Schulen in Not „Problem der Schulen muss Chefsache werden“

Saarbrücken · Stress, Angstzustände, Schlafstörungen: Viele Lehrer leiden unter den Zuständen an Schulen, warnt die Vorsitzende des Lehrerverbands.

 Ein Brandbrief der Lehrer an der Gemeinschaftsschule Bruchwiese hatte den Stein ins Rollen gebracht.

Ein Brandbrief der Lehrer an der Gemeinschaftsschule Bruchwiese hatte den Stein ins Rollen gebracht.

Foto: SZ

Der Brandbrief der Saarbrücker Gemeinschaftsschule Bruchwiese, in dem die Lehrer alarmierende Zustände schildern, hat hohe Wellen geschlagen. Doch die Schule ist bei weitem kein Einzelfall, betont Lisa Brausch, Vorsitzende des Saarländischen Lehrerinnen- und Lehrerverbands.

Frau Brausch, das Schreiben der Bruchwiesen-Schule hat bundesweit für Aufsehen gesorgt. Es wurden Vergleiche mit der Rütli-Schule in Berlin gezogen, der Bildungsminister hat den Lehrern unterstellt, falsche Zahlen genannt zu haben. Wie ist die Stimmung unter den Lehrern nach dieser Sache?

BRAUSCH Wie die Stimmung an der Schule ist, kann ich nicht sagen. Wir stehen nicht in Kontakt miteinander, sie hat sich auch nicht an den Verband gewandt, was das übliche Verfahren gewesen wäre. Aber das tut jetzt nichts zur Sache. Es hat etwas ins Rollen gebracht, das unterschwellig nicht nur dort schwelt, sondern auch an anderen Standorten. Viele Schulen wenden sich an uns und sagen, wir kommen nicht mehr klar.

Dass die Inklusion und die Flüchtlingskinder die Schulen vor Herausforderungen stellen, ist seit langem bekannt. Warum wurde das Thema jetzt so virulent?

BRAUSCH Vielleicht weil die einzelnen Bausteine, die das Ganze so schwierig machen, jetzt ins öffentliche Bewusstsein gerückt wurden. Das Schulsystem war schon vor der Inklusion auf Kante genäht: Die Personalisierung sehr eng, die Klassen zu groß. Wir haben als Verband immer wieder gefordert, dass man erst das Haus bestellen muss, bevor es mit der Inklusion losgeht, also mehr Lehrer, aber auch mehr multiprofessionelle Teams einstellen muss. Denn das Kernproblem ist, dass die Lehrer ihre eigentliche Tätigkeit, das Unterrichten, nicht mehr wahrnehmen können. Lehrer sind nicht dafür ausgebildet, Schüler zu resozialisieren, das ist die Aufgabe von Sozialarbeitern.

Ist die Inklusion gescheitert?

BRAUSCH Ich weiß nicht, ob ich das so sagen will, weil man dann direkt in eine Schublade gesteckt wird. Es hat mich sehr nachdenklich gestimmt, dass der Minister gesagt hat, die Lehrer seien gegen die Inklusion. Der Großteil der Lehrer ist offen dafür, aber wenn ich als Lehrer scheitere, weil die Rahmenbedingungen nicht stimmen, dann ist das ein Problem. Sorgen macht uns, dass es so viele Lehrer gibt, die sagen, ich schaffe das nicht mehr, ich habe Angststörungen, ich kann nicht mehr schlafen. Das sind Alarmsignale, und es ist an der Zeit, umzudenken.

Was muss passieren?

BRAUSCH Die Zuständigkeiten müssen in eine Hand. Im Moment können sich alle gegenseitig den schwarzen Peter zuschieben. Für die Lehrerpersonalisierung ist das Bildungsministerium verantwortlich, für die Sozialarbeiter der Schulträger, für die Integrationshelfer das Jugendamt oder das Amt für Soziales. Die schieben sich die Zuständigkeiten hin und her, um die Kosten nicht übernehmen zu müssen. Langfristig brauchen wir ein System aus einem Guss.

Was muss kurzfristig getan werden?

BRAUSCH Das Wichtigste wäre, dass man nachpersonalisiert, sofern es überhaupt möglich ist. Und man darf nicht aus den Augen verlieren, dass es nicht nur um diese eine Schule in einem sozialen Brennpunkt geht – obwohl ich diesen Begriff nicht gern benutze –, sondern dass uns Beschwerden aus dem ganzen Saarland erreichen, und zwar von Gemeinschafts- und Grundschulen. Wir brauchen einen Masterplan Bildung.

Aber selbst wenn man mehr Lehrerstellen schaffen würde, gäbe es immer noch das Problem, genug Bewerber zu finden.

BRAUSCH Der Lehrermangel ist bundesweit ein Riesenproblem, das stimmt. Auch das gehört in einen Masterplan hinein: Wie schafft es das Saarland, gut ausgebildete Lehrer zu halten beziehungsweise hierher zu locken? Das Saarland denkt, es könnte das alles irgendwie aussitzen, aber das stimmt nicht.

In gewisser Weise sind dem Bildungsminister die Hände gebunden, weil er dem Sparkurs der Landesregierung verpflichtet ist.

BRAUSCH Deshalb ist die komplette Landesregierung in der Pflicht. Damit meine ich vor allem den Finanzminister. Ich verstehe, dass es ein großes Interesse an der Umsetzung der Schuldenbremse gibt, aber man kann ein Land auch kaputt sparen. Das Problem an den Schulen ist so groß, dass es jetzt zur Chefsache werden muss. Und die erste Amtshandlung der nächsten Bundesregierung muss sein, das Kooperationsverbot in der Bildung fallen zu lassen und einen Notfallplan für die finanzarmen Länder zu erstellen.

Die Lehrer der Bruchwiesen-Schule haben auch angeführt, dass 86 Prozent der Schüler einen Migrationshintergrund haben. Solche Aussagen spielen immer Rechtspopulisten in die Karten. Hat man in den vergangenen Jahren die Augen vor dem Problem verschlossen, um eben das zu vermeiden?

BRAUSCH Das weiß ich nicht genau, aber man sollte die Verteilung der Flüchtlingskinder auf jeden Fall überdenken. Es ging ja alles so schnell, die Kinder mussten irgendwo unterkommen. Aber eine gleichmäßigere Verteilung wäre sicher günstiger gewesen. Das müsste bei den Gemeinschaftsschulen, wo es keinen Schulsprengel gibt, auch machbar sein. Die 86 Prozent haben mich auch geschockt, das ist ja Wahnsinn. Das kann eine Schule allein nicht tragen.

 Lisa Brausch, Vorsitzende des Saarländischen Lehrerinnen- und Lehrerverbands

Lisa Brausch, Vorsitzende des Saarländischen Lehrerinnen- und Lehrerverbands

Foto: MB Photo

Dass das Thema bundesweit so viel Aufmerksamkeit erfahren hat, lag sicher auch daran, dass die Gewalt gegenüber Lehrern detailliert geschildert wurde. Hat die Aggressivität an allen Schulen zugenommen?

BRAUSCH Ja, eine Untersuchung unseres Dachverbands zeigt, dass die Fälle von Gewalt massiv zugenommen haben. Auch die Wertschätzung von Seiten der Eltern ist nicht mehr so gegeben wie früher. Schule ist keine Reparaturanstalt. Wir können viel, aber wir können nicht die Erziehungsaufgaben des Elternhauses komplett übernehmen.

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