Der Ruf nach Freiheit verschont nur die Queen

London · Der Weg zur Freiheit verlangt Beharrlichkeit. Auf gut 650 Seiten ihres Weißbuchs „Die Zukunft Schottlands“ bündelt die Regionalregierung in Edinburgh ihre Argumente für den Austritt aus dem Vereinigten Königreich und die volle nationale Souveränität.

Das Konzept soll die Schotten überzeugen, beim Volksentscheid am 18. September 2014 für die Unabhängigkeit zu stimmen.

Seit Alex Salmond, Chef der sozialistischen "Schottischen Nationalpartei", vor zwei Jahren die Wahl zum Regionalparlament mit absoluter Mehrheit gewann, ist der Alleingang des britischen Nordzipfels sein Leitmotiv. Von einem souveränen Schotten-Staat erhofft er sich eine "demokratischere, wohlhabendere und gerechtere Gesellschaft". Auch bei der Vorstellung seines Freiheitsmanifest prangerte Salmond gestern wieder den Schaden an, der "durch die große soziale Ungleichheit im Vereinigten Königreich verursacht wurde". Folgerichtig nehmen in seiner Dokumentation soziale Verbesserungen wie Kinderkrippen und Steuer-Erleichterungen für Niedrigverdiener breiten Raum ein.

Alle anderen Parteien im schottischen Parlament und im britischen Unterhaus halten Salmonds Konzept für reine Fiktion. Sie verweisen auf die "erfolgreichste Partnerschaft der Geschichte", die Schottland und England seit 1707 verbindet. Alistair Carmichael, zuständiger Minister der britischen Regierung, hält Salmonds soziale Verheißungen schlicht für unbezahlbar. Zudem müssten im Fall der Unabhängigkeit fast alle internationalen Verträge Großbritanniens neu verhandelt werden. Und eine schottisch-britische Währungsunion, wie sie Salmond wünscht, sei keineswegs selbstverständlich. Ähnlich sieht es Kommissionschef José Manuel Barroso mit Blick auf eine EU-Mitgliedschaft. Heikel wäre auch der Verbleib in der Nato, weil Schottland die britischen Atom-U-Boote in seinen Gewässern nicht mehr dulden will. Die Queen hingegen soll nach Salmonds Vorstellungen weiterhin über Schottland regieren - als "Elisabeth I.".

Derzeit tendieren noch rund 47 Prozent der Schotten zu einem Verbleib im Vereinigten Königreich, etwa 38 Prozent sind dagegen. Salmond will nun die Unentschlossenen gewinnen und erhofft sich 2014 eine "Welle der nationalen Begeisterung". Dann jährt sich nämlich zum 700. Mal die "Schlacht von Barnockburn", in der Schottlands König Robert the Bruce die dreimal stärkere englische Invasionsarmee von König Edward II. vernichtete.

Allerdings könnte Salmond auch eine Niederlage beim Referendum leicht verschmerzen: Gescheiterte Helden genießen in der schottischen Folklore mehr Ansehen als schnöde Sieger. Und gewinnen wird der Regierungschef in jedem Fall. Denn London wird den Verbleib Schottlands im Vereinigten Königreich - wie so oft - auch diesmal mit teuren Zugeständnissen belohnen müssen, die den Norden quasi schon jetzt zum unabhängigen Staat machen. Ob Erziehung oder Gesundheitswesen, Rechtsprechung oder Wahlverfahren - das Regionalparlament in Edinburgh entscheidet über die Geschicke Schottlands. Und prozentual profitieren weitaus mehr Schotten von Investitionen aus dem britischen Steuersäckel als ihre Mitbürger südlich der Grenze. Wegen des ständigen Gezeters gegen die Bevormundung durch London droht den Engländern der Geduldsfaden zu reißen. Dürften sie ebenfalls abstimmen, bei ihnen würde ein Volksentscheid über die schottische Souveränität wohl eine klare Mehrheit finden.

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