So kann’s gehen Mit Kosenamen malträtieren

Zwei Verliebte sitzen zusammengekuschelt mittendrin im Linienbus. So eng umschlungen, dass für das traute Paar eigentlich ein Sitz vollkommen ausreichend ist. Sie säuselt ihm etwas ins Ohr und kichert sogleich vor sich hin.

Wie Liebespaare mit Kosenamen ihr Umfeld malträtieren
Foto: SZ/Robby Lorenz

Er lächelt augenblicklich. Schaut ihr tief in die rehbraunen Augen. „Ach Lämmlein“, säuselt er zurück und schmachtet sie an. Leidenschaftlich erwidert sie: „Mein Würmchen“. Es vergeht keine Minute, da legt er mit umgarnender Stimme nach: „Ich liebe Dich, mein Hasilein.“ „Ich Dich doch auch, mein Lämmlein“, folgt aus ihrem Munde. Sie nimmt dabei eine Körperhaltung an, als würde sie jede Sekunde dahinschmelzen.

Ich sitze direkt in der Reihe hinter den beiden. Und werde so unfreiwillig Zeuge dieser Romanze. Dieses Ping-Pong-Spiels der Liebkosungen. Es zieht sich hin. Unerträgliche anderthalb Stunden mache ich das mit. Eine ältere Dame mit lila-grauem Dutt bekommt ebenfalls davon Wind. Und flüstert ihrer Nachbarin gleichen Alters in farbenfrohem Beige zwischenzeitlich zu: „Wie niedlich.“

Fortsetzung des Groschenromans in Hörbuchformat. Er: „Hast Du auch alles für heute Abend bekommen, Mäuschen?“ Sie: „Habe ich. Wann kommst Du heute von der Arbeit, Bärchen?“ Er: „So gegen sieben, Rehlein.“ Das Liebespaar malträtiert ihr Umfeld die gesamte Fahrt über, indem es nie geahnte Kosenamen aneinanderreiht.

Allmählich komme ich mir wie in einem Streichelzoo aus Brehms Tierleben vor. Bis dahin war mir nicht bewusst, wie viel schmalziges Getier ein über beide Ohren ineinander verschossenes Paar so auf Lager hat. Ich bin fasziniert.

Kurz vorm Ziel will ich noch rasch bei meinem besten Kumpel auf dem Festnetz anklingeln. Weiß aber gar nicht, ob er überhaupt zuhause ist. Egal, ich probier’s einfach. Er lebt seit ein paar Wochen mit seiner neuen Flamme zusammen, und ich habe ihn seitdem kaum zu Gesicht bekommen. Da wäre ein gemeinsames Bierchen mal wieder nötig. Er hat übrigens eine Handynummer, die meiner zum Verwechseln ähnelt.

Das Freizeichen ertönt. Nach dem zweiten Signal hebt jemand ab. Ich schrecke zusammen. Denn mit juchzender Stimme plärrt seine Angetraute in den Hörer – ganz offensichtlich in falscher Erwartung eines Anrufs ihres Partners: „Schweini-Schwein!“ Das toppt das eben Erlebte und ist beileibe viel mehr, als ich jemals wissen wollte.

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