Stanislaw Lems „Solaris“: Klassiker vom göttlichen Ozean

Lemberg · Wie sieht außerirdisches Leben aus? In Stanislaw Lems „Solaris“ ist es ein gigantischer Ozean, der einen ganzen Planeten bedeckt. Einer Gruppe von Menschen schickt das Meer Besucher, die es nach ihren Erinnerungen gestaltet. Kann diese Kontaktaufnahme gut gehen?

Ein Ozean, der die Umlaufbahn eines Planeten ändern kann? Das ist auf jeden Fall etwas Fremdes, Unergründliches, das auf menschliche Expediteure eine heftige psychische Wirkung erzielt: So ist der Planet Solaris in Stanislaw Lems (1921 - 2006) gleichnamigem Roman von 1961, der nun bei Hörbuch Hamburg (Leser: Detlef Bierstedt) erschienen ist. Der polnische Schriftsteller schickt darin den Psychologen Kris Kelvin auf eine Raumstation, die über dem Ozean des Planeten Solaris kreist. Er soll herausfinden, was aus der Expedition geworden ist. Deren Leiter ist tot und die anderen laufen neben der Spur. Dazu sind fremde Gestalten auf den Korridoren unterwegs. Ist auch Kelvin in Rekordzeit wahnsinnig geworden oder ist es vielleicht doch der offenbar lebendige, intelligente Ozean, der die Wirklichkeit manipuliert? Lem galt schon vor Jahrzehnten als Science-Fiction-Visionär. Nanotechnologie, virtuelle Realität oder das Internet hat er vorausgesagt, ehe man davon träumen konnte. Auch seine oft als Genre-Meilenstein bezeichnete Geschichte um Solaris ist für 1961 erstaunlich sattelfest. Außer Kleinigkeiten, dass etwa Tonbandgeräte verwendet und auf Morsecodes zurückgegriffen werden, könnte das Szenario auch heute noch in ferner Zukunft spielen. Lem will keine Action- oder Horror-Szenarien ersinnen, sondern eine philosophische Geschichte. Kelvins große Liebe steht vor ihm, nicht wissend warum. Erst kann er sie nicht loswerden, später will er sie gegen alle Widernatürlichkeit nicht mehr hergeben. Doch Lem geht es mehr um die Frage der Kontaktaufnahme mit Außerirdischen. Was wollen wir im Weltall? Spiegelbilder von uns finden, wie es im Roman formuliert wird? Könnte eine intelligente Lebensform so sein wie der Solaris-Ozean, der aus schuldbeladenen Erinnerungen Personen erschafft? Und dessen Tun unergründlich und geheimnisvoll, für manchen gar göttlich bleibt? Für Übersetzerin Irmtraud Zimmermann-Göllheim dürfte die Arbeit an Solaris heftig ausgefallen sein. Lem erfindet gerne Wörter und nutzt eine sperrige Sprache mit vielen komplizierten Begriffen. Das spürt man vor allem, wenn er sich über die Entwicklung von Wissenschaftsdisziplinen auslässt, die den Solaris-Planeten erforschen. Oder wenn er Formationen beschreibt, die aus dem Ozean wachsen - da bricht der akribische Wissenschaftler durch, was zu Lasten der Spannung geht. Doch ein Klassiker ist Solaris ja auch nicht wegen der Dramaturgie.

Stanislaw Lem: Solaris, 525 Minuten, komplette Lesung, Hörbuch Hamburg, ISBN 978-3-89903-913-9

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