„So richtig fassen kann ich das noch nicht“

Hasborn · Bundestrainer sind wir derzeit ja alle ein bisschen. Soll Miroslav Klose von Beginn an stürmen? Sollte Philipp Lahm besser ins Mittelfeld? Und kann man auf Bastian Schweinsteiger verzichten? Wie sehen wirkliche Trainer die Auftritte der deutschen Mannschaft? Um das herauszufinden, schaut ihnen die SZ beim Zugucken über die Schulter. Dieses Mal mit Wolfgang Alt, Trainer des A-Jugend-Regionalligisten JFG Schaumberg-Prims.

 Michelle Wangard, Nathalie Alt und Lena Schnur (vorne von links) jubeln mit Wolfgang Alt (hinter Nathalie Alt) über den Treffer von Toni Kroos in der 24. Minute zum 3:0 im WM-Halbfinale gegen Gastgeber Brasilien. Foto: B & K

Michelle Wangard, Nathalie Alt und Lena Schnur (vorne von links) jubeln mit Wolfgang Alt (hinter Nathalie Alt) über den Treffer von Toni Kroos in der 24. Minute zum 3:0 im WM-Halbfinale gegen Gastgeber Brasilien. Foto: B & K

Foto: B & K

Die deutsche Nationalmannschaft hat im Halbfinale der Weltmeisterschaft den überforderten Gastgeber Brasilien mit 7:1 besiegt. Die ganze Fußball-Welt spricht über diesen denkwürdigen Abend. Wolfgang Alt stuft den Sieg als historisch ein. Der 59-jährige Trainer des A-Jugend-Regionalligisten JFG Schaumberg-Prims lässt den Turnierverlauf Revue passieren. "Die Mannschaft hat sich kontinuierlich gesteigert", sagt Alt. Nun liege natürlich die Messlatte ganz hoch. "Mit einem 7:1 im Halbfinale bist du der haushohe Favorit im Endspiel", weiß er.

Warum auch nicht, denn in der Partie gegen Brasilien habe alles gepasst. "Der frühe Führungstreffer fiel genau in der Drangphase der Brasilianer. Das taktische Verschieben, das Zweikampfverhalten und die Chancenverwertung waren danach beeindruckend", lobt Alt. So einen klasse Auftritt habe er nicht erwartet, geschweige einmal zuvor in einem Halbfinal-Spiel erlebt. Lediglich ein Spieler gibt ihm Anlass zur Kritik. "Nur Mesut Özil hat nicht überzeugt, alle anderen haben auf einem ganz hohen Level gespielt. Auch Benedikt Höwedes hat sich richtig in die Mannschaft reingespielt", sagt der ehemalige Zweitliga-Spieler von Borussia Neunkirchen.

Entscheidend für den Kantersieg sei das fantastische frühe Angreifen der deutschen Elf gewesen, die jeden Fehlpass und Stellungsfehler überragend ausgenutzt habe. Vor dem 1:0 spielt der Brasilianer Marcelo einen Fehlpass, weil er keine Anspielstation findet - und Deutschland kontert wie aus dem Lehrbuch. "Das Umschaltspiel war zunächst genial. Beim anschießenden Eckball von Toni Kroos rennen fünf Brasilianer kurz und lassen den langen Pfosten frei", analysiert Alt den Führungstreffer von Thomas Müller . Wenn Fernandinho an der Strafraumgrenze den Querpass vor dem 2:0 hätte abfangen können, wäre es vielleicht nach hinten eng geworden. "Alle waren in der Vorwärtsbewegung, das Feld war völlig offen für einen Konter", erklärt der Trainer. So habe das 2:0 Brasilien in einen brutalen Schockzustand versetzt. "Da ist jetzt kein Führungsspieler drin, der das Spiel an sich reißen kann", sagt Alt.

Überragendes Pressing

Das Spiel der Deutschen genießt der 59-Jährige sichtlich. "Die Mannschaft spielt ein überragendes Pressing und Gegenpressing. Das Pass-Spiel ist überlegt und es wird ganz mannschaftsdienstlich miteinander gespielt", analysiert der Hasborner bei den Angriffsaktionen gegen die orientierungslose brasilianische Abwehr. Alt gratuliert Bundestrainer Joachim Löw . "Er hat alles richtig gemacht." Mitfühlen kann er aber auch mit Brasiliens Trainer Luiz Felipe Scolari. "Es ist eine wahnsinnig schwere Aufgabe, nach einem 0:5 eine Mannschaft zu stabilisieren", erklärt er mit Blick auf den Halbzeit-Stand.

Die ersten zehn Minuten nach dem Seitenwechsel gefallen Alt nicht. "Brasilien hatte drei ganz klare Torchancen, so etwas kann schnell ins Auge gehen", mahnt er. Als riesig bezeichnet er die Leistung von Torwart Manuel Neuer in dieser Phase. "Man muss ihm schon etwas Besonderes anbieten, um ihn bezwingen zu können", betont Alt. Er fordert die Einwechslung von André Schürrle , um klare Konter zu setzen - und wird erhört. "Ein 7:1 in Brasilien ist eigentlich unglaublich, so richtig fassen kann ich das noch nicht", gesteht Alt beim Schlusspfiff. Spontan tippt er auf die Niederlande als Finalgegner am kommenden Sonntag um 21 Uhr - was sich als falsch herausstellte, weil Argentinien im Elfmeterschießen mit 4:2 gewann.

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