruckzuck hat Bergmann das passende Formular auf seinem Rechner parat. Allerdings ist der junge Mann spät dran. Der Verwaltungsprofi erinnert an die Fristen. Mit einem „Dankeschön“ verlässt der Mann wieder das Büro. „Seine Leistungen sind aktuell gesperrt“, erläutert Bergmann. Er kriegt nur Lebensmittelgutscheine. Das ist eine mögliche Sanktion, wenn Jobcenter-Kunden beispielsweise Maßnahmen nicht besuchen (die Sanktionsquote liegt bei 2,3 Prozent).

Es ist ein Kommen und Gehen. Mal geben die Eintretenden lediglich Formulare ab, mal brauchen sie mehr Unterstützung. Wie im Falle eines Syrers, dem der Inhalt eines Formulars nicht klar ist. Jan Bergmann greift zum Hörer. Er braucht die Unterstützung eines Dolmetschers. Der ist gerade nicht am Platz. Spontan springt ein Bekannter des Mannes ein. Alles geklärt. Der Nächste, bitte. Ein Frau muss umziehen, hat aber noch keine neue Bleibe gefunden. Das will sie das Jobcenter wissen lassen. Bergmann greift in ein Fach hinter sich und zieht einen Zettel mit freien Wohnungen hervor. „Nein, wir sind nicht für die Wohnungssuche zuständig, auch wenn das schon das ein oder andere mal so angenommen wurde“, sagt Bergmann und grinst. Aber vielleicht passt in diesem Fall ja was.

Die Ampel springt von Rot auf Gelb. Es wird etwas ruhiger. „Das kann sich aber ganz schnell wieder ändern“, weiß der 38-Jährige. Um 13 Uhr beginnt die offene Sprechstunde. Um 15.30 Uhr wird die letzte Nummer ausgegeben. Kurze Aufregung im Nachbarbüro. Es wollte jemand ohne Nummer flugs mal ein Anliegen klären. Das geht nicht. Es gelten für alle die gleichen Regeln.

Die meisten halten sich daran, sind höflich. „Aber wir haben auch ein bis zwei Strafanzeigen im Monat wegen Beleidigung“, sagt Thomas Schmidt, Leiter des Jobcenters des Landkreises St. Wendel. Auch Hausverbote werden regelmäßig erteilt: zwei bis drei im Monat, schätzt Schmidt. „Wir sind das letzte Bollwerk des Sozialstaats.“ Jeder auf der Straße habe eine Meinung zum Jobcenter und dessen Mitarbeitern – zwischen Bedauern und Vorwürfen. „Für diesen Job wünscht man sich öffentliche Anerkennung.“ 90 Mitarbeiter sind im Jobcenter beschäftigt, darunter auch Sozialpädagogen und Juristen. Letztere werden unter anderem wegen Widerspruchs- und Klageverfahren gebraucht. 2018 waren es 393.

43 Prozent der Hartz-IV-Empfänger im Landkreis St. Wendel sind Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit. „Rechnen wir die Flüchtlinge aus den Statistiken raus, wären wir auf einem Tiefstand“, sagt Schmidt. Im Stillen arbeite sein Team nun die Flüchtlingswelle ab. „Es gibt keine hoffnungslosen Fälle“, sagt er. Es sei wichtig, die Menschen da abzuholen, wo sie stehen und sie dann konsequent voranzubringen.

Es gibt immer wieder auch Erfolgsgeschichten. So wie der junge Flüchtling, der an diesem Nachmittag im Büro von Fallmanagerin Diana Arnold sitzt. Sie kümmert sich um die Menschen unter 25 Jahren. „Es geht darum, die Voraussetzungen zu schaffen, dass sie eine Ausbildung aufnehmen oder arbeiten gehen können.“ So wie der junge Mann, der gegenüber von ihr Platz genommen hat. In gutem Deutsch erklärt er, dass er gerne den Führerschein machen würde, da er diesen für seinen Job brauche. Diana Arnold nimmt das Anliegen auf, das jetzt geprüft wird.

Im Jobcenter gibt es zum einen feste Termine, zum anderen die offenen Sprechstunden, zu denen die Menschen mit den unterschiedlichsten Anliegen erscheinen. „Meistens geht es aber ums Geld“, weiß Schmidt. Denn eines ist jenen, die auf das Jobcenter angewiesen sind, gemein: eine finanzielle Notsituation. Das Hartz-IV-Gesetz ordnet der Experte als „ruppig“ ein. Es gehe um Fördern und Fordern, also Leistung gegen Leistung.

Diskussionspotenzial liefert regelmäßig die Frage: Reicht der Hartz IV-Satz aus? „Ich denke, das Geld reicht für ein einfaches Leben“, sagt Schmidt, der das Jobcenter seit 2005 leitet. Aber er weiß auch, dass dann nichts Unvorhergesehenes passieren darf, das unerwartete Ausgaben zur Folge hat. „Man muss selbstdiszipliniert sein und immer alles planen“, so Schmidt. Denn komme der Hartz-IV’ler erst einmal in die Situation, in der er ständig abwägen müsse, welche Rechnung er nun zuerst begleiche, bedeute das psychischen Stress. Arm zu sein, könne auch einsam machen, weil kein Geld da ist, um bei Aktivitäten mitzumachen oder Kontakte zu pflegen. Auch die Suchtgefahr sei groß.

In Notsituationen kann das Jobcenter schon mal aushelfen, aber nicht unbegrenzt. Das führt zu Diskussionen und Unzufriedenheit. Wie soll man den Menschen, die unter Druck stehen, begegnen? Um den Mitarbeitern das Handwerkszeug für schwierige Gespräche mit auf den Weg zu geben, werden dreitägige Deeskalationsschulungen angeboten, bei denen Psychologen dabei sind.

Der durchschnittliche Hartz-IV-Empfänger ist ein alleinstehender Mann mittleren Alters. Grundsätzlich könne es jedem passieren, einmal auf Geld vom Staat angewiesen zu sein. „Wir hatten auch schon mal einen ehemaligen Vorstandsvorsitzenden eines großen Unternehmens als Kunden“, erinnert sich Schmidt. Es gebe gewisse Risikofaktoren, die sich in den Lebensläufen der HartzVI-Empfänger häufen. Mangelnde Bildung, Schicksalsschläge wie Krankheit gehören dazu. Auch die Migration ist ein solcher Faktor. Denn wer in ein fremdes Land flieht, hat in der Regel kein Geld, und es fehlen meist Sprachkenntnisse.

Neben der Soforthilfe und dem Heranführen der Menschen an entsprechende Jobs – es gibt spezielle Arbeitsvermittler – geht es auch um Prävention. Da Bildung ein Schlüsselfaktor sei, gehen Sozialarbeiter in die Klassen an den weiterführenden Schulen, um zu schauen: Welcher Schüler hat ein Anschlussproblem? So könne gezielte Hilfe angeboten werden. „Es ist eine Art Frühwarnsystem.“

Was Kinder unter 15 Jahren betrifft, so sind im Landkreis St. Wendel 10,9 Prozent von Hartz IV betroffen (zum Vergleich: im Regionalverband Saarbrücken liegt die Kinderarmut bei 26,6 Prozent). Auch hier sind überwiegend Flüchtlings- und Migrantenkinder betroffen. In der zweiten Generation spiele der Migrationshintergrund hingegen keine große Rolle mehr.

3662 Leistungsberechtigte zählte das kommunale Jobcenter im Juli. Wobei es laut Schmidt stetig Veränderungen gebe. Hartz-IV-Empfänger im Dezember eines Jahres seien nicht die gleichen wie im Januar. „Es steckt Dynamik drin.“ 1077 Neuanträge wurden 2018 bearbeitet. 30,02 Millionen Euro gab das Jobcenter im vergangenen Jahr aus, das sind 26 Prozent des Haushaltes des Landkreises. 25 Prozent der Ausgaben (vor allem Unterkunftskosten) tragen die Kommunen über die Kreisumlage, den Rest der Bund.

Es ist ruhig geworden auf dem Gang des Jobcenters. Vor Jan Bergmann nimmt eine Frau mit ihrem Sohn Platz. Sie liefert Formulare ihres Mannes ab, der eine Arbeitsstelle gefunden hat. Alles wird kopiert, der Empfang bestätigt. Der Monitor zeigt grünes Licht. Ein Blick auf die Uhr. Der Feierabend rückt allmählich näher.

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