Sozialstudie zeigt viele Gesichter der ArmutLob und Anregungen für Sozialstudie

Saarbrücken. Die Zeit der Mutmaßungen und aufwändigen Daten-Recherchen ist vorbei. Wer wissen will, wie es um die soziale Lage im Land bestellt ist, kann dies aus der ersten "Sozialstudie Saar" erfahren. Sie soll, so die Zusage vom Ministerium für Arbeit, Familie, Prävention, Soziales und Sport, ab heute auch im Internet (www.saarland

Saarbrücken. Die Zeit der Mutmaßungen und aufwändigen Daten-Recherchen ist vorbei. Wer wissen will, wie es um die soziale Lage im Land bestellt ist, kann dies aus der ersten "Sozialstudie Saar" erfahren. Sie soll, so die Zusage vom Ministerium für Arbeit, Familie, Prävention, Soziales und Sport, ab heute auch im Internet (www.saarland.de) zu finden sein: 232 Seiten Fakten, hauptsächlich zum Thema Armutsentwicklung in den vergangenen zehn Jahren. Das Kölner Otto-Blume-Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik hat sie erarbeitet, in enger Abstimmung mit einem Beirat, der aus Vertretern der Kirchen und der Liga der freien Wohlfahrtspflege besetzt war.

Dietrich Engels (Otto-Blume-Institut) erläuterte gestern in Saarbrücken vor Medienvertretern Methodik und zentrale Ergebnisse der Studie. Etwa folgende: Das verfügbare Einkommen der privaten Haushalte ist seit 1990 stärker gestiegen als im Bundesdurchschnitt. Zugleich gibt es ein geringeres Arm-Reich-Gefälle: Die hiesigen Einkommen sind gleichmäßiger verteilt als andernorts. Allerdings beziehen mehr Menschen Sozialhilfe. (1,5% , Bund: 1,3%) Auch ist die Zahl der Hauptschüler höher (Saarland: 33 %, Bund: 24 %). Bestens aufgestellt und besser als bundesweit liegt das Land bei Kinderbetreuung und vorschulischer Bildung. So besuchen 94 % der Kinder ab drei Jahren einen Kindergarten (Bund: 90 %). Überdurchschnittlich hoch ist auch das zivilgesellschaftliche Engagement, die Verbundenheit mit den Kirchen, die Vernetzung (Partizipation).

Insgesamt lautet Engels' Fazit: Das Saarland spielt keine Sonderrolle mehr, liegt weitgehend im Bundesschnitt. Dort wie hier unterliegen vor allem junge Menschen zwischen 18 und 25 einem besonders hohen Armutsrisiko, seien es junge Hilfsarbeiter ohne Abschluss oder Studenten der Betriebswirtschaft, die auf einen Top-Job warten. So unterschiedlich stünde es um die "belasteten" Lebenslagen.

Als hiesige Besonderheit nannte Engels den "Aufholprozess" der vergangenen zehn Jahre: "Es wurde in vielen Punkten eine relative Verbesserung erreicht." Die Studie weist aber auf weitere Optimierungs-Notwendigkeiten hin, insbesondere in den Bereichen Bildungsniveau, atypische Beschäftigungsverhältnisse, Sozialhilfebezug, Einkommenslage. Und sagt voraus, dass die unterbrochenen Erwerbsbiografien der Jetztzeit in naher Zukunft für ein neues Spitzen-Thema sorgen werden: Altersarmut.

Zuvor hatte Engels den methodischen "Mehr-Ebenenansatz" erläutert. Untersucht wurde nicht nur die materielle Armut, die sich etwa an staatlichen Unterstützungs-Leistungen ablesen lässt, sondern zusätzlich die "relative Armut", die sich am Durchschnittseinkommen einer Region (oder in der Bundesrepublik) orientiert. Zusätzlich auch noch die "Inklusion". Letztere beschreibt die Einbindung ins Sozialleben.

Ministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) lobte denn auch die hohe Differenzierung des Werkes, das zeige: "Es gibt nicht die eine Armut mit einem einzigen Gesicht." Die Fakten-Sammlung erlaube jetzt "jenseits des politischen Pulverdampfes" eine konstruktive Debatte. Sie selbst hat aus der Passage mit 15 Einzelinterviews mit Alleinerziehenden die überraschendsten Erkenntnisse gewonnen. Etwa die, dass heute immer noch jüngere Frauen von ihren Eltern mit dem Hinweis auf Mutterschaft und Ehe nicht ermuntert würden, einen qualifizierten Beruf anzustreben. Außerdem sei ablesbar, dass Alleinerziehende keineswegs einen Vollzeit-Job haben wollten, sondern ein großes Bedürfnis bestehe, Kinder selbst groß zu ziehen. Kramp-Karrenbauer kündigte als Handlungs-Schwerpunkte an: Kinderarmut - ein vertiefender Nachfolgebericht werde in Auftrag gegeben - und Hilfen für alleinerziehende Frauen. Bis Ende Februar werden die Stellungnahmen der Ministerien und der Beirats-Mitglieder erwartet, danach erst folgen Konzepte. Saarbrücken. Das Diakonische Werk an der Saar äußerte sich lobend zur Studie. Zur Vollständigkeit fehle allerdings eine vergleichbare Studie zur Reichtumssituation. Auch seien die Handlungsempfehlungen noch sehr allgemein gehalten, hieß es gestern.

Der CDU-Landtags-Abgeordnete Hermann Scharf hob hervor, es handele sich um "eine ehrliche Bestandsaufnahme". Nach Auffassung von Christoph Kühn, Mitglied der FDP-Fraktion, bestätigt die Studie "dass das Saarland auf dem richtigen Weg ist". Die Linksfraktion im saarländischen Landtag forderte Ministerin Kramp-Karrenbauer auf, ihre gestern wiederholte Zusage, eine Bundesratsinitiative zur Anhebung der Regelsätze für die Hartz-IV-Kinder zu starten, in die Tat umzusetzen. ce "Es gibt nicht die eine Armut mit einem Gesicht."

Sozialministerin Kramp-Karrenbauer

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