Schüler erforschen Schicksale von Patienten

Merzig · Ines Scholtes vom Gymnasium am Stefansberg hat für ihre wissenschaftliche Arbeit über das Schicksal von Lawers Barbell den ersten Platz belegt. Die Merchingerin legte eine knapp 50 Seiten starke Arbeit vor.

 Die Teilnehmer des ausgezeichneten Seminarfachs „Geschichte betrifft uns“. Fotos: Schule/Albert Ehl

Die Teilnehmer des ausgezeichneten Seminarfachs „Geschichte betrifft uns“. Fotos: Schule/Albert Ehl

Der Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten ist so etwas wie das "Jugend forscht der Gesellschaftswissenschaften", denn der von der Körber-Stiftung organisierte Wettbewerb ist der größte historische Forschungswettbewerb für junge Menschen in Deutschland. Das Rahmenthema in diesem Jahr lautete "Anders sein. Außenseiter in der Geschichte". Die Schüler waren aufgerufen, allein oder in Gruppen ein Beispiel für "Anders sein" aus der Geschichte ihrer Region, ihrer Schule oder ihrer Familie zu erforschen und auf seine Bedeutung aus heutiger Sicht zu hinterfragen.

Am Gymnasium am Stefansberg hatte sich eine Schülergruppe und eine Einzelteilnehmerin für den Wettbewerb angemeldet. Beide erreichten einen ersten Platz auf Landesebene, so dass das Gymnasium am Stefansberg durch diese herausragenden Leistungen auch die erfolgreichste Schule auf Landesebene geworden ist.

Psychisch Kranke als Ballast

Als Gruppe wurde das Seminarfach "Geschichte betrifft uns" mit Geschichtslehrerin Ann-Katrin Engels mit einem ersten Landespreis ausgezeichnet. Die 18 Schüler aus der Klassenstufe 11 erforschten - in Zusammenarbeit mit der Merziger Klinik für Psychiatrie - das Schicksal von Merziger Psychiatriepatienten in der NS-Zeit. In den Jahren 1933 bis 1945 wurden Hunderttausende behinderte, psychisch kranke oder sozial auffällige Menschen zu "Ballastexistenzen" erklärt, zwangssterilisiert oder ermordet, unter ihnen auch Patienten der damaligen Heil- und Pflegeanstalt Merzig , deren Schicksal vielfach bis heute ungeklärt ist. "Für unsere Arbeit war es natürlich von großem Vorteil, dass die SHG-Klinik Merzig , die bis zur Evakuierung im Jahr 1939 neben Homburg als größte psychiatrische Anstalt des Saarlandes galt, in unmittelbarer Nähe unserer Schule liegt und mit ihr bereits eine langjährige Kooperation besteht", war Seminarleitern Ann-Katrin Engels dankbar für die gute Zusammenarbeit.

Insbesondere Ralf Schmitt, der neben seiner Tätigkeit als Psychologe der SHG-Klinik schon seit einiger Zeit interessierten Besuchern die Vergangenheit der Merziger Anstalt als Leiter des Psychatriemuseums näherbringt, war für das Projekt eine große Hilfe. Er stellte den Schülern des Seminarfachs ein besonderes Fundstück zur Verfügung: Eine Evakuierungsliste vom 1. September 1939, mit Namen, Wohnorten und Geburtsdaten von über 600 Patienten , die im Zuge der kriegsbedingten Räumung überwiegend in hessische Anstalten verlegt worden waren. Anhand dieser Liste war konnten die Schülern konkrete Akten im Landesarchiv in Saarbrücken anfordern. Sie konzentrierten ihre Anfrage auf Akten von Kindern oder jugendlichen Patienten . "Mich hat besonders der regionale Bezug interessiert. Mir war vorher nicht klar, dass solche Verbrechen auch bei uns durchgeführt worden waren. Auch dass Gleichaltrige oder sogar noch Jüngere davon betroffen waren, war für mich neu und erschreckend", spricht Noemi Neusius ihren Mitschülern aus der Seele.

Schüler gestalten Austellung

 Abiturientin Ines Scholtes.

Abiturientin Ines Scholtes.

Neben der Sichtung der Patientenakten führten die Schüler auch ein Interview mit einer Zeitzeugin und werteten Materialien in der Gedenkstätte der ehemaligen hessischen "Tötungsanstalt" Hadamar aus. Die Ergebnisse der Projektarbeit wurden dann als Beitrag zum Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten eingereicht - und nun mit einem ersten Landespreis ausgezeichnet. Außerdem erstellten die Schüler eine Ausstellung mit dem Titel "Degenerierte, Ballastexistenzen‚Volksschädlinge - Psychiatriepatienten der Merziger Heil- und Pflegeanstalt im Nationalsozialismus", die seit März in den Räumen des Psychiatriemuseums Merzig zu sehen ist.

Bei der Preisverleihungsfeier Anfang Juli in Saarbrücken werden die erfolgreichen GaS-Schüler mit Urkunden, Geld- und Sachpreisen ausgezeichnet; Schulleiter Ehl wird darüber hinaus noch einen schönen Geldpreis für die "landesweit beste Schule" im Wettbewerb entgegennehmen können. Ob die Merziger Gymnasiasten auch auf Bundesebene mit ihren Beiträgen erfolgreich sind, wird im Herbst entschieden. Es bleibt also weiter spannend. Der zweite nunmehr preisgekrönte Beitrag zum Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten kommt von Ines Scholtes aus Merchingen. Ines ist Schülerin der Klassenstufe 12, legt in diesen Tagen ihre letzte Abiturprüfung ab und hat im Lauf ihrer Schulzeit an so manchem Schülerwettbewerb auf Landes- und Bundesebene mit Erfolg teilgenommen. Für den Geschichtswettbewerb erforschte sie das Schicksal einer Frau aus Merchingen, die im späten 16. Jahrhundert als Hexe verbrannt wurde. Lawers Barbell, so der Name der Frau, wurde von Nachbarn und Familienmitgliedern der Hexerei bezichtigt und nach Folter und Hexenprozess zum Tod durch Verbrennen verurteilt. Ines Scholtes hat das Schicksal dieser Frau, die als Heilerin und Hebamme bekannt war, den Ablauf des Prozesses, die historischen Hintergründe sowie die verschiedenen Faktoren, die bei dieser Hexenverfolgung zusammenwirkten, in einer fast 50 Seiten starken Arbeit wissenschaftlich akribisch beschrieben und analysiert. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass "Lawers Barbell durchaus anders war - zum Außenseiter in der Geschichte machten sie jedoch erst die äußeren historischen Umstände. Das Wissen um Heilkunde und die daraus resultierende Fähigkeit, anderen und sich selbst zu helfen, machten Lawers Barbell nicht nur zu einem von vielen Frauen geschätzten Mitglied der Gesellschaft, sondern auch zu etwas Besonderem. Gleichzeitig war eine Frau mit einem solchen Fachwissen trotz fehlender professioneller Ausbildung für damalige Verhältnisse ungewöhnlich und erschien andersartig und befremdlich. Nach den Vorstellungen der Kirche waren gerade solche Frauen besonders häufig Komplizinnen des Teufels, die es zu bekämpfen und zu beseitigen galt." Die Arbeit, die die 18-jährige Abiturientin parallel zu ihren Klausur- und Abiturvorbereitungen erstellte, stützt sich etwa auf einschlägige historische Fachbücher, auf Veröffentlichungen des Vereins für Heimatkunde Merchingen sowie auf Interviews mit Heimatforschern. GaS-Schulleiter Albert Ehl gratulierte Ines Scholtes zu dem herausragenden Erfolg: "Zum Ende einer ausgesprochen erfolgreichen Schulzeit hat Ines erneut bewiesen, auf welch hohem wissenschaftlich Niveau sie arbeiten kann."

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