Wadern/Frankfurt Von Kaisern und dem jungen Goethe

Wadern/Frankfurt · Die Eröffnung des Neuen Historischen Museums in Frankfurt wird für den pensionierten Lehrer Friedrich Ebert aus Wadern und seine ehemaligen Schüler zu einem Klassentreffen der besonderen Art. Das Bild von der Kaiserkrönung, das die Schüler unter seiner Leitung entwarfen, wird einen dauerhaften Platz in dem Gebäude erhalten. Der Pädagoge erinnert sich.

 Fredrich Ebert, links, mit dem Leiter des Historischen Museums Frankfurt, Rainer Koch (Zeitungsauschnitt).

Fredrich Ebert, links, mit dem Leiter des Historischen Museums Frankfurt, Rainer Koch (Zeitungsauschnitt).

Foto: Mirko Krizanovic

Die Klasse, die ich von 1966 bis 1969 führte, ist jene Klasse, die 1968 am „Wettbewerb der Frankfurter Schulen“ in den Bereichen Kunst- und Werkerziehung teilnahm. Im Jahr 1968 gehörte die Klasse der dritten Jahrgangsstufe an. Außer in den Fächern Deutsch und Rechnen unterrichtete ich diese Klasse damals im Fach Heimatkunde, das Jahre später vom Fach Sachkunde-Unterricht abgelöst wurde. Das Fach Heimatkunde war ganzheitlich organisiert und enthielt stofflich jene Bereiche, die später als Fächer in der Oberstufe unterrichtet wurden. Diese banden inhaltlich sowohl erd- und naturkundliche als auch Naturlehrstoffe ein, darüber hinaus auch geschichtliche Stoffe.

Die Bereiche Kunst- und Werkziehung waren dann ergänzend in den Gesamtrahmen eingebunden. Der Lehrstoff für die Grundschule sah vor, behutsam die Welt des Grundschulkindes in all seinen möglichen Facetten zu erschließen, ausgehend vom Elternhaus über die Schule, den Schulort, zur nächst größeren Einheit, jenem Ort — die Stadt Höchst — von dem das heimatliche Dorf — Zeilsheim — irgendwann eingemeindet wurde, bis hin zur noch größeren Einheit — der Stadt Frankfurt am Main — die schließlich beide Orte eingemeindete.

Gab es bei dem Heimatort Zeilsheim und der Stadt Höchst schon lokale Geschichte und Geschichten, die auf kindgerechte Weise erschlossen wurden, so hatte dies für das große Frankfurt am Main eine ganz andere und sehr prominente und repräsentable Dimension. Schließlich wurden in dieser Stadt deutsche Kaiser gekrönt!

Als nun dieser „Wettbewerb Frankfurter Schulen“ ausgelobt wurde, berichtete ich den Schülern meiner Klasse davon und fragte, ob sie nicht Lust hätten, daran teilzunehmen. Ich weiß nicht, wie es unter den geänderten Bedingungen in der heutigen „Primarstufe“ aussieht, ich jedenfalls war 1968 in der Lage, die Schüler meiner Klasse zu motivieren, begeistert an diesem Wettbewerb teilzunehmen. Und das gewählte Thema: eben die Kaiserkrönung eine Arbeit, die von der gesamten Klasse angefertigt werden sollte, das hatte schon etwas Besonderes.

Meine Schüler waren zu dieser Zeit just auch in jener Seelenlage, die mir ihre Motivation sehr erleichterte. Schließlich hatte das ganze ja auch eine märchenhafte Seite! Als wir uns dem Gegenstand — Frankfurt — zuwandten, der das anvisierte Thema, nämlich die Kaiserkrönung enthielt, da war dann zu überlegen, wie dasselbe zu erschließen sei. Ein etwas üppigerer Unterrichtsgang war da angesagt, eben auch mit einem Besuch des Museums, in dem auch ein Modell der alten Stadt und eben auch vor Ort der Platz — Dom, Römerberg und Römer — studiert werden konnte, wo das großartige Ereignis in der Vergangenheit ja stattgefunden hatte.

Seit 1562 wurden die deutschen Kaiser in Frankfurt nicht nur gewählt, sie wurden seit dieser Zeit hier auch gekrönt. Insgesamt gab es durch die verschiedenen Jahrhunderte zehn Wahlen und Krönungen. Die letzte Krönung wurde 1792 vollzogen, Kaiser wurde der Gemahl der österreichischen Herrscherin Maria Theresia, Franz I.. Natürlich blieb nicht aus, dass der Unterrichtsgang eine intensive Vor- und auch Nachbereitung erforderte. Für den Lehrer standen da ausgezeichnete Quellen zur Verfügung.

Zum einen war das das von Johann Jakob Hässlin verfasste und im Münchener Prestel-Verlag 1959 erschienene Buch „Frankfurt“. In ihm ist unter einer großen Zahl von Geschichten verschiedener Autoren zur Stadt Frankfurt auch die von Cäsar von Leonhard 1854 verfasste Reportage „Die letzte Kaiserkrönung von 1792“, die von Drittklassschülern in ihrer Verdichtung fast eins zu eins übernommen werden konnte. Einige Auszüge daraus können das belegen: „Aus dem kaiserlichen Palast ritt der Kaiser, von unzähligem Volk umdrängt, in feierlichem Aufzug nach dem Dom.

Über ihm, getragen von zehn Frankfurter Abgeordneten, ein Baldachin, vor ihm her die „...Kurfürsten, zu den Seiten der kaiserliche Hofstaat, endlich der stolze Zug der Leibwache... mit wehenden Fahnen und klingendem Spiel.“ Und weiter: „Eine unübersehbare Menge ein Menschenmeer aus allen Ständen, von jedem Alter Geschlecht, Köpfe über Köpfen, auch die Dächer von Neugierigen besetzt, Zuschauer auf den höchsten Giebeln und Schornsteinen.“ Viele Einzelheiten aus der Reportage des Cäsar von Leonhard fanden später bildlich Eingang in die Gemeinschaftsarbeit.

Darüber hinaus jedoch stand dem Lehrer aber auch die erschöpfende Darstellung des jungen Johann Wolfgang Goethe zur Verfügung, der die Kaiserkrönung von 1764 als 15-Jähriger, sehr wach, an exponierten Plätzen, erlebte und später aus seinen Aufzeichnungen einen wahrlich umfassenden Bericht dazu in seinem fünften Buch seiner Autobiografie „Dichtung und Wahrheit“ aufgeschrieben hat. All diese zur Verfügung stehenden Informationen wurden kindgemäß aufbereitet und den wissbegierigen Schülern gleichsam zur Verinnerlichung übermittelt.

Zu guter Letzt standen sie entsprechend stimuliert in einem regelrechten Krönungsmedium. Diese Informationen galt es nun bildlich umzusetzen. Mit einem etwa sieben- bis zehnköpfigen Team, mit besonderen künstlerischen Neigungen, erörterte ich, welches Format das spätere gemeinschaftlich zusammen zu stellende Bild, welche Größe die darauf aufzubringenden Figuren haben sollten, denn schließlich sollten die bildlichen Einzelteile für den Betrachter gut erkennbar sein.

Als Format wurde ein Packpapier des Maßes zweimal ein Meter gewählt, auf das ein Schüler, nach den beim Unterrichtsgang gewonnenen örtlichen Erkenntnissen spontan die Struktur des späteren Bildes aufzeichnete. Während der Löwenanteil der Schüler nach festgelegten Maßen ‚Bürger der Stadt‘ malten — es wurde ja eine große Anzahl davon gebraucht — wurden die begabteren dazu beauftragt, den Römer (also das Rathaus) und eine größere Anzahl am Platz vorfindlicher Fachwerksarchitektur zu fertigen.

Dem Hauptgegenstand, nämlich den vom Dom ‚hereinziehenden Krönungszug‘ mit den sieben Kurfürsten, dem Kaiser unter einem Baldachin, den Gesandten und die zum kaiserlichen Schutz abgeordneten Soldaten auf rotem Teppich, wandte sich eine begrenzte Anzahl ‚vorzüglicher‘ und begeisterter Künstlerinnen und Künstler zu. Bei der bildlichen Zuordnung der großen Volksmenge allerdings wäre ohne anregende Hilfe des Lehrers keine gute Lösung zu erzielen gewesen. Die Schüler waren geneigt, mit den einzelnen Figuren die noch verfügbare Fläche zu füllen. So war dann ein Kunstgriff erforderlich.

Auf der Schultreppe stellte sich die Klasse auf und den Schülern war dann sehr schnell zu vermitteln, dass bei dieser Stellung nur die vorderen Schüler ganz zu sehen sind. Die in zweiter und dritter Reihe Befindlichen sind nur mit ihren oberen Teilen, hauptsächlich mit Kopf zu sehen. Auch war dem Team der Bildzusammensteller leicht einsichtig zu machen, dass das Volk deutlich Abstand halten musste vom Kaiser und dessen Krönungszug.

Mit dem bereits erwähnten Team wurden alle Bildteile mit einem Alleskleber – nach entsprechender Grundierung des Packpapiers – an fünf bis sieben Nachmittagen befestigt. Über das Ergebnis war man verständlicherweise entsprechend stolz. Als das Bild dann beim Wettbewerb einen Ersten Preis erzielte, der überdies auch noch 500 DM für die Klassenkasse einbrachte, kannte der Stolz der  Schüler keine Grenzen.

 Ein Schülerbild macht Furore

Ein Schülerbild macht Furore

Foto: Th Stillbauer/TH Stillbauer
 Dieses großartige und großformatige Schülerbild zeigt die Kaiserkrönung.

Dieses großartige und großformatige Schülerbild zeigt die Kaiserkrönung.

Foto: Privat

In den frühen 1990er Jahren wanderte das Bild von meinem Arbeitszimmer – die Schüler hatten es nach Auflösung der Klasse beim Wechsel zu weiterführenden Schulen – ihrem Lehrer geschenkt wieder nach Frankfurt, wo es dem Historischen Museum übergeben wurde  Im Jahr 2018 ist das Bild 50 Jahre alt, und mit der Eröffnung des ‚Neuen Historischen Museums‘ wird die Arbeit der Schüler in der sogenannten „Studierstube“ des Museums, zusammen mit historischen Exponaten zum Thema „Kaiserkrönung“ dauerhaft präsentiert werden.

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