Sie nimmt den Plastiken jede Geste

Saarbrücken. "Zeigen heißt Sprechen" lautet das Bekenntnis der Bildhauerin Anne Haring. "Es gilt nur die zeichnerische Form. Es gibt kein geschriebenes Wort mehr." Gerade waren ihre Tagebücher aus den vergangenen zehn Jahren in einer Kirche im nordhessischen Alsfeld ausgestellt. Davor hatte sie noch über ihre Arbeit geschrieben. Verloren gab sie diese Zeilen nicht

Saarbrücken. "Zeigen heißt Sprechen" lautet das Bekenntnis der Bildhauerin Anne Haring. "Es gilt nur die zeichnerische Form. Es gibt kein geschriebenes Wort mehr." Gerade waren ihre Tagebücher aus den vergangenen zehn Jahren in einer Kirche im nordhessischen Alsfeld ausgestellt. Davor hatte sie noch über ihre Arbeit geschrieben. Verloren gab sie diese Zeilen nicht. Anne Haring legte die Blätter in Schichten hinter Glas, bis die Buchstaben sich zu einem unentzifferbaren Zeichengewebe formierten. Für sie ist das ein "Zeitspiegel", in dem das Schreiben zum Zeichnen wird, "so dass ich die Bilder zuerst lese wie ein tachistisches Bild."Es wird nicht mehr erzählt. Alles Wesentliche ist im Bild. "Das ist meine Sprache." Das gilt auch für ihre Figuren. Sie stehen im Raum, aber sie erzählen keine Geschichte. Dafür sorgt Haring und nimmt ihren mannshohen Figuren jede "physische Geste", sagt sie, an der sich ein Gefühlszustand erkennen ließe. Das wäre der Anfang einer Geschichte, aber das Ende des Bildes. "Ich nehme interessanterweise anders wahr, als ich sehe. Ich sehe nicht mehr die Oberfläche", sagt Haring und lenkt bewusst das Augenmerk auf das, was eine Plastik ausmacht: Volumen, Form, Farbwerte und das Verhältnis von Körper und Raum. Also teilt sie ihr Werk in karg benannte Gruppen ein. "H" für Hüllen, "F" für Figuren, "W" für Wandöffnungen. Anne Haring studierte an der Kunstakademie Düsseldorf Bildhauerei und unterrichtete an der Universität Darmstadt Zeichnen und Fotografie, bevor sie 2002 nach Saarbrücken kam. Sie suchte dafür nicht den klassischen weißen Würfel einer Galerie. So karg und klar ihre Bildsprache ist, so sehr braucht sie die Spannung zum Raum, vorzugsweise dem öffentlichen. "Was passiert, wenn ich meine Figuren überall zeige?", überlegte sie und begann 2006 ein über drei Jahre angelegtes Projekt. Vom Sparkassenfoyer in Saarbrücken wanderten eine große und eine Gruppe von 25 kleinen Figuren durch Verwaltungsgebäude und Schulen im Saarland und Baden-Württemberg. Keine Vernissage vermeldete "Achtung, Kunst". Die Figuren waren einfach da und standen im Raum. Dazu lagen Fragebogen aus, in denen gefragt wurde, was die Besucher sahen, wo der beste Platz für ein Foto wäre. 400 Fragebögen kamen zurück. Für Haring ist das der Beweis, "dass es wirklich möglich ist, mit den Betrachtern ins Gespräch zu kommen, ohne dass Kunst dafür hergerichtet ist." Das gelingt hier handfest in der Welt wie auch im virtuellen Raum des Internets. Dafür hat sie sich nach Abschluss ihres Figurenprojektes die Frage nach Figur, Hülle und Raum anhand des Kulturortes Wintringer Kapelle, des Gebäudes, dem Gewand der Wintringer Madonna und der dort zu findenden Corpus Christi-Figur gestellt. "Extra muros", außerhalb der Mauern, vollzieht sich dieser Prozess. Was nichts anderes heißt, als im für alle zugänglichen Raum, für den Anne Haring arbeitet.Projekt "Extra muros" im Internet unter www.kulturort-wintringer-kapelle.de und in der Wintringer Kapelle bis zum 15. August.

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