„Die Vision war groß“

Völklingen · Geschafft: Die Völklinger Mythenjäger haben ihr Modell des Geislauterner Dampfwagens nach Nürnberg kutschiert. Nach feierlicher Einweihung steht es nun im Schaudepot des Deutschen Eisenbahnmuseums – als Zeugnis für ein missglücktes, aber mutiges Technik-Experiment im frühen 19. Jahrhundert.

Ganz in der Nähe stehen Modelle des berühmten "Adler", der ersten deutschen Eisenbahn, die 1835 auf den Schienen zwischen Nürnberg und Fürth dampfte, und eines modernen ICE. Dazwischen hat neuerdings eine eisenbahnerische Pioniertat aus Völklingen ihren Erinnerungsort. Im Schaudepot, einem Lokschuppen auf dem Freigelände, können Besucher des Deutschen Eisenbahnmuseums in Nürnberg jetzt den Geislauterner Dampfwagen bewundern - in Gestalt des Modells, das die Völklinger Mythenjäger 2014 für ihre Nach-Inszenierung einer lokalen Legende bauten. "Geislauterner Botschafter im Eisenbahnmuseum, mehr geht nicht", sagt Mythenjäger Hendrik Kersten lachend.

Gemeinsam mit seinem Mythenjäger-Kollegen Horst Schillinger hat er den originalgetreuen Nachbau kürzlich im Transporter nach Nürnberg bugsiert. Der Zusammenbau an Ort und Stelle dauerte nicht lange, "anderthalb Stunden, wir sind ja im Training". Dann wurde eingeweiht, die lokale Presse war dabei. Der Geislauterner Dampfwagen von 1819, bisher nur eine kaum bekannte Fußnote der Technikgeschichte , ist nun so eingereiht, dass man den Mut seiner Erbauer würdigen kann. Das Ding, das nie lief, stehe in Nürnberg neben einer französischen "Lok" aus den 1750er Jahren, berichtet Kersten - frühe Versuche zur Mobilität auf Schienen, gescheitert zwar, doch keine Lachnummer: "Die Vision war groß."

Technisch sei der Geislauterner Versuch eine Sackgasse gewesen, sagt Kersten. Beim "Adler", der dann funktionierte, habe man einen anderen technischen Weg beschritten. Die Mythenjäger hatten bei ihrem Nachbau denn auch bewusst auf Verbesserungen verzichtet, die das Ding funktionsfähig gemacht hätten: "Wir wollten ja scheitern", der Historie getreu. Und sie hatten bewusst keine aufwendigen Materialien verbaut, sondern Standard-Teile aus dem Baumarkt, günstig, alles in allem vielleicht für 2000 Euro. Das, sagt Kersten, sei auch die Botschaft: "So ein Modell kostet nicht die Welt, nur einen Haufen Arbeit." Wie viel Arbeit? Über Monate haben die Mythenjäger an ihrem Dampfwagen gefeilt, gut 1000 Bau-Stunden stecken nach Kerstens Schätzung drin. Durchhänger inklusive: "Wenn man sich bei solchen Aktionen nicht in die eigene Arbeit verliebt, hat man keine Chance", sagt Kersten.

Doch die Gruppe ist ans Ziel gekommen. Und war, wie Kersten erzählt, schließlich selbst überrascht, wie realistisch ihr Modell wirkt: "Wenn man drei Meter entfernt steht, sieht man nicht, dass der Kessel nicht echt ist." Aber im Mythenjäger-Dampfwagen stecke nun mal kein solides Metall, nur dünnes Holz und Pappe: "Den Klopftest besteht er nicht", sagt Kersten lachend. Und für den Dampf - den das Modell reichlich produzierte - war mitnichten heiße Kohle verantwortlich, sondern eine im Innern verborgene Nebelmaschine.

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HintergrundDie Völklinger Mythenjäger sind ein stadthistorischer Arbeitskreis der Völklinger Volkshochschule, den Hendrik Kersten leitet. Bei ihren Projekten - das erste gab es 2011 - steht stets ein "Re-Enactment" im Mittelpunkt, ein unterhaltsames Mitmach-Happening, in dem historische Szenen zusammen mit dem Publikum nachgespielt werden. Das aktuelle Projekt der Mythenjäger ist dem Fenner Harz gewidmet, dem Brotaufstrich aus Rübensaft, der einst in einer Fenner Süßwarenfabrik hergestellt wurde. Es soll im Herbst in einem öffentlichen Harzschmier-Wettessen gipfeln, bei dem Mannschaften mit Messer und Gabel gegeneinander antreten. dd

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