Saarländerin rettet Flüchtlinge im Mittelmeer „Dann trieben uns auch schon die ersten Leichen entgegen“

Pozallo · Die Saarländerin Stefanie Hilt schildert einen tragischen Einsatz mit der Hilfsorganisation Sea-Watch im Mittelmeer. Dort starb unter anderem ein Kleinkind.

 Dramatische Szenen spielten sich am Montag 30 Meilen vor der libyschen Küste ab. Ein Boot mit Flüchtlingen geriet in Seenot.

Dramatische Szenen spielten sich am Montag 30 Meilen vor der libyschen Küste ab. Ein Boot mit Flüchtlingen geriet in Seenot.

Foto: dpa/Lisa Hoffmann

(SZ/dpa) Es sind Szenen des Schreckens, die Stefanie Hilt schildert: Schiffbrüchige, die von der Küstenwache misshandelt werden; Leichen, die im Wasser treiben; eine verzweifelte Mutter, die ihr kleines Kind sucht, das bereits tot ist. Es ist nur eine von unzähligen Tragödien, die sich seit Jahren immer und immer wieder im Mittelmeer abspielen – dieses Mal etwa 30 Meilen vor der libyschen Küste. Für die Saarländerin Hilt ist es allerdings das erste Flüchtlings-Drama, das sie mit eigenen Augen ansehen musste. „Eine sehr starke Wut“ verspüre sie auf die Politik, die all das zulasse, sagt die 27-Jährige aus Niedaltdorf. Sie arbeitet ehrenamtlich für die Seenot-Retter von Sea-Watch.

Seit gestern Mittag ist Hilt wieder auf europäischem Boden, genauer gesagt im Hafen von Pozallo auf Sizilien. Dort übergab die Crew des Schiffes Sea-Watch 3 insgesamt 58 gerettete Flüchtlinge an die italienischen Behörden. Das schlimmste an allem sei, dass deren Leidensweg noch nicht vorbei ist, meint die Saarländerin. Denn nach all den erlebten Schrecken ist unsicher, ob die Menschen in Europa bleiben und sich ein besseres Leben aufbauen können. „Das ist total unmenschlich“, sagt Hilt.

Die 27-Jährige hat Internationale Not- und Rettungshilfe in Berlin studiert. Über ein Praktikum kam sie in Kontakt mit Sea-Watch. Für die Hilfsorganisation arbeitete sie zunächst in der Öffentlichkeitsarbeit, bevor sie erstmals selbst auf einem Einsatz mitfuhr. Denn die Niedaltdorferin ist auch ausgebildete Rettungssanitäterin.

Also war sie an diesem Montag auf der Sea-Watch 3, als das Schiff einen Notruf der Rettungsleitstelle in Rom erhielt. Nördlich der libyschen Hauptstadt Tripolis war ein Schlauchboot mit Flüchtlingen in internationalen Gewässern in Seenot geraten. Nach den Schilderungen der Hilfsorganisation kam die Crew der Sea-Watch 3 etwa zeitgleich mit einem Patrouillenboot der Libyschen Küstenwache bei dem Seenotfall an. Weil ein Boot der Behörden vor Ort war, habe man kurz gezögert, schildert Hilt die Szenen. Doch kurz darauf habe die Crew sich entschlossen, selbst einzugreifen und die Menschen in Not an Bord zu nehmen. „Dann trieben uns auch schon die ersten Leichen entgegen“, berichtet die Saarländerin. Auch ein Kleinkind habe man aus dem Wasser gefischt. Es sei vielleicht zwei Jahre alt gewesen, schätzt Hilt. Die Sanitäterin begann schon im Rettungsboot mit der Reanimation. Vergeblich. Auch auf der Sea-Watch 3 konnten die Ärzte nichts mehr für das Kind tun. „20 Minuten später haben wir dann die Mutter gerettet. Sie hat sofort nach ihrem Kind gefragt“, berichtet Hilt.

Offiziell starben bei der Tragödie mindestens fünf Menschen. Doch Hilt ist sich sicher, dass es wesentlich mehr waren. „Allein wir haben mehr als fünf Leichen gesehen“, sagt sie. Schuld an den Todesfällen sei vor allem die libysche Küstenwache. „Wenn die nicht dort gewesen wären, hätten wir wesentlich koordinierter eingreifen können.“ Ihre Organisation warf den Küstenwächtern „brutales Vorgehen“ vor. Auf dem Boot sei deshalb Panik ausgebrochen, mehrere Menschen seien ins Wasser gefallen. Auch Augenzeugin Stefanie Hilt berichtet, dass die Beamten auf die Flüchtlinge eingetreten und die Sea-Watch-Retter beworfen hätten.

Die Libyer wiesen den Vorwurf der Organisation zurück, Leben auf dem Gewissen zu haben. Sie beschuldigte ihrerseits Sea-Watch, das Unglück ausgelöst zu haben. Die Küstenwache erklärte, das Schiff der Organisation sei während der Rettungsaktion aufgetaucht und habe unter den Flüchtlingen Chaos verursacht. Viele Menschen seien ins Meer gesprungen, um auf das Sea-Watch-Schiff zu gelangen. Dieses habe die Anweisung der Küstenwache ignoriert, sich zu entfernen.

 Stefanie Hilt war bis gestern auf dem Mittelmeer im Einsatz.

Stefanie Hilt war bis gestern auf dem Mittelmeer im Einsatz.

Foto: Hilt

So oder so: Auch für die Retter waren die Erlebnisse schlimm. Gerade für Hilt, die einem sterbenden Kleinkind nicht mehr helfen konnte. Die junge Frau will dennoch weitermachen. Viel schlimmer wäre es für sie, nichts gegen das Sterben zu tun. Und letztlich habe man am Montag viel Gutes bewirkt: „Wir haben neun Frauen gerettet, die nun keine Angst mehr haben müssen, in Libyen vergewaltigt zu werden.“

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