Thessy Eckel: Ein Kinderleben auf der Flucht Ein Kinderleben auf der Flucht

Saarbrücken · Die Schauspielerin Thessy Eckel kam als Kind „von einem Lager ins andere“. Ihre Erinnerungen hat sie jetzt aufgeschrieben. Angeregt dazu hat sie die Journalistin Katharina Fiedler. Von ihr stammt auch der Abend „Heimatlos – irgendwo und nirgendwo“, der am Sonntag Premiere hat.

 Thessy Eckel hat als Schauspielerin unter anderem am Saarländischen Staatstheater gearbeitet. Aber ihr Weg hierher war voller Umwege. Im Theater im Viertel erzählt sie am Sonntag davon.

Thessy Eckel hat als Schauspielerin unter anderem am Saarländischen Staatstheater gearbeitet. Aber ihr Weg hierher war voller Umwege. Im Theater im Viertel erzählt sie am Sonntag davon.

Foto: Kerstin Krämer

Wer den Ort verlässt, an dem er geboren wurde und einen Teil seiner Kindheit verbracht hat, wird zum Fremden: fremd da, wo er hingeht; fremd dort, wo er herkommt. „Heimatlos – irgendwo und nirgendwo“ lautet nun der Titel eines literarischen Streifzugs im Theater im Viertel, konzipiert von der Journalistin Katharina Fiedler.

Zusammen mit dem Schauspieler-Paar Thessy Eckel und Fred Woywode konfrontiert sie uns mit authentischen Schicksalen von Flüchtlingen – darunter die beiden Autoren Carl Zuckmayer und Lion Feuchtwanger, die vor den Nazis ins Exil fliehen mussten, und ein Bürgerkriegsflüchtling aus Sri Lanka.

Lange Zeit heimatlos war auch Thessy Eckel selbst, die auf der Flucht aus dem Osten die ersten 15 Jahre ihres Lebens in Zügen, Baracken und Lagern verbrachte. Auf Anregung von Katharina Fiedler hat sie ihre Geschichte als Wanderkind jetzt aufgeschrieben.

Thessy Eckels Eltern stammten aus Galizien. Sie kam als fünftes von sieben Kindern in einem Übergangslager in Berlin zur Welt, danach wurde die Familie nach Schlesien ausgesiedelt. Von dort flüchtete sie nach 1945 vor den Russen über die Tschechei nach Österreich. Hier konnte sie zwei Jahre bleiben, Eckel wurde eingeschult.

Dann ging‘s wieder zurück nach Deutschland, „von einem Lager ins andere“, erinnert sich Eckel: Passau, Rhön, Endstation Würzburg. Hier hauste die Familie zuletzt fünf Jahre in einem Lager. Mittlerweile waren nur noch Eckel, ihre Mutter und wenige Geschwister übrig; einige waren auf der Flucht gestorben, der Vater im Krieg verschollen.

In Würzburg ergatterte ihre Mutter endlich eine eigene Wohnung und hielt sich und die Kinder als Bäuerin und mit den Erträgen aus dem eigenen Garten über Wasser.

Die Leidenschaft fürs Gärtnern hat Eckel geerbt: „Ich empfand es immer als wohltuenden Ausgleich zur Schauspielerei.“ Doch das Theater musste warten, bis Eckel 21 und damit volljährig war. Eckel: „Ich war streng katholisch erzogen!“

So machte sie zunächst eine Ausbildung als Pelznäherin, arbeitete als Verkäuferin und Keramikzeichnerin – Modezeichnerin hätte ihr besser gefallen, doch daraus wurde nichts. Nach der Schauspielschule in Stuttgart ging‘s an die Landesbühne Niedersachsen-Mitte, wo sie gleich in ihrem ersten Jahr drei Hauptrollen spielte: Johanna von Orléans, Scampolo, Irma la Douce.

Als Irma la Douce kam sie auch ihrem privaten Nestor Patou, ihrem späteren Mann Fred Woywode, näher. „Sonst kam eigentlich auch keiner in Frage, die anderen Schauspieler waren alle schwul“, sagt Eckel lachend.

Danach wechselte sie allein nach Hamburg zu Ida Ehre; anschließend war sie gemeinsam mit Woywode in Konstanz und Baden-Baden engagiert, bis Intendant Günther Pentzold das Paar mit seinen beiden kleinen Töchtern 1976 nach Saarbrücken holte. Woywode kam fest ans Staatstheater, Eckel als Gast.

Gern denkt sie an ihre Rollen in „Des Teufels General“, „Vor Sonnenaufgang“ und „Juno und der Pfau“ zurück; auch an der Landesbühne und im Theater Blaue Maus trat sie auf. Aber sie wollte sich verändern und machte, auch um ihrer kranken ältesten Tochter helfen zu können, eine Ausbildung zur Ergo-Therapeutin. Zunächst arbeitete sie in einem Altersheim in Kleinblittersdorf und einer Psychiatrie in Saarlouis und führte danach acht Jahre lang ihre eigene Praxis in Saarbrücken.

Heute sind Eckel und Woywode längst geschieden und leben getrennt, aber sie sind einander immer noch sehr freundschaftlich verbunden und unternehmen viel miteinander. Und manchmal gehen sie sogar zusammen auf die Bühne, so unlängst bei „Geliebter Lügner“ nach George Bernard Shaw.

Das Unstete des Schauspielerlebens habe ihr früher nichts ausgemacht, sagt Thessy Eckel. „Früher habe ich mich aufs Vagabundieren gefreut, heute reise ich nicht mehr so gerne.“ Eigene Fluchterfahrungen machten einen nicht unbedingt stabiler, aber sensibler, auch für das Leid anderer.

Heimat ist für sie angesichts zunehmender Mobilität jedoch heute ein überstrapazierter Begriff: „Heimat ist dort, wo meine Familie ist.“ Zur Premiere reist nun vielleicht sogar die jüngere Tochter an, die als Tänzerin und Zirkusartistin in Paris lebt.

Premiere von „Heimatlos – irgendwo und nirgendwo“ ist am Sonntag, 28. Oktober, 17 Uhr, im Theater im Viertel am Landwehrplatz. Karten: (06 81) 390 46 02.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort