Bundeswehr „Ein großes Problem in der Bundeswehr“

Der Militärhistoriker Detlef Bald kritisiert die Traditionspflege in der Truppe, auch bei den Fallschirmjägern.

 Der stürzende Adler ist das Symbol der Fallschirmjägertruppe, die in Saarlouis, Lebach, Merzig, Zweibrücken und Seedorf (Niedersachsen) stationiert ist. Die Soldaten tragen dieses Abzeichen an ihrem bordeauxroten Barett. 

Der stürzende Adler ist das Symbol der Fallschirmjägertruppe, die in Saarlouis, Lebach, Merzig, Zweibrücken und Seedorf (Niedersachsen) stationiert ist. Die Soldaten tragen dieses Abzeichen an ihrem bordeauxroten Barett. 

Foto: Kirch

Saarbrücken Der Militärhistoriker Detlef Bald aus München gehört zu den Kritikern der Traditionspflege in der Bundeswehr. Als wissenschaftlicher Direktor am Sozialwissenschaftlichen Institut der Bundeswehr hat er von 1971 bis 1996 unter anderem die Einstellung von Soldaten erforscht. In seinem Ruhestand ist Bald als freier Publizist tätig.

Fallschirmjäger und andere Kampftruppen leben in besonderer Weise von Traditionen, woher kommt das?

BALD Ich bin überzeugt, dass alle Einheiten der Bundeswehr ein Bedürfnis nach Tradition haben. Das hängt an der korporativen Verfasstheit des Militärs. Dieses Phänomen haben wir bei allen Armeen der Welt. Was für ein deutsches Militär die Angelegenheit komplizierter macht und differenziertere Entscheidungen verlangt, ist, dass die Vergangenheit des Militärs bestimmt war durch politische Belastungen, die im heutigen Wertekanon politisch und gesellschaftlich nicht akzeptabel sind. Die Wehrmacht war vielfältig verwickelt, wenn nicht selbst aktiver Teilnehmer an Verbrechen, an Menschenrechtsverletzungen und an militärischen Strategien, die auf Vernichtung zielten. Die Reichswehr wurde gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt, was für kaum eine Armee in Europa traditionswürdig wäre. Im Kaiserreich war die Armee absolut anti-demokratisch und anti-republikanisch eingestellt.

Dagegen wird eingewandt, dass bestimmte militärische Tugenden wie Tapferkeit zeitlos sind, so hat es mal ein Bataillonskommandeur der Saarland-Brigade formuliert.

BALD Diese Vorstellung innerhalb der Bundeswehr kann nicht akzeptiert werden. Man kann natürlich nicht sagen, wir waren toll beim Köpfen von irgendwelchen Leuten oder beim Verbrennen von Dörfern, aber das war tapfer und mutig von den Soldaten. Es waren Verbrechen. Insofern ist die Abkapselung der militärischen Werte von der Würde des einzelnen Menschen nicht vertretbar.

Eine besondere militärhistorische Rolle spielt für die Fallschirmjäger die griechische Insel Kreta, die 1941 bei verlustreichen Kämpfen eingenommen wurde.

BALD Das Beispiel Kreta wird von den Luftlandetruppen hochgehalten, weil es – wie es in solchen Umschreibungen heißt – ein tollkühner Einsatz war und in der Überraschung und der Durchsetzungskraft beispielhaft war. Es hilft aber nichts: Es war Teil des Vernichtungskrieges. Und das, was dann in Kreta passiert ist, ist nicht akzeptabel – auch nicht aus einer militärischen Perspektive des Umgangs mit eroberten Gebieten.

Ist es aus Ihrer Sicht verwerflich, wenn bei den Fallschirmjägern das Lied „Rot scheint die Sonne“ gesungen wird, das noch aus Wehrmachts-Zeiten stammt? Inhaltlich, so wird stets versichert, sei das Lied unproblematisch und nicht nationalsozialistisch.

BALD Das Liedgut der Deutschen ist mit dem Nationalsozialismus zerbrochen. Viele Lieder sind verdorben durch das, was der Nationalsozialismus mit ihnen gemacht hat, um Menschen ideologisch zu indoktrinieren. Das gilt auch für Lieder der Wehrmacht.

Man sollte also komplett auf Lieder wie „Rot scheint die Sonne“ verzichten?

BALD Es wäre besser, wenn diese Lieder entfielen.

Wie erklären Sie sich, dass sich jahrzehntelang offenbar niemand in der Bundeswehr an Wehrmachts-Wandmalereien oder Gegenständen gestört hat, die jetzt im Zuge der Kasernen-Durchsuchungen vereinzelt entdeckt worden sind?

BALD Wir haben in der Bundeswehr seit ihrer Gründung ein großes Problem: Wir haben eine Aufspaltung des Offizierskorps in Traditionalisten und Reformer. Die Bundeswehr wurde gegründet als „neue Wehrmacht“. Der zweite Verteidigungsminister Franz Josef Strauß wollte ausdrücklich die Tradition der Reichswehr und der Wehrmacht wiederherstellen, personell und ideologisch. Er hat das, wofür die Reformer eingetreten sind, als „inneres Gewürge“ statt „Innere Führung“ bezeichnet. Daher hat es immer krampfhafte Auseinandersetzungen um eine demokratiekonforme Ausrichtung des Militärs gegeben.

Ziehen bestimmte Teile der Bundeswehr verstärkt die Traditionalisten an?

BALD In den Kampftruppen, in den Fallschirmjägereinheiten, wurde ein sehr militärorientiertes Traditionsverständnis entwickelt. Die jeweilige militärische Führung hat solche Traditionsentwicklungen geschützt, das können wir belegen.

Auch an den Standorten in Saarlouis, Lebach, Merzig und Zweibrücken wurden  laut Bundeswehr „Darstellungen mit geschichtlichem Bezug“ entfernt, sie sollen nun „in Teilen eindeutiger in den historischen Kontext gestellt“ werden. Ist das eine gute Idee?

BALD Das scheint mir ein albernes Spiel zu sein. Über Jahrzehnte gab es überall die Traditionsräume, da waren in den  Offiziers- und Unteroffizierskasinos solche Beispiele ausgestellt. Was man da jetzt gefunden hat, war ein Restdebakel. Man sollte es ernst genug nehmen. Aber man müsste in allen wichtigen Kasernen historische Erläuterungen machen, wie sie vorbildlich in der Sanitätsakademie der Bundeswehr in München vorzufinden sind.

Vielleicht suchen sich Angehörige von Kampftruppen, die in lebensgefährliche Einsätze gehen, Vorbilder, die selbst gekämpft haben und im Kampf bestanden haben. Da hat die Bundeswehr in 60 Jahren eher wenig zu bieten. Wer ist traditionswürdig?

BALD Diese Frage ist von Anfang an beantwortet worden: der militärische Widerstand, die Freiheitsbewegungen in der Geschichte Deutschlands und die Kriege in der Zeit Napoleons. Aber auch in der 60-jährigen Geschichte der Bundeswehr gäbe es genügend Beispiele, was man vorbildhaft nennen kann.

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