Starke Worte gegen das Vergessen Starke Worte gegen das Vergessen

Zweibrücken · Gut 100 Teilnehmer gedenken in Zweibrücken der Opfer der Reichspogromnacht vom 8. auf den 9. November 1938.

Der Aktionskreis Buntes Zweibrücken und die Stadt Zweibrücken erinnerten am Mittwoch  gemeinsam mit dem Ökumenischen Arbeitskreis der Kirchen und dem Historischen Verein zum 84. Mal an die menschenverachtenden Übergriffe in der Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 erinnert.

Der Aktionskreis Buntes Zweibrücken und die Stadt Zweibrücken erinnerten am Mittwoch  gemeinsam mit dem Ökumenischen Arbeitskreis der Kirchen und dem Historischen Verein zum 84. Mal an die menschenverachtenden Übergriffe in der Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 erinnert.

Foto: Elisabeth Heil

(elb) Es war der Tag, an dem alles anders wurde. Bis zu jener Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 klammerten sich die verbliebenen Juden in Deutschland an die Hoffnung, dass wieder bessere Zeiten kommen. Dieses Regime kann keinen Bestand haben, glaubten viele. Denn man ist ja nicht irgendwo auf der Welt. Sondern im Land der Dichter und Denker, in Deutschland. So haben es Zeitzeugen erlebt: Seit 1933 hatten sie schon so viel Unerträgliches ertragen müssen. Gleich nachdem die demokratiefeindlichen Nationalkonservativen Adolf Hitler zur Reichskanzlerschaft verholfen hatten, begann die systematische Judenverfolgung und gipfelte in den menschenverachtenden Verbrechen in der Reichspogromnacht, in der Ermordung der Juden in den Konzentrationslagern.

Alljährlich gedenken Menschen am Abend des 9. November dieser Gräueltaten. So auch in Zweibrücken an der Ecke Ritterstraße, Karlstraße, wo bis 1938 die große Synagoge das Zentrum jüdischen Lebens in Zweibrücken war. Michael Schubert, Vorsitzender des Historischen Vereins, erinnerte anschaulich an die Geschehnisse dieser Nacht: „Vom 9. auf den 10. November 1938, gegen 2 Uhr, ging im SS-Sturmbannbüro in der Wallstraße ein Funkspruch der Gestapo in Neustadt ein, wonach sämtliche jüdische Wohnungen und Geschäfte zerstört und alle jüdischen Männer bis 60 Jahre zu verhaften seien. Bei dem Inbrandsetzen der Synagoge sei darauf zu achten, dass deutsches Eigentum oder Leben nicht gefährdet werde. Dieser Befehl wurde vollständig umgesetzt und jüdische Männer misshandelt und verhaftet, Wohnungen und Geschäfte demoliert und die Synagoge zerstört“, berichtete Schubert. „Mindestens 25 jüdische Männer wurden verhaftet. Sie kamen noch am selben Tag ins KZ nach Dachau.“

Unter ihnen sei auch Daniel Leiser gewesen, der seine Erlebnisse wie folgt schilderte: „Als ich in die Wachstube kam, stand der SS-Mann Jakob Hauser vorn und sagte: ,Jetzt haben wir den Richtigen, nichts wie drauf und nicht nachgelassen.‘ Hauser hat mich dann schwer misshandelt und mit der Faust auf mich eingeschlagen. Als ich dann erklärte, ich sei schwer kriegsgeschädigt, sagte er, jetzt bekomme ich sie gerade. So schlug Hauser weiter auf mich ein, bis ich bewusstlos wurde. Ich lag dann auf der Erde und wurde getreten und misshandelt. An der Misshandlung haben sich auch andere beteiligt.“

Schubert erzählte auch von Hans Schönfrank, Sohn des Besitzers eines Kurzwarengeschäftes in der Hauptstraße, der später über die Zerstörung des Geschäftes seiner Familie wie folgt berichtete: „Während wir beim Frühstück saßen, zertrümmerten ungefähr sechs Männer in Zivilkleidung alle Schaufenster und begannen, die gesamten Waren auf die Straße zu werfen. Später an diesem Morgen wurde mein Vater verhaftet und schließlich ungefähr sechs Wochen im KZ Dachau festgehalten.“

Tragischer Höhepunkt dieser Nacht war der Brandanschlag auf die Synagoge, die am Morgen des 10. November gegen 6 Uhr angezündet wurde. Schubert zitierte hierzu die Ausführungen, die der ehemalige Führer der Feuerwehr und SS-Sturmbannführer vor Gericht gemacht hatte: „Wir fuhren zur Synagoge, die gefüllt war von einem tiefschwarzen, übelriechenden Rauch, der jede Sicht unmöglich machte. Das war ein Geruch, der uns allen fremd war. Ehe das Löschen des Brandherdes möglich war, erreichte das Feuer irgendeinen leichtbrennbaren Stoff und raste über die Treppe zur Empore, über die Orgel zum Dachgebälg, das in einigen Minuten in Flammen stand. Die Synagoge ist bis auf die Grundmauern restlos ausgebrannt.“

Michael Schubert wies darauf hin, dass die Verantwortlichen für diese Tat nie zur Rechenschaft gezogen worden seien. „Der Hauptangeklagte wurde aus Mangeln an Beweisen freigesprochen obwohl der Staatsanwalt seine Verurteilung beantragt hatte. Damit hat sich die Nachkriegsjustiz in Zweibrücken kein gutes Zeugnis ausgestellt“, betonte er. Schubert mahnte an, dass diese Geschehnisse keinesfalls in Vergessenheit geraten dürften. „So erinnert uns dieser leere Platz, wo einst die beeindruckende Synagoge der jüdischen Gemeinde stand, an diese Nacht und an diese und die nachfolgenden Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Aber auch die Gegenwart verlangt von uns, immer wieder an diese schrecklichen Taten zu erinnern, denn das Gedankengut, das zu diesen Verbrechen führte, ist heute in Deutschland, Europa und der restlichen Welt so mächtig wie schon lange nicht mehr. Deswegen ist es wichtig, dass wir hier und heute auf die Straße gehen und daran erinnern, und nicht den Vertretern dieses verbrecherischen Denkens, denen Menschlichkeit fremd ist, die Straße überlassen“, appellierte er.

Rund 100 Menschen waren zur Gedenkveranstaltung am Mittwochabend gekommen, wunderschön musikalisch begleitet von Hans Bollinger mit seiner Gitarre. Es sprachen neben Michael Schubert auch der Zweibrücker Oberbürgermeister Marold Wosnitza, die Pfarrer Wolfgang Emanuel und Günter Sifft sowie Lilly Mathieu und Erwin Bernt, Schüler des Hofenfels-Gymnasiums.

Die beiden 14-Jährigen finden es sehr wichtig, sich bereits in jungen Jahren politisch zu interessieren und aus der Vergangenheit zu lernen. So zogen sie in ihrer Rede Parallelen zur Gegenwart und zu den Ängsten, die die Menschen heute belasten: Pandemie, Klima und Krieg. Probleme, die dennoch nicht mit den Massenmorden durch das Naziregime zu vergleichen seien: „Juden wurden verfolgt, gefoltert und ermordet. Unsere Probleme heute sind gering gegenüber der Not der Menschen von damals“, sagte Lilly Mathieu. Und Erwin Bernt ergänzte: „Was wir aber tun können, ist aus der Geschichte zu lernen. Dass es von deutschem Boden aus nie wieder Krieg, Rassismus, Fremdenhass, Gewalt und Hetze gegen Minderheiten geben darf. Doch was passiert? Wieder brennen Unterkünfte, dieses Mal aber von ukrainischen Flüchtlingen in Bauzen in Sachsen. Schämen wir uns oder was hat dieser Anschlag mit uns zu tun? Das Letzte, was wir sagen wollen: Lernen wir Barmherzigkeit und öffnen die Türen unserer Wohnungen für diejenigen, die auf der Flucht sind vor Krieg.“

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