In Washington schlägt die Stunde der Wahrheit

Washington · Der Frust sprach aus jedem Wort. Die irakischen Einheiten hätten einfach den Kampfwillen vermissen lassen, wetterte US-Verteidigungsminister Ashton Carter in einer Sonntags-Talkshow. "Sie waren nicht in der Unterzahl, im Gegenteil, sie waren dem Gegner zahlenmäßig klar überlegen, und dennoch haben sie nicht gekämpft." Die Standpauke dröhnte so laut, dass sich der irakische Ministerpräsident Haidar al-Abadi veranlasst sah, via BBC für die Tapferkeit seiner Soldaten zu bürgen.

Wenn der Gegner allerdings reihenweise Selbstmord-Attentäter in sprengstoffbeladenen Lkw losschicke, dann habe das die Wirkung einer kleinen Atombombe.

Die rhetorisch aufgeheizten Schuldzuweisungen zeigen: In Washington schlägt die Stunde der Ernüchterung. Weißes Haus und Pentagon hatten große Hoffnungen in al-Abadi gesetzt. Während sein Vorgänger Nuri al-Maliki die Sunniten von der Macht ausgrenzte, verband sich mit dem neuen Mann die Hoffnung, dass er die verprellte Minderheit ins Boot holen und damit der Rebellion des Islamischen Staats das politische Hinterland entziehen würde. Aufgegangen ist die Rechnung nicht. Der Fall der Stadt Ramadi lässt selbst Optimisten allmählich verzweifeln - Carters Gardinenpredigt verrät im Grunde tiefe Ratlosigkeit.

Um das Blatt zu wenden, wechselte die US-Regierung zu einer Strategie, wie sie 2007/08 schon einmal Früchte trug, unter dem Kommando des seinerzeit gefeierten Generals David Petraeus . Eine Personalie steht sinnbildlich dafür: US-Präsident Barack Obama ernannte John Allen, einen engen Vertrauten von Petraeus, zum Sonderbeauftragten mit dem Auftrag, breite Koalitionen zu schmieden. Allen hatte es einst geschafft, in der Provinz Al-Anbar ein Netzwerk mit sunnitischen Stammesältesten zu knüpfen. Als sich die Stämme mit dem irakischen Zweig von Al-Qaida überwarfen, schlossen sie ein Zweckbündnis mit Washington . In der Folge gingen Attacken auf US-Soldaten um 80 Prozent zurück.

Nun soll Allen dieses Kunststück wiederholen. Der Ansatz schien logisch, stützen sich die IS-Fanatiker doch auf dieselben Sunniten , mit denen Petraeus' Generäle damals einen Burgfrieden schlossen - und die al-Maliki dann ins Abseits drängte. Den Unterschied zu damals bringt Audrey Kurth Cronin, Anti-Terror-Spezialistin an der George Mason University, auf den Punkt: Washington könne die Herzen und Hirne der Sunniten nicht mehr gewinnen, weil al-Maliki sie gründlich verprellt habe. Gar nicht zu reden davon, dass das US-Militär nur noch mit rund 3000 Beratern im Irak präsent sei .

Republikanische Falken beantworten das Dilemma mit der Forderung, wieder Bodentruppen ins Zweistromland zu beordern. Szenarien mit bis zu 20 000 Mann machen die Runde. Als Wortführer der Interventionisten plädiert der Senator John McCain für die Entsendung von "Special Forces", die mit den Irakern direkt in die Gefechte gegen IS ziehen sollen. Der Präsident sieht das grundlegend anders: Weder könne eine fremde Macht die Kastanien aus dem Feuer holen, noch könne sie stellvertretend für die Iraker die nötigen politischen Kompromisse schließen, meint Obama. In der Zeitschrift "The Atlantic" erklärte er neulich die Lerneffekte aus der Irak-Invasion von 2003. "Einfach reingehen, die bösen Buben ausschalten und hoffen, dass sich Frieden und Wohlstand automatisch entfalten - dass dies ein Irrglaube ist, sollten wir längst begriffen haben", stellte der Präsident klar.

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