Zäh, klebrig, bittersüß: Mythos Fenner Harz

Völklingen · Stadtgeschichte erlebbar machen: Das tun die Völklinger Mythenjäger seit fünf Jahren. 2015 haben sie das Fenner Harz als Thema gewählt. Im Oktober ist ein Mitmach-Happening mit dem süßen Stoff geplant.

 Mythenjägerin Susanne Rist, im Fünfziger-Jahre-Pünktchenkleid, studiert ein Kochbuch aus der Zeit – und speist dabei Fenner Harz, das klammheimlich vom Brot tropft. Foto: Michael Samsel/Mythenjäger

Mythenjägerin Susanne Rist, im Fünfziger-Jahre-Pünktchenkleid, studiert ein Kochbuch aus der Zeit – und speist dabei Fenner Harz, das klammheimlich vom Brot tropft. Foto: Michael Samsel/Mythenjäger

Foto: Michael Samsel/Mythenjäger

Nach der Großaktion im vorigen Jahr sollte es mal einfacher werden, sagt Hendrik Kersten, Leiter des Mythenjäger-Teams an der Volkshochschule (VHS) Völklingen. 2014 hatte sich die Gruppe mit dem Geislauterner Dampfwagen befasst. Und weil die Mythenjäger ihre stadtgeschichtlichen Recherche stets mit einem "Re-Enactment" verbinden, einem Mitmach-Happening, bei dem historische Szenen nachgespielt werden, bauten sie ein Dampfwagenmodell. "Es ging oft bis tief in die Nacht, das war richtig Arbeit", sagt Kersten. Dieses Jahr also bitte entspannter.

Seine Idee war zunächst, den "Erzengeln" nachzuspüren. Den Frauen also, die in der Anfangszeit der Hütte am Saarufer die Erzkähne entluden und den Rohstoff auf dem Kopf Richtung Hochofen schleppten. "Einfach?", fragten seine Teamkollegen skeptisch. Irgendwie kam dann die Rede aufs "Fenner Harz", den süß-bitteren Zuckerrübensaft, mit dem Fenner Fabrikanten jahrzehntelang das Saarland versorgten: "Süßes vom Acker", lautet nun das Thema. "Das ‚Fenner Harz' gehört zur saarländisch-kulinarischen Identität wie der Dibbelabbes und Omas ‚Geheirade' ", heißt es im aktuellen Projekt-Exposé.

Der zäh-klebrige Stoff, speziell in Nachkriegs-Hungerjahren als preisgünstiger Brotaufstrich geschätzt, stammte vom Fenner Hof, einem Landwirtschaftsbetrieb zwischen Saarbrücker Straße und heutigem Fürstenhausener Gewerbegebiet. 1883 stellte man dort erstmals Rübensirup her. 1905, berichtet Kersten, übernahm die preußische Grubenverwaltung die Anlagen, die Fabrik zog um an die Saarbrücker Straße. Später bauten die Brüder Waldemar und Erich Kolb dort die "Lolly-Werke Erich Kolb KG" auf - Fenner Harz-Produktion inklusive. 500 Menschen arbeiteten dort. 1970 übernahm die Storck-Gruppe das Werk, 1973 machte sie es dicht. Die Bauten gibt es nicht mehr. Das Fenner Harz schon: Seit die westfälischer Firma, die die Rechte an dem Traditionsnamen besitzt, ihn auf ihre knallgelben "Grafschafter Goldsaft"-Dosen druckt, ging der Absatz im Saarland wieder hoch.

Weil fürs Re-Enactment derzeit noch "die markante Szene" fehle, werde das Happening wohl eine Verkostung mit Mannschafts-Wettessen, sagt Kersten lachend: "Welches Team schafft die meisten Brote?" In Fenne soll die Sache spielen; die Turnhalle, gegenüber dem einstigen Lollyfabrik-Gelände gelegen, sei dafür ideal, sagt Kersten. Als 50er-Jahre-Bau passe sie auch zur Hoch-Zeit des süßen Safts.

Vorab, von September an, möchte Kersten im Stadtgebiet eine "Fenner-Harz-Offensive" anzetteln, mit Fenner Harz in Läden und Schaufenstern, mit Spezial-Gerichten in den Restaurants. Er hofft, dass Geschäftsleute mitziehen und das Publikum ebenso rege dabei ist wie bei vorherigen Mythenjäger-Projekten.

Die haben übrigens auch woanders Erfolg. So wird das Dampfwagen-Modell im Juni als Dauerleihgabe einziehen ins Nürnberger Eisenbahnmuseum - "ein Ritterschlag", sagt Kersten mit leisem Stolz.

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Auf einen BlickDie Termine: Voraussichtlich am Sonntag, 11. Oktober, laden die Mythenjäger ein zum "Re-Enactment", zum Mitmach-Happening. Im Mai gibt es jeweils mittwochs, 18 Uhr, (Altes Rathaus Völklingen, Raum 208), den Stammtisch Fenner Harz. Dabei sind vor allem Menschen willkommen, die eigene Erfahrungen mit dem Rübensaft beisteuern oder Geschichten dazu erzählen können. Heute, 6. Mai, ist Start; am 20. und 27. Mai geht es weiter. dd

 Fenner Harz als Kinder-Brotaufstrich in den Nachkriegsjahren. Foto: Klaus Heck

Fenner Harz als Kinder-Brotaufstrich in den Nachkriegsjahren. Foto: Klaus Heck

Foto: Klaus Heck

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HintergrundDie Mythenjäger sind eine stadtgeschichtliche Initiative der Volkshochschule Völklingen. Unter dem Motto "Alles Mythos, oder was?" widmen sie sich seit 2011 jedes Jahr einem anderen Thema. Höhepunkt ist stets ein "Re-Enactment", bei dem - unter aktiver Beteiligung des Publikums - historische Szenen nachgespielt werden. 2013 erhielten sie den saarländischen Weiterbildungspreis. Das Preisgeld half, ihr Projekt über Carl Röchling zu finanzieren. dd

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