„Der Elysée-Vertrag war nicht nötig“

Saarbrücken · Der deutsch-französische Publizist und Soziologe Alfred Grosser sieht den Elysée-Vertrag kritisch. Über seine Sicht auf das aktuelle deutsch-französische Verhältnis hat SZ-Mitarbeiterin Silvia Buss mit ihm gesprochen.

 Bei der deutschen Kanzlerin macht der Publizist Alfred Grosser gerade eine positive Veränderung aus. Den französischen Staatspräsidenten beurteilt er deutlich zurückhaltender.Foto: Becker&Bredel

Bei der deutschen Kanzlerin macht der Publizist Alfred Grosser gerade eine positive Veränderung aus. Den französischen Staatspräsidenten beurteilt er deutlich zurückhaltender.Foto: Becker&Bredel

Foto: Becker&Bredel

Sie haben sich im Jubiläumsjahr mehrfach kritisch geäußert. Wird der Elysée-Vertrag überbewertet?

Alfred Grosser: Ja, er wird toll überbewertet. Es steht wenig drin. Das Deutsch-Französische Jugendwerk ist hervorragend. Es erweitert das, was vor de Gaulle schon da war. Die ständigen Beratungen zwischen Regierungen und Beamten sind sehr gut, aber sonst steht im Vertrag nichts drin. De Gaulle betrachtete ihn schon 1963 als tot, als Adenauer abtrat, war er noch toter. Und nun feiert man ihn als Beginn der deutsch-französischen Freundschaft, was mir auf die Nerven geht: Wir haben damit schon 1946 begonnen. Bereits vor dem Schuman-Plan war schon sehr vieles da. Die ersten Begegnungen und Jugendkontakte haben Ende der 1940er Jahre begonnen. De Gaulle kam 1958 an die Macht und bekehrte sich teilweise zu dem, was er ständig bekämpft hatte. Also glorreich ist das nicht. Er hat eine wunderbare Deutschlandreise gemacht und deshalb die deutsche Begeisterung.

War der Vertrag trotzdem nötig?

Grosser: Nötig war er nicht. Nicht De Gaulle hat ihn vorgeschlagen, sondern Adenauer. Der Vertrag sollte betonen, wie gut die deutsch-französischen Beziehungen seien. Wir haben danach verschiedene Perioden gehabt, bessere oder schlechtere. Schön war es, als sich die beiden Parlamente vor zehn Jahren zum ersten Mal in Versailles trafen. Das hatte eine doppelte große Bedeutung. Versailles, das war die französische Kränkung von 1871, die damit überwunden wurde, und die deutsche Kränkung durch den Versailles-Vertrag von 1919. Das war symbolisch sehr schön. Aber sonst vergisst man immer, dass die großen Versöhnungstreffen in Reims, in Verdun und am Arc de Triomphe immer den Ersten Weltkrieg betreffen und nicht den Zweiten. Dafür hätten sich Hollande und Merkel diesmal in Dachau treffen müssen und nicht in Berlin.

Wie steht es denn aktuell um das Verhältnis Hollande - Merkel? Gerade lächelten sie zusammen, man kommt gar nicht mehr mit.

Grosser: Momentan haben sich zwei Dinge verändert, eins zum Guten, eins zum Schlechten. Gut verändert hat sich seit ein paar Tagen die Kanzlerin. Sie ist jetzt dafür, dass man investiert in den Ländern, die kaputt gehen wegen der Sparpolitik. Das ist das, was Frankreich seit langem vorschlägt: Dass man massiv investieren muss, damit die Wirtschaft wieder funktionieren kann und die Schulden zurückgezahlt werden können. Auf französischer Seite wird leider nichts getan, um es zu verändern. Glücklicherweise ist es jetzt nicht die Kanzlerin, die als Böse dasteht. Sondern Brüssel, das Druck macht.

In Brüssel machen Merkel und Hollande sich gemeinsam für eine europäische Wirtschaftsregierung stark, zu Hause verbittet sich Hollande dann ein Brüsseler Diktat von Reformen. Ist das nicht widersprüchlich?

Grosser: Ja, das gilt aber auch für die Kanzlerin, die die Europäische Zentralbank kritisiert. Auch bei der Bankenkontrolle bremst die Bundesrepublik, obwohl es ganz gut gewesen wäre, wenn die bayerische Landesbank kontrolliert worden wäre. Auf beiden Seiten ist man nicht ganz ehrlich.

Glauben Sie, dass Hollande die verlangten schwierigen Reformen zügig hinbekommen wird? Er sucht ja Einvernehmen, verspricht, man werde alles mit den Sozialpartnern ausgiebig diskutieren . . .

Grosser: Was Hollande tun wird, weiß man nicht, vielleicht auch er selbst nicht. Aber es ist jetzt Mode, auf Hollande einzudreschen. Obwohl: Das letzte Mal, dass die französischen Schulden nicht angewachsen sind, war unter Jospin, einem Sozialisten.

Danach, unter den Konservativen, ging es steil nach oben. Und dann: Die Hauptschuld liegt bei Amerika. Wer hat die Krise verursacht, wenn nicht der Präsident der Vereinigten Staaten? Das vergisst Washington heute gern.Eigentlich ist Rainer Hudemann, Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Saar-Uni, nicht für Gefühlsausbrüche bekannt. Doch am Donnerstagabend, bei der Eröffnung der internationalen Fachtagung zum politischen Dreiecksverhältnis von Frankreich, Deutschland und den USA in den 1960er Jahren, geschah es. Rainer Hudemann standen plötzlich Tränen der Rührung im Gesicht. Er hatte geradeerfahren, dass die Tagung, die das Deutsch-Amerikanische Institut Saarbrücken, die Deutsch-Französische Hochschule und das Frankreichzentrum der Universität des Saarlandes veranstaltet, ihm gewidmet ist. Denn im September wird der dann 65-jährige Frankreich-Spezialist in den Ruhestand gehen. Seinen Lehrstuhl an der Pariser Universität Sorbonne wird er aber behalten.

Hudemanns Mentor Alfred Grosser kam als Überraschungsgast zur Tagung. Da war die Rührung doppelt. Bis Sonntag diskutieren die Experten in der Villa Europa.

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