Die Zeit der schönen Zwerge
Homburg · Schiffe versenken? Nein, danke. Gartenmenschen spielen lieber Zwiebeln versenken, Frühlingsblüten kann man nie zu viele haben. Für den Herbst hatte ich schon im Mai Bestellungen losgeschickt, um "Ausverkauft"-Enttäuschungen zu vermeiden.
Klappte, ab September trudelte Päckchen um Päckchen ein - und irgendwann kam ich mit dem Versenken nicht mehr nach.
Die Empfindlichen, Eiligen, die man unverzüglich pflanzen muss - weil die Zwiebeln sonst austrocknen und sterben -, landeten natürlich sofort im Erdreich, Märzenbecher, Schneeglöckchen, Schachbrettblumen. Edle Tulpen ebenso, botanische Arten, rare historische Sorten. Das mit den Tulpen erwies sich freilich als mühsam: Nach dem trockenen Sommer war der ohnehin zähe Lehmboden härter denn je. Die Aktion zog sich hin. Von den Robusten lagen noch im Dezember etliche Tüten in der Garage. Erst am Silvesternachmittag hatte ich die letzte Krokus-Hundertschaft verbuddelt. Dann rasch noch die ebenfalls überständigen Laubsäcke ausleeren, Mulch für Sensibelchen, denen eine Winterdecke auf den Wurzeln wohltut - mit dem letzten Licht des alten Jahres war ich fertig. Und dachte: Die Kälte kann kommen.
Doch die tat, was sie schon Wochen getan hatte, sie blieb weg. Meine neuen Frühlingsblüher versenkte ich neben vorzeitigen Frühlingsblüten. Die Teufelskrokusse (Crocus imperati), die normalerweise Mitte Januar - als erste Vorboten - Lilablau mit Streifen zeigen, blühten sich schon Anfang Dezember das Seelchen aus dem Zwiebelchen. Schneeglöckchen-Geklingel und den Duft von Parma-Veilchen gab es zu Weihnachten, zusammen mit frischen Knospen von Clematis und Rosen . Die Frühlings-Alpenveilchen (Cyclamen coum), sonst erst im Februar, März in Blüte, starteten sogar schon im November. Und halten durch bis jetzt - so zart sie aussehen, diese Winzlinge haben Kraft.
Auch die üblichen Verdächtigen begannen ungewohnt früh, der Winterjasmin (Jasminum nudiflorum) im November, Hasel und Duft-Geißblatt (Lonicera fragrantissima) Anfang Dezember. Die Winterblüte (Chimonanthus praecox) ließ zu Silvester die erste Knospe platzen - Rekord, das gab's noch nie. In der Nachbarschaft trägt eine Hamamelis von oben bis unten Gelb, sie weiß wohl nicht, dass sie auf Deutsch "Lichtmess-Zaubernuss" heißt (Mariä Lichtmess wird am 2. Februar gefeiert).
Die größte Überraschung steckte in einem etwas wilden Beet. Betörendes Aroma wehte mir in die Nase - die Duft-Pestwurz (Petasites fragrans) hat es dieses Mal geschafft zu blühen. Mit Duft zum Niederknien. Ich hab's getan, dem vollen Genuss zuliebe. Und der Pflanze dabei Abbitte geleistet. Oft und oft hatte ich sie zuvor verflucht, hatte - vergebens - versucht, sie aus dem Garten zu verbannen: Sie wuchert, zwar weniger heftig als ihre heimische Verwandte, aber doch mit kräftigen Ellenbogen. Nun bin ich versöhnt, sie darf bleiben.
Was wird aus ihr - jetzt, bei Frost? Was wird aus noch belaubten Rosen , voreiligen Sträuchern, hervorspitzenden Zwiebelblühern? Was kann ich für sie tun? Wenig. Gemulcht habe ich, das ist das Wichtigste. Zweige des gewesenen Weihnachtsbaums schützen dies und das vor Wintersonne, ein paar Töpfe sind in der Garage geparkt. Schnee ist hilfreich, er wärmt wunderbar. Für den Rest müssen die Pflanzen selber sorgen. Das können sie, sie haben es in den Genen: Zwiebelblüher schalten auf Pause, Zaubernüsse rollen ihre Blütenblätter ein; und ist der Frost vorbei, geht es weiter, als sei nichts gewesen. Rosen & Co. mögen leiden, aber dagegen bin ich machtlos. Und sehe den Frost gelassen - mit Vorfreude auf eine zweite Zeit der schönen Zwerge : Jetzt sind ja auch noch viele neue Zwiebeln da.