Schwarz-gelbe Furcht vor den Freien Wählern

Berlin. Man sollte diese Nachricht nicht unterschätzen: Falls es den Freien Wählern organisatorisch tatsächlich gelingt, in zwei Jahren bei der Bundestagswahl überall mit Kandidaten anzutreten, dann kann die FDP endgültig einpacken. Und die Union hat ein ernstes Problem. Denn jetzt beginnt auch im bürgerlichen Lager die Phase der Kannibalisierung, die es links längst gibt

Berlin. Man sollte diese Nachricht nicht unterschätzen: Falls es den Freien Wählern organisatorisch tatsächlich gelingt, in zwei Jahren bei der Bundestagswahl überall mit Kandidaten anzutreten, dann kann die FDP endgültig einpacken. Und die Union hat ein ernstes Problem. Denn jetzt beginnt auch im bürgerlichen Lager die Phase der Kannibalisierung, die es links längst gibt. Dort konkurrieren inzwischen vier Parteien - neben der SPD, den Grünen und den Linken neuerdings auch noch die Piraten. Rechts werden es dann drei sein. Union, FDP und die Freien Wähler.Wie eine Wahl mit sieben halbwegs aussichtsreichen Parteien ausgeht, ist völlig ungewiss. Zumal die Freien Wähler genau wie auch die Piraten eine Gruppe ansprechen, die sich von der Politik eigentlich schon entfernt hatte: die Nichtwähler. An der Piratenpartei konnte man sehen, wie groß dieses Potenzial ist und wie leicht es sich bewegen lässt. Schon die Aussage, anders zu sein als die anderen, ansonsten noch nicht zu wissen, was man wolle, daran aber alle zu beteiligen, reichte für phänomenal viele Stimmen. Mit 8,9 Prozent zogen die Piraten im September ins Berliner Abgeordnetenhaus ein. Im Saarland würden sie nach jüngsten Umfragen derzeit auf vier Prozent kommen.

Diesen Spontaneismus haben die Freien Wähler auch drauf, sie bedienen aber noch eine andere Klientel: Wähler der bürgerlichen Mitte, die schon seit Jahren Frust schieben. In diesem Lager lag eine Neugründung in der Luft. Zu viel Unzufriedenheit hatte sich angesammelt. Bei der FDP geht das derzeit bis zur Selbstzerfleischung, aber auch bei der Union kommen längst nicht mehr alle mit den vielen politischen Volten der Führung mit. Lange hatte man gedacht und befürchtet, dass dieses ausgedörrte Feld an der rechten Ecke in Brand gesetzt werden würde, mit einem ausländerfeindlichen Motiv. Thilo Sarrazin war ein potenzieller Initiator. Statt der Brandstifter aber kommen nun die Biedermänner, die Angst um ihr Erspartes haben. Griechen raus, Banken beteiligen, kein deutsches Geld für italienischen Schlendrian, keine Schuldengemeinschaft, wir wollen die D-Mark wiederhaben - der Populismus wächst mit der Unsicherheit. Auch weil er geschürt wird.

Eine Partei, die genau diese Positionen propagiert und ansonsten allgemein den "gesunden Menschenverstand" in ihr Programm schreibt, hat Potenzial. Der Chef der Freien Wähler, Hubert Aiwanger, hat in Bayern schon die CSU das Fürchten gelehrt. Wenn er es schafft, seine Gruppe von dem Geruch eines Privatvereins zu befreien, könnte er diesen Erfolg im Bund wiederholen. Zumal es bei den Freien Wählern lokal viele seriöse und engagierte Köpfe gibt, die als Kandidaten auftreten könnten.

Beide große Volksparteien sind von den jüngsten Erweiterungen des politischen Spektrums betroffen, allerdings unterschiedlich. Die SPD ist bisher von den Piraten nur indirekt tangiert, weil diese eher dem Koalitionspartner Grüne Stimmen abnehmen. Die CDU aber könnte anders als die Sozialdemokraten direkt Verluste durch das Auftauchen der Freien Wähler erleiden. Und das könnten angesichts der nun wahrscheinlicher werdenden Großen Koalition am Ende genau jene Stimmen sein, die darüber entscheiden, welche der beiden Parteien die stärkere ist, also den Kanzler stellt. Oder die Kanzlerin.

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