Tsunami 2004 im Indischen Ozean überlebt, aber Mutter verloren Wie eine Saarländerin mit den Folgen des Tsunamis lebt

Bangkok · Die Flutkatastrophe im Indischen Ozean tötete an Weihnachten 2004 Tausende. Julia hat überlebt, ihre Mutter nicht. 15 Jahre später sind ihre Erinnerungen noch immer lebendig.

 Nachdenklich schaut die Saarländerin Julia aus dem Fenster. Sie überlebte vor 15 Jahren an Weihnachten den Tsunami in Thailand, verlor dabei aber ihre Mutter.

Nachdenklich schaut die Saarländerin Julia aus dem Fenster. Sie überlebte vor 15 Jahren an Weihnachten den Tsunami in Thailand, verlor dabei aber ihre Mutter.

Foto: dpa/Oliver Dietze

An Weihnachten wollte Julia fröhlich sein. Nachdenklich, aber auch fröhlich, wenn die ganze Familie gemütlich zusammensitzt, wie sie sagt. Irgendwie muss sie auch, das Leben geht weiter. „Mein Mann meinte, dass ich langsam aufhören muss, dem Tag diese traurige Bedeutung zu schenken“, sagt die 37-jährige Saarländerin. „Ich muss einfach wieder normal Weihnachten feiern – auch wegen der Kinder.“ Einer ihrer zwei Söhne hat Weihnachtskugeln im Wohnzimmer aufgehängt. Aber sie denkt viel an ihre Mutter, jeden Tag. Und an Weihnachten schaut sie sich den Ordner mit den Fotos an. Julia, die in Wirklichkeit anders heißt, möchte von dem Tag erzählen, der ihr Leben verändert hat, damit der Tsunami vom 26. Dezember 2004 und seine Opfer nicht in Vergessenheit geraten. Gleichzeitig fällt es ihr auch nach 15 Jahren noch schwer, über die Erinnerungen zu sprechen.

Damals war Julia 22, studierte Touristik und liebte es zu reisen, genau wie ihre Mutter. Zusammen feierten sie Weihnachten im Urlaubsort Khao Lak an der Westküste Thailands. Ihr Hotel lag direkt am Meer, das Wasser war türkisblau, der Sand weiß, es war um die 30 Grad warm. Am Zweiten Weihnachtstag habe sie eine Erschütterung geweckt. „Da hat es etwas gerumpelt, aber weiter war da nichts Außergewöhnliches“, sagte sie. Mutter und Tochter aßen Frühstück.

Auf der anderen Seite der Welt registrierten US-Forscher ein heftiges Seebeben vor der indonesischen Insel Sumatra, mit einer Stärke von 9,1. Damals gab es keine Frühwarnsysteme, keine Notfallpläne. Die Erschütterung trieb Wellen in verschiedene Richtungen – nach Thailand, Indonesien und Malaysia, aber auch nach Sri Lanka, Indien und bis zur afrikanischen Ostküste.

Julia und ihre Mutter gingen nach dem Frühstück zum Meer. Oder dorthin, wo das Meer hätte sein sollen. Doch an diesem Morgen gab es nur Sand, Boote lagen auf dem Grund, und in der Ferne war eine weiße Linie. Eine Gruppe Menschen blickte dorthin, die beiden Frauen stellten sich neben sie. „Wir waren starr, voller Ehrfurcht. Wir wussten nicht, was los war.“

Dann begann ein lautes Grollen, ähnlich wie ein Düsenjet, wie Julia sagt. Die weiße Linie war eine Welle, aber als sie das bemerkten, war es schon zu spät. Das Wasser hatte eine solche Wucht, dass sie sich wie in einer Waschmaschine fühlte. Sie paddelte gegen die Kraft des Tsunamis an, wurde immer wieder nach unten gedrückt. Sie wurde ohnmächtig.

Als sie wieder zu sich kam, war es still. Die erste Welle vorbei. Julia trieb im seichten Wasser, das sich in eine dunkle Brühe verwandelt hatte. Es habe nach Benzin und Fäkalien gestunken. Im Wasser trieben Möbel, Lebensmittel und Leichen. Die meisten Gebäude waren zerstört.

Julia wusste, dass ihre Mutter tot war. „In dem Moment dachte ich, dass kein Mensch überlebt hat“, sagte sie. Sie spürte einen starken Schmerz, checkte Arme und Beine. Sie war nackt, die Welle hatte ihre Kleider weggerissen. Sie watete aus dem Wasser und flüchtete in die Lobby eines Hotels, das noch stand. Dort warnten Menschen vor einer zweiten Welle. Julia rannte blutüberströmt und mit Splittern im Bein einen Hügel hoch zur Straße. Ein Lastwagen nahm sie mit, brachte sie in ein Provinzkrankenhaus. Die größeren Kliniken waren bereits voll.

Im Krankenhaus traf Julia einen neunjährigen thailändischen Jungen, der für sie übersetzte. Sein Vater lieh ihr sein Handy, damit sie ihren Vater anrufen konnte. Der versuchte mit dem Auswärtigem Amt, sie schnell nach Deutschland zurückzuholen. Ihr Bein hatte sich grünlich-schwarz verfärbt, Wunden hatten sich entzündet. Drei Tage später flog sie von Phuket nach Frankfurt. Wäre sie wenig später angekommen, hätte sie wohl ihr Bein verloren, sagten die Ärzte.

Zwei Monate später kam der Anruf. Der Leichnam ihrer Mutter wurde mit einer DNA-Probe identifiziert. Die Asche kam mit dem Flugzeug, dann folgte die Beerdigung. Wie ihre Mutter genau umkam, erfuhr Julia nie. Doch immerhin hatte sie Gewissheit. Das habe ihr geholfen abzuschließen – anders als Angehörige von Opfern, die bis heute nicht gefunden wurden.

Wenn Julia heute am Meer ist, schaut sie immer nach dem nächsten Fluchtweg. Ab und zu träumt sie von der Welle. Inzwischen entkommt sie ihr manchmal.

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