Fachanwalt für Strafrecht erklärt Nach Bericht über Saarbrückerin: Was Ermittlungen in Rufmord-Fällen für die Justiz so schwer macht

Interview | Saarbrücken · Eine Saarländerin führt auf einer Website mutmaßlich über mehrere Jahre Rufmord-Kampagnen gegen dutzende Menschen. Passiert ist ihr bislang nichts, ein Verfahren liegt seit Monaten bei der Justiz. Warum dauern solche Fälle so lange und lohnt sich das rechtliche Vorgehen für die Opfer überhaupt? Christoph Clanget, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht, beantwortet die wichtigsten Fragen.

Fall in Saarbrücken: Rufmord im Internet: Anwalt klärt auf - lohnt eine Anklage?
Foto: dpa/Karl-Josef Hildenbrand

Wie häufig beschäftigt Rufmord im Netz heutzutage die Justiz?

CLANGET Statistisch ist das nicht genau erfasst. In der Kriminalstatistik des Bundeskriminalamtes (BKA) werden die infrage kommenden Delikte nicht unterschieden. Dort ist nur aufgeführt, wie viele Fälle von Verleumdung, Beleidigung, Nachstellung, Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs usw. es gibt. Fälle von Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs, das kann zum Beispiel das Veröffentlichen von Fotos aus dem Privatumfeld mit kompromittierendem Inhalt sein, gab es im Jahr 2020 zum Beispiel 9233 mit einer Aufklärungsquote von 84,5 Prozent. Dabei sind die Tatverdächtigen zu etwa drei Vierteln männlich und zu einem Viertel weiblich. Stalking wurde 2020 in 19 474 Fällen erfasst. Hier lag die Aufklärungsquote bei über 90 Prozent. Über 80 Prozent der Tatverdächtigen sind männlich. Die Zahlen in diesen Fällen sind im Vergleich zum Vorjahr angestiegen und liegen insgesamt in den vergangenen Jahren auf ähnlich hohem Niveau. Dann unterscheidet die Kriminalstatistik des BKA auch zwischen Verleumdung und Verleumdung auf sexueller Grundlage. Bei letzterer registrierte das BKA 1669 Fälle im Jahr 2020 bei einer Aufklärungsquote von fast 85 Prozent. Grundsätzlich sind die meisten Tatverdächtigen der meisten Delikte männlich, in diesem Fall weist die Statistik allerdings knapp 46 Prozent männliche und rund 54 Prozent weibliche Tatverdächtige auf.

 Christoph Clanget, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht

Christoph Clanget, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht

Foto: Clanget Rechtsanwälte

Nehmen die Zahlen der entsprechenden Taten zu oder ab?

CLANGET Insgesamt nehmen die Zahlen definitiv zu. Das ist durch die Statistik des BKA, wie auch durch die Eingangszahlen bei den Staatsanwaltschaften nachvollziehbar.

Warum ist die Erfolgsquote in den vorliegenden Fällen so hoch?

CLANGET Die Erfolgsquote ist verhältnismäßig hoch, weil die Opfer die mutmaßlichen Täter bei diesen Vergehen in den meisten Fällen kennen, da sie sehr häufig aus ihrem sozialen Umfeld stammen. Dadurch lassen sich die Taten meist sehr gut aufklären. Das eigentliche Problem liegt tatsächlich darin, dass nicht immer alle Fälle auch angezeigt werden. Und das spiegelt sich eben nicht in der Statistik wider. Man darf die Anzahl der tatsächlichen Fälle nicht mit der Aufklärungsquote und erst recht nicht mit der Verurteilungsquote gleichsetzen. Es gibt auch häufig, gerade wenn es sich um Ersttäter handelt, prozessuale Möglichkeiten der Staatsanwaltschaften, Ermittlungsverfahren gegen Auflagen einzustellen, sodass es nicht immer zu einer Verurteilung kommt. Generell dauern die Ermittlungsverfahren relativ lange, eine Dauer von 12 Monaten und mehr sind leider keine Seltenheit.

Warum ist die Bearbeitungsdauer in diesen Fällen so lang?

CLANGET Der Justiz fehlt die sachliche und personelle Ausstattung, um derartige Fälle in dem Maße und mit der Geschwindigkeit zu verfolgen, wie es wünschenswert wäre. Auch technisch gestalten sich die Ermittlungen häufig schwierig. Sie erfordern akribische Detailarbeit. Zusätzlich erschwert wird die Lage für Justiz und Opfer dann auch häufig dadurch, dass die Rechtsgutverletzungen andauern. All das führt dazu, dass in vielen Fällen oft lange ermittelt wird.

Welche Rollen spielen soziale Medien in diesen Fällen? Hat die Justiz hier genügend Zugriff?

CLANGET Grundsätzlich spielen die sozialen Medien bei Rufmord eine große Rolle. Das Motto „Broadcast yourself“ ist nach wie vor eine sehr stark gelebte Tatsache. Viele Menschen nehmen Bilder und Videos auf und posten sie, ohne sich über die Rechte der abgebildeten Personen Gedanken zu machen. Hierdurch werden sehr oft Persönlichkeitsrechte verletzt. Im Prinzip hat die Justiz für Ermittlungen genügend Zugriffsmöglichkeiten. Lücken bestehen allerdings, wenn es Bezüge ins Ausland gibt. Gerade bei Straftaten im Internet ist das natürlich häufig der Fall, beispielsweise bei Messenger-Diensten mit Sitz in den USA. Ermittlungsbehörden müssen hier über Rechtshilfe Zugriff bekommen, bei der oftmals rechtliche Hürden zu überwinden sind und die dadurch wieder eine gewisse Zeit in Anspruch nimmt. Oft funktioniert das durchaus gut, aber grundsätzlich sind die Ermittlungen eben dadurch limitiert, dass der Zugriff der deutschen Justiz nicht unmittelbar möglich ist. Dazu kommt, dass die meisten Internetunternehmen im Ausland sitzen. Es wäre wünschenswert, wenn die Politik hier eine Harmonisierung der entsprechenden rechtlichen Vorschriften zumindest europaweit vorantreiben würde. Weltweit wird das schwierig bleiben.

Was würden Sie Opfern von Rufmord im Netz raten?

CLANGET Jemand, der von Rufmord im Netz betroffen ist, hat die Möglichkeit, sich auf zwei rechtlichen Ebenen zu wehren: strafrechtlich, also durch die Erstattung einer Anzeige und zivilrechtlich, durch das direkte Vorgehen gegen gepostete Beiträge und Bilder im Internet, sozialen Medien usw. Oft können auch Schadenersatz- und/oder Schmerzensgeldansprüche bestehen. In jedem Fall ist immer eine akribische chronologische und inhaltliche Dokumentation der Beiträge sowie ein aktives Vorgehen dagegen unbedingt erforderlich. Nicht empfehlenswert ist es, selbst zum Gegenschlag auszuholen. Dadurch besteht schnell die Gefahr, dass man selbst Rechtsgüter verletzt.

Würden Sie Opfern von Rufmord im Netz dennoch zu rechtlichen Schritten raten?

CLANGET Ja. Es mag zwar Ausnahmen geben, aber grundsätzlich sollte man sich das nicht gefallen lassen und insbesondere diejenigen nicht damit davonkommen lassen, die so etwas machen. Was man immer machen kann, ist seine rechtlichen Möglichkeiten durch Spezialisten prüfen zu lassen.

Wie schätzen Sie den vorliegenden Fall ein? Liegen hier strafrechtlich relevante Vergehen vor – wenn ja was?

CLANGET Ohne den Fall im Detail zu kennen, sind die hier strafrechtlich relevanten Vergehen im Wesentlichen wohl im Bereich der üblen Nachrede und der Verleumdung zu sehen. Wenn die Dinge, die auf der Website behauptet werden, so nicht stimmen, handelt es sich um eine Behauptung wider besseren Wissens, sodass dann Verleumdung vorliegt. Diese kann immerhin mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren geahndet werden. Zumal es sich hier ja anscheinend um eine Vielzahl von möglichen Fällen handelt. Ansonsten ist hier auffällig, dass der Betreiber der Seite sich offenbar im Ausland befindet. Die Seite hat auch kein Impressum, was bereits einen Rechtsverstoß darstellt.

Was könnte drohen, wenn der Fall vor Gericht geht?

CLANGET Wenn es in diesem Falle zu einer Anklage käme und auch eine Vielzahl von Fällen angeklagt würde, dann könnte es durchaus zu einer empfindlichen Strafe kommen. Nicht für jedes einzelne Verfahren könnten in diesen Fällen fünf Jahre verhängt werden, vor Gericht kommt es immer zu einer Gesamtbetrachtung der Situation. Dabei wird berücksichtigt, welche Rechtsgutverletzungen genau vorliegen, wie schwerwiegend sie sind und wie weit sie ins Persönliche gehen. Letzten Endes hängt ein Urteil auch davon ab, ob der Verantwortliche Vorstrafen hat oder strafmildernde Gründe vorliegen. In der Praxis sind Verurteilungen wegen derartiger Vorgänge zwar nicht die Regel, als Betroffener sollte man durch eine Dokumentation der Vorgänge und eine Anzeige hier jedoch versuchen, eine Verurteilung der Urheber zu erreichen.

Im vorliegenden Fall hat die mutmaßliche Täterin ja auch die Adressen und Telefonnummern der Opfer öffentlich gemacht und schreibt ihnen weiter regelmäßig E-Mails – sind das auch Vergehen?

CLANGET Das sind nicht zwingend strafrechtlich relevante Vergehen – es kommt auch hier wieder auf den Einzelfall an. Ganz generell gesprochen muss man immer berücksichtigen, dass die Grenzen bei diesen Taten oft fließend sind. Es gibt Dinge, die unanständig, belastend oder lästig, aber nicht zwingend auch strafbar sind. Wann die Grenze zur Strafbarkeit überschritten ist, muss man sich immer im Einzelfall genau anschauen.

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