Die Tranfunzel am Leergut-Schacht

Sulzbach · Am Flaschenpfand-Automaten erlebte SZ-Redakteurin Michèle Hartmann, dass manche Leute die „Entschleunigung“ für sich entdeckt haben.

Da steht er nun, dieser prall gefüllte große Beutel. Ein kurzer Blick hinein macht staunen. Der Nachwuchs und seine Kumpels sind Fans von Energy-Drinks und Cola, demzufolge sich schon wieder einiges angesammelt hat. Auf Besuch wartet nun der Leergut-Automat. Dort ist man quasi nie allein - schon gar nicht samstags.
Vor beiden Einwurfschächten des Apparats staut sich das Publikum. Und natürlich haben genau die Leergut-Entsorger vor mir auch pralle Beutel herbeigeschleppt. Just kommt mir in einem ersten Anflug von nervöser Ungeduld das schöne Dschungelbuch-Lied in den Sinn: ,,Versuch's mal mit Gemütlichkeit, mit Frohsinn und Gemütlichkeit…" Doch was hilft schon dieses Liedchen, wenn manche Leute die Entschleunigung entdeckt haben? Wie in Trance legt die Frau vor mir eine Plastikflasche nach der anderen in den Rücknahmeschacht. Und so verflüchtigt sich langsam aber sicher ein letzter Rest von Contenance. ,,Oh Himmel, geht das auch schneller, du Tranfunzel", murmele ich und knirsche mit den Zähnen. Die Kundin hat es nicht gehört. Andächtig fährt sie fort in ihrem Tun, und es stört sie auch nicht, dass die Schlange hinter ihr immer länger wird. ,,Mensch, ich will an Weihnachten unterm Baum sitzen", entfährt es mir, und der ebenfalls wartende Flaschenentsorger neben mir zeigt ein schräges Lächeln. So, jetzt ist sie fertig. Frohlocket, es ertönen die Schalmeien! Ich bin endlich an der Reihe. Und greife in den Leergut-Beutel. Soll ich nun schön langsam machen und ein bisschen Hassobjekt spielen? Die Macht auskosten am Einwurfschacht? Lieber nicht. Denn Tranfunzeln gibt es genug.

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